Wenn das jüngste Kind volljährig wird, bekommen verwitwete Väter keine Rente mehr – verwitwete Mütter hingegen schon. Ein Witwer wehrte sich dagegen durch alle Instanzen und bekam nun recht. Die grosse Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat am 11. Oktober 2022 bestätigt: Diese Schweizer Regelung diskriminiert Witwer. Dieses Datum muss man sich merken. Die Schweiz muss diese Ungleichbehandlung seit diesem Tag beenden. Und damit rund zwölf Millionen Franken pro Jahr mehr bezahlen für laufende und künftige Witwerrenten.

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Weil es bei uns lange dauert, ein Gesetz zu ändern, hat das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) eine Übergangsregelung kommuniziert. Witwer erhalten wie Witwen neu eine lebenslange Rente, wenn sie am Stichtag 11. Oktober 2022 minderjährige Kinder hatten. Oder wenn die Ehefrau erst danach gestorben ist – dann unabhängig vom Alter der Kinder. Damit werden nur jene verwitweten Väter gleichbehandelt, die sich in der gleichen Lebenssituation befinden wie der erfolgreiche Kläger in Strassburg. Andere Witwer gehen weiterhin leer aus. Etwa geschiedene Männer oder Witwer ohne Kinder. Es sind längst nicht alle Ungleichbehandlungen bei den Hinterlassenenrenten vom Tisch.


Hier einige Antworten auf häufige Fragen:


Vor 15 Jahren ist meine Frau gestorben, unsere Kinder sind längst erwachsen. Erhalte ich jetzt eine Witwerrente?
Nein, Sie gehen leider leer aus, weil Ihre Kinder am Stichtag 11. Oktober 2022 schon volljährig waren.


Meine Frau ist im August 2022 verstorben, unser Kind ist noch klein. Was bedeutet das für uns?
Neu werden Sie die Witwerrente auch noch erhalten, wenn das Kind volljährig ist. Die Ausgleichskasse wird Ihnen eine neue Rentenverfügung schicken, Sie selbst müssen nichts unternehmen.


Meine Frau ist Anfang November 2022 gestorben und hinterlässt neben mir unsere 24-jährige Tochter. Erhalte ich eine Rente?
Ja, da Ihre Frau nach dem 11. Oktober 2022 verstorben ist, wird Ihnen unabhängig vom Alter der Tochter eine Witwerrente bezahlt. Stellen Sie einen Antrag!


Mein Sohn ist 22 Jahre alt und noch in der Ausbildung. Seit er volljährig ist, bekomme ich keine Witwerrente mehr. Erhalte ich nun bis zu seinem 25. Geburtstag oder bis zum Ausbildungsende eine Witwerrente?
Weder noch. Der Tod Ihrer Frau und der 18. Geburtstag Ihres Sohnes liegen beide vor dem Stichtag. Sie erhalten keine Witwerrente. Die Halbwaisenrente jedoch erhält Ihr Sohn weiter bis zum Ausbildungsende, längstens aber bis er 25 ist – daran ändert sich nichts.


Meine Frau ist vor dem Stichtag verstorben und die AHV hat bereits verfügt, dass meine Rente eingestellt wird, da unsere Tochter 18 Jahre alt geworden ist. Die Einsprachefrist lief aber noch bis zum 12. Oktober 2022. Nützt mir das etwas?
Ja, Sie haben Glück im Unglück. Weil der Entscheid der AHV am 11. Oktober 2022 noch nicht rechtskräftig war, muss die Ausgleichskasse neu verfügen. Das passiert automatisch – Sie müssen nichts unternehmen. Ihre Rente lebt wieder auf, obwohl Ihre Tochter volljährig ist. Das Gleiche gilt für Witwer, die das Rechtsmittel ergriffen haben, bei welchen die Kasse aber bis zum Stichtag noch nicht rechtskräftig entschieden hat. Wenn bereits ein Beschwerdeverfahren vor Gericht hängig ist, muss man das Gerichtsurteil abwarten.


Die Witwerrente wurde bereits vor dem Stichtag rechtskräftig eingestellt. Lohnt sich ein Wiedererwägungsgesuch?
Nein, diese Mühe können Sie sich sparen. Denn weder eine Gesetzesänderung noch eine Änderung in der Rechtsprechung stellen einen Grund für eine Wiedererwägung dar. Das BSV hat die Ausgleichskassen ausdrücklich dazu aufgefordert, solche Gesuche abzulehnen.


Meine Frau ist am 30. Oktober 2022 verstorben, Kinder haben wir keine. Ich bin aber 45 Jahre alt und wir waren fünf Jahre verheiratet. Erhalte ich nun wie Witwen eine Rente?
Nein. Die aktuelle Übergangsregelung begünstigt einzig diejenigen Witwer, die sich in der genau gleichen Situation befinden wie der verwitwete Vater, der in Strassburg recht bekommen hat. Witwer ohne Kinder gehen aktuell weiterhin leer aus oder müssten selbst klagen.


Meine Ex-Frau ist vor dem Stichtag gestorben, unser Sohn wird aber erst danach volljährig. Erhalte ich die Witwerrente jetzt ebenfalls über die Volljährigkeit hinaus?
Nein, weil Sie geschieden sind. Sobald Ihr Sohn 18 Jahre alt wird, wird die Rente auf Ende Monat eingestellt. Auch Sie müssten eine Klage einreichen und damit notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.


Meine Frau ist nach dem Stichtag verstorben. Wir hatten Kinder. Ich bin pensioniert – bekomme ich nun zusätzlich zur AHV-Altersrente eine Witwerrente?
Nein. Sie erfüllen zwar die Voraussetzungen für beide Renten, bekommen aber nur die höhere der beiden Renten ausbezahlt. Dies ist auch bei Witwen so. Hier werden Frauen und Männer gleichbehandelt. Wenn Ihre Altersrente höher ist als die Ihnen zustehende Witwerrente, bleibt es dabei. Wenn Sie noch keine Maximalrente beziehen, erhalten Sie aber den sogenannten Verwitwetenzuschlag. Der Zuschlag beträgt grundsätzlich 20 Prozent. Die AHV-Altersrente beträgt aber auch mit Verwitwetenzuschlag im Jahr 2022 höchstens 2390 Franken pro Monat. Ab Januar 2023 sind es 2450 Franken.


Ich bin Witwe und kinderlos. Erhalte ich jetzt wie die Witwer keine Rente mehr?
Doch, keine Sorge, Ihre Rente bleibt unangetastet. Die neue Regelung hat keinen Einfluss auf die Renten der Witwen.


Mein Mann ist schwer krank und wird bald sterben. Wir haben keine Kinder. Kann es sein, dass noch vor seinem Tod das Gesetz geändert wird und ich keine Witwenrente erhalte?
Nein. Es stimmt zwar, dass die Schweiz durch das Strassburger Urteil den Auftrag erhalten hat, ihr Gesetz anzupassen. Und Renten an kinderlose Witwen stammen noch aus einer Zeit mit einem inzwischen überholten Rollenbild. Darum kann es gut sein, dass das Gesetz auch in diesem Punkt geändert wird. Aber Gesetzesrevisionen dauern lange. Der Bundesrat hat dem Parlament schon zweimal eine Revision unterbreitet, beide hat es verworfen. Wann eine Gesetzesänderung in Kraft treten wird und was sie schlussendlich beinhaltet, lässt sich nicht abschätzen. Aber die Änderung wird Sie nicht mehr treffen, weil sie bereits zugesprochene Renten nicht mehr verändert.

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