Entzug auf Vorrat
Das Thurgauer Strassenverkehrsamt droht mit Ausweisentzug, noch bevor der Staatsanwalt entschieden hat. Das hat Methode.
Veröffentlicht am 1. März 2016 - 14:03 Uhr
Peter Schnyder und der andere Lenker blieben unverletzt bei der Kollision im November 2015 in Matzingen TG. «Die Polizei nahm die Aussagen auf und erklärte, der Staatsanwalt werde eingeschaltet», sagt Schnyder. «Damit war der Fall für mich vorerst erledigt.» Das Polizeiprotokoll zeigt: Der andere Lenker war Unfallverursacher. Er hatte zwei Sicherheitslinien überfahren – darauf stehen Ausweisentzug und Geldbusse.
Einen Monat später erhielt Schnyder Post vom Strassenverkehrsamt in Frauenfeld. «‹Administrativmassnahme›, stand da, ich müsse den Führerschein für einen Monat abgeben», erzählt der 72-Jährige. Davon, dass der Entscheid vom Staatsanwalt abhänge, stand nichts. «Ich war perplex!»
Er könne innert zehn Tagen mündlich auf dem Amt Stellung nehmen, heisst es. Schnyder ruft an, um den Termin zu vereinbaren. Der liegt aber bereits ausserhalb der zehntägigen Frist und liesse ihm keine Zeit, auf den Vorwurf zu reagieren. Schnyder nimmt sich einen Anwalt, der Akteneinsicht verlangt. Doch die Akte enthält kein Urteil, sondern nur den Polizeirapport.
Das Urteil erfolgt erst ein paar Tage später: Der Staatsanwalt sieht keinen Grund, ein Verfahren gegen Peter Schnyder einzuleiten. Hat das Strassenverkehrsamt ihn also vorverurteilt? «Wir warten das Urteil grundsätzlich nicht ab, weil sonst die Verfahren viel zu lange dauern würden», sagt der Zuständige Ernst Fröhlich. Verfügt werde natürlich erst nach dem Urteil. Ein ungewöhnliches Vorgehen. Denn generell gilt: Das Verkehrsamt entscheidet über eine Massnahme – etwa Verwarnung oder Ausweisentzug –, erst nachdem das Gericht einen Lenker verurteilt hat.
Schnyder fordert seither vom Amt die Anwaltskosten zurück: «Ohne die eigenmächtige Androhung des Ausweisentzugs hätte ich ja keinen Rechtsvertreter benötigt.» Das Amt wehrt sich: «Es ist nicht Aufgabe des Staates, für eine Leistung aufzukommen, die Herr Schnyder für sich persönlich in Anspruch genommen hat», sagt Ernst Fröhlich.
Schnyder müsste das Geld teuer und mit ungewissem Ausgang zivilrechtlich einfordern – oder die Einstellungsverfügung des Staatsanwalts anfechten und verlangen, dass die Parteikosten ausgewiesen werden, um sie dann zurückfordern zu können.
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