Fit im Forst
Raus aus dem Fitnesscenter, an die frische Luft: Unsere Redaktorin hat sich im Trendsport Forest Fitness versucht.
aktualisiert am 22. Mai 2018 - 14:01 Uhr
Trainer Jürg ist verschwunden. Er hat uns zu zweit zurückgelassen auf einer Lichtung im Berner Bremgartenwald, unserem «Fitnesscenter» für die nächsten 90 Minuten. «Nach ein paar Trainings hast du das Gefühl, du könntest Bäume ausreissen», sagt Gaby. Sie ist seit Anfang Jahr in der Forest-Fitness-Gruppe von Jürg, der eigentlich noch von Allmen heisst, aber «hier sagen alle Du zueinander».
Jürg taucht zwischen den Bäumen wieder auf und lässt zwei schmale Fichtenstämme auf den weichen Boden fallen, einen für Gaby, einen für mich. Balancieren sollen wir darauf. Erst längs, dann quer, die Augen mal offen, mal zu. Und dann sollen wir einander Tannenzapfen zuwerfen, während wir versuchen, Haltung zu bewahren auf dem wackeligen Rundholz – was aber nicht gelingt.
Nach den Koordinations- sind die Kraftübungen für Beine, Rücken, Schultern und Arme dran. Jede Übung dauert 60 Sekunden. Wenn Jürg – eher Typ Informatiker als Typ Schwarzenegger – sie vormacht, sieht es so leicht aus, dass man insgeheim schon triumphiert, bevor es losgeht. Aber dann folgt die Ernüchterung. Das innerliche Fluchen wird meist schon nach einer halben Minute laut, bei den Liegestützen noch viel früher. «Jetzt ist der Sumoringer an der Reihe», sagt Jürg fröhlich. Aber Gabys Blick lässt nichts Gutes ahnen.
«Wie lange noch?» – «Durchhalten!»
In die Hocke sollen wir, breitbeinig wie ein Skifahrer , die Arme nach vorne gestreckt, die Hände so, als hielten wir einen Strauss Blumen. Dann langsam die Fersen heben und senken, auf und ab, 60 Sekunden lang. «Los!» Die Beine beginnen früher zu zittern als erwartet. «Es brennt!» – «Durchhalten!», ruft Jürg zurück, die Uhr im Blick. «Atmen nicht vergessen!» – «Wie lange noch?» – «Konzentriert euch auf die Blätter und den Duft des Waldes, der Lärm ist weit weg!» – «Wie lange?!» – «Durchhalten! Noch drei, zwei, eins: entspannen.» Es dauert ein paar Sekunden, bis ich den Wald wieder wahrnehme.
«Forest Fitness? Was für ein Blödsinn ist das denn?», fragen mich alle, denen ich davon erzähle. Wieder einer dieser Fitnesstrends, die kryptische Namen tragen wie Piloxing, Tabata oder Sculpt und so zuverlässig kommen und gehen wie Ebbe und Flut? Seit den Siebzigern jagt ein Trend den nächsten: Nach der Vitaparcours-Welle verlagerten sich die Aktivitäten vom Freien in die Aerobicstudios und Fitnesscenter.
Nun heisst das Motto offenbar «back to the roots», zurück zu den Wurzeln: moosbewachsene Baumstümpfe statt Stepper, Holzknüppel statt Hanteln. Und die sind heute schwer vom letzten Regen. Infotafeln wie beim Vitaparcours fehlen. Dafür haben wir Jürg, der in allem, was hier so herumliegt, potenzielle Trainingsgeräte erkennt.
Japaner trimmen sich seit Jahren beim Shinrin-yoku, was so viel heisst wie «Waldbaden» oder «Waldatmosphäre mit allen Sinnen aufnehmen». Es soll Stress reduzieren, den Blutdruck senken und die Produktion von weissen Blutkörperchen ankurbeln. «Es tut einfach gut!», sagt Gaby. Bei mir melden sich immer mehr Muskeln – zwischen den Rippen, an den Händen, oberhalb der Knie. Und Trainer Jürg schwärmt: «Neulich haben wir einen Rehbock gesehen. Das passiert im Fitnesscenter eher selten.»
- Abwechslung: Das «Fitnesscenter» im Wald verändert sich ständig. Mit einem findigen Trainer hält der Spass an.
- Outfit: Nichts für Fans teurer Sportmode: Wer nicht schmutzig wird, macht etwas falsch.
- Wirkung: Am nächsten Tag machen sich Muskeln am ganzen Körper bemerkbar. Am übernächsten auch.
- Zielgruppe: Alle, die Indoor-Training langweilig finden und einen Antreiber brauchen.
- Überwindung: Forest Fitness findet auch bei Regen, Wind und Kälte statt. Wer sich trotzdem überwindet, darf stolz sein.
Forest Fitness ist eine Mischung aus Vitaparcours und Training im Studio. Jürg von Allmen bietet Gruppenkurse in Bern, Interlaken und Langnau i. E. an: www.forest-fitness.ch
Auch in Oberweningen ZH wird Waldfitness angeboten: www.forestfitness.ch