Die Kleineren und Schwächeren haben die Sympathien immer auf ihrer Seite. Das gilt auch für Max Beeler, den Appenzeller Witwer, der die Schweiz vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verklagte.

Die Schweizer Behörden hatten ihm die AHV-Witwerrente gestrichen, nachdem seine jüngste Tochter volljährig geworden war. Wäre Max Beeler eine Frau, hätte er die Rente weiter erhalten, lebenslang.

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Unbestritten, das ist ungerecht. Und es war absehbar, dass der EGMR die Schweiz in diesem Fall wegen Geschlechterdiskriminierung verurteilt. So weit, so gut – die Gerechtigkeit hat gesiegt. Ein Happy End hat die Geschichte trotzdem nicht; denn es ist fraglich, welche Konsequenzen jetzt die Politik aus diesem Urteil zieht.

«Wenn man einfach mehr Geld ausschüttet, entstehen neue Privilegien. Und die sind kaum mehr abzuschaffen.»

Dazu muss man wissen: Wie Max Beeler beurteilt wurde, ist ungerecht, hat aber System. Laut geltendem Recht bekommen Witwer nur eine Rente, solange es minderjährige Kinder gibt. Witwen hingegen erhalten lebenslang eine Rente, wenn sie Kinder haben. Und selbst kinderlose Witwen erhalten lebenslang Geld, wenn sie beim Tod des Mannes mindestens 45 sind – unter Umständen sogar, wenn das Paar geschieden war. 

Das war gewiss gut gemeint, damals, als die Regel eingeführt wurde. Heute ist das einfach nur paternalistisch, aus der Zeit gefallen. Aber die Schweizer Politik hat die Tendenz, solche Probleme lieber mit Geld zuzuschütten, statt sie zu lösen – und im Zweifelsfall auch jenen etwas zu geben, die es nicht brauchen.

Nach dem Motto: Wir können es uns ja leisten. Einfach künftig allen Witwen und Witwern mit und ohne Kinder lebenslang eine Rente zu zahlen, wäre eine solche Giesskannenlösung. Nach diesem Prinzip hat es Liechtenstein gemacht – und die Witwer den Witwen gleichgestellt.

Für sich selbst schauen

Das Problem dabei: Vor einem halben Jahrhundert mag die Witwenregelung sachlich gerechtfertigt gewesen sein. Aber die Stellung der Witwen wie auch der Arbeitsmarkt haben sich glücklicherweise verändert. Heute ist es auch für sie zumutbar, für sich selbst zu schauen. Wenn das nicht gelingt, gibt es ein soziales Auffangnetz.

Wenn man einfach mehr Geld ausschüttet, entstehen neue Privilegien, die kaum zu rechtfertigen sind – und einmal eingeführt, sind sie kaum mehr abzuschaffen. Je mehr Leute davon profitieren, desto unwahrscheinlicher ist es, dass das Geschenk je wieder gestrichen werden kann.

Illustration eines Grabes und Geld
Quelle: Thilo Rothacker

Beispiel gefällig? Das ÖV-Generalabo wird nicht nur für Rentnerinnen und Rentner in bescheidenen finanziellen Verhältnissen verbilligt, sondern für alle Pensionierten. Eine 66-jährige Millionärin fährt deshalb billiger durchs Land als die 46-jährige geschiedene Supermarktverkäuferin, die das GA für den Arbeitsweg braucht. Die Millionärin profitiert erst noch auf Kosten aller anderen. Kaum jemand wird das gerecht nennen.

Gleiche Regeln für alle

Wohlverstanden: Ob Verwitwete auch eine Rente erhalten sollen, wenn ihre Kinder erwachsen sind, ist eine ernsthafte politische Frage. Doch es müssen für alle die gleichen Regeln gelten.

Und selbstverständlich darf man nach der Pensionierung mit dem Zug kreuz und quer durch die Schweiz fahren. Aber Subventionen für Millionäre mit 1.-Klasse-GA sind Geldverschwendung. 

Vor 18 Jahren haben die Stimmberechtigten den Vorschlag versenkt, nur noch Witwen mit Kindern eine Rente zu zahlen. Seither wagte sich niemand mehr an das heikle Dossier.

Offenbar will kein Politiker, keine Politikerin als Witwenschüttler gelten – auch nicht der zuständige Bundesrat Alain Berset. Viel lieber lassen sie sich von den angeblich fremden Richtern in Strassburg rüffeln. Sie denken wohl an jene Gesundheitspolitiker, die ein überflüssiges Spital nicht schliessen wollen aus Angst, bei der nächsten Wahl abgestraft zu werden.

Wenn es nicht gelingt, bei einem vergleichsweise überschaubaren Problem wie den Hinterlassenenrenten eine moderne Lösung zu finden, wird die Schweiz auch in Zukunft auf «fremde Richter» angewiesen sein.

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