Wird jemand eines Verbrechens verdächtigt, kann die Staatsanwaltschaft eine Zwangsmassnahme beantragen. Dazu gehören Hausdurchsuchungen, Telefonüberwachungen oder verdeckte Ermittlungen. Die einschneidendste Massnahme ist der Freiheitsentzug mit einer Untersuchungs- oder Sicherheitshaft. 

Ob solche Anordnungen angemessen sind und wie lange eine Massnahme dauern soll, entscheiden die Zwangsmassnahmengerichte. Die meisten Anträge der Staatsanwälte werden von den Zwangsmassnahmengerichten gutgeheissen – weit über 90 Prozent. Das kann nun einerseits heissen, die Strafverfolger arbeiten so gut, dass die Richterinnen wenig eingreifen müssen. Oder aber, die Anträge der Staatsanwälte werden mehr oder weniger einfach durchgewinkt. 

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Die Entscheide der Zwangsmassnahmengerichte sind nicht öffentlich

Letztlich kann über die hohe Bewilligungsquote nur gemutmasst werden, denn die Urteile der Zwangsmassnahmengerichte sind nicht öffentlich. So bleibt im Dunkeln, wie oft welche Anordnung bewilligt wird, wie die Begründung lautet und ob manchmal auch Fehler passieren. Nichtregierungsorganisationen, Politikerinnen, aber auch Juristen kritisieren diese Praxis schon seit Jahren. 

«Der Digitalen Gesellschaft geht es nicht darum, die Strafverfolgung zu behindern.»

Erik Schönenberger, Geschäftsleiter Digitale Gesellschaft

Der Verein Digitale Gesellschaft spricht von einer «fehlenden Transparenz». Die Zwangsmassnahmengerichte würden im Geheimen und ohne Kontrolle agieren. «Und das, obwohl die Entscheide mit schweren Eingriffen in die Grundrechte verbunden sind», sagt Erik Schönenberger, Geschäftsleiter des Vereins. Er hat darum beim Obergericht Zürich vor etwas mehr als einem Jahr ein Gesuch um Einsicht in Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts gestellt. Dieses wurde nun abgelehnt. 

In seiner Begründung schreibt das Obergericht, die Digitale Gesellschaft mache in ihrem Gesuch kein «schützenswertes Interesse» geltend, das die Akteneinsicht legitimieren würde. Ausserdem würde die Bearbeitung des Gesuchs für das Gericht «einen unzumutbar grossen Aufwand bedeuten». Hinzu komme, dass bei Herausgabe solcher Entscheide nicht ausgeschlossen werden könne, dass dadurch noch hängige Untersuchungen gefährdet würden. Daran könne auch eine Anonymisierung oder Schwärzung gewisser Passagen nichts ändern. 

Verstösse gegen die Grund- und Menschenrechte verhindern

Schönenberger reagiert auf diese Erklärung konsterniert. «Der Digitalen Gesellschaft geht es nicht darum, die Strafverfolgung zu behindern. Natürlich finden wir es wichtig, dass Verbrechen aufgeklärt werden.» Aber gebe es für eine Zwangsmassnahme keine genügende Rechtsgrundlage oder sei sie mit einer Massenüberwachung verbunden, werde es heikel. «Dann sind es Verstösse gegen die Grund- und die Menschenrechte. Deswegen braucht es Einblick in die Urteile, spätestens nach Abschluss der Untersuchungen», sagt er.

«Ins Visier eines Antennensuchlaufs geraten schnell einmal Tausende Handynutzer. Das ist grundrechtlich hoch problematisch.»

Erik Schönenberger, Geschäftsleiter Digitale Gesellschaft

Im Detail wissen wollte die Digitale Gesellschaft vom Obergericht unter anderem, wie viele Einsätze von Server-Überwachungen das Zwangsmassnahmengericht in den letzten zwölf Jahren bewilligt hat. Laut Schönenberger fehlt bei dieser Massnahme die rechtliche Grundlage, und er spricht von einer «erstaunlichen Interpretation der Strafprozessordnung». 

Ebenfalls wissen wollte der Verein, wie oft und mit welcher Begründung das Zwangsmassnahmengericht Antennensuchläufe bewilligt. Mit dieser Überwachung können die Strafverfolger herausfinden, welche Mobiltelefone in einem bestimmten Zeitraum an einer bestimmten Antenne eingewählt waren. Das Problem: Ins Visier eines Antennensuchlaufs geraten schnell einmal Tausende Handynutzer. Schönenberger sagt: «Das ist grundrechtlich hoch problematisch.»

Jetzt soll die Politik handeln

An die nächste Instanz weiterziehen will die Digitale Gesellschaft das Urteil des Zürcher Obergerichts nicht. Die Rechtslage sei diffus, auch in Bezug auf die Frage, welche Interessen der Verein vorbringen müsste, um Anspruch auf Einsicht in die Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts zu haben. Dabei ginge es auch darum, dass die Entscheide grundsätzlich veröffentlicht würden. Das Obergericht habe mit diesem Urteil jedenfalls deutlich gemacht, dass es nicht gewillt sei, die Möglichkeit auszuschöpfen, Transparenz herzustellen. «Nun ist es an der Politik, sich dieses Themas anzunehmen und dafür zu sorgen, dass diese Dunkelkammer der Justiz ausgeleuchtet wird», so Schönenberger. 

«Mir leuchtet nicht ein, dass man nicht wenigstens anonymisierte Statistiken über die Entscheide erstellt und so Rechenschaft ablegt.»

Andrea Caroni, FDP-Ständerat

Dort ist das Problem zwar bekannt, konkret unternommen wurde bisher aber nichts. Schon 2018 forderte der frühere SP-Ständerat Claude Janiak, dass nach Abschluss eines Strafverfahrens die Entscheide von Zwangsmassnahmengerichten öffentlich sein müssten.

FDP-Ständerat und Rechtsanwalt Andrea Caroni versteht, dass man die individuellen Urteile während des laufenden Strafverfahrens nicht veröffentlicht. «Hingegen leuchtet mir nicht ein, dass man nicht wenigstens anonymisierte Statistiken über die Entscheide erstellt und so Rechenschaft ablegt.» Solche Statistiken könne man entweder flächendeckend einführen oder zumindest punktuell als wissenschaftliche Untersuchung. «Die Öffentlichkeit und die Politik würden dabei immerhin einen allgemeinen Eindruck erhalten und Tendenzen erkennen.» Caroni sieht hier primär die Kantone gefordert.

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