Ärzte greifen bei einem Bandscheibenvorfall viel zu schnell zum Skalpell. Solche Operationen sind meist unnötig.» Mit solchen Sätzen macht sich der deutsche Arzt Walter Packi, Chefarzt der Blauen-Klinik im baden-württembergischen Badenweiler, bei seinen Ärztekollegen nicht gerade beliebt. Sie entfernen bei einer Operation einzelne Bandscheiben oder versteifen die Wirbelsäule. Packi hingegen sagt, mit seiner Therapie könne er vielen Patientinnen und Patienten den riskanten Eingriff ersparen.

Die Methode ist verblüffend einfach und besteht im Wesentlichen aus einer Standardübung: Ausgerechnet das von extremen Schmerzen gebeutelte Kreuz gilt es dabei durchzustrecken. Die Patienten stehen aufrecht hin und neigen sich langsam nach hinten, indem sie Knie, Oberschenkel und Becken nach vorne drücken. Die Betroffenen verharren in dieser unbequemen Stellung einen Moment, um dann wieder in die aufrechte Haltung zurückzukehren.

Bei einem Bandscheibenvorfall handle es sich um einen typischen Sitzschaden, so der Mediziner. «Durch das Sitzen verkürzen sich die Beugemuskeln der Wirbelsäule. Steht man auf, werden diese Muskeln gespannt wie ein Gummizug.» In der Folge geben die Bandscheiben dem Druck nach und treten heraus. Dabei verdrängen sie die Nerven des Rückenmarks. Packi: «Die Übungen stellen die Beweglichkeit der verspannten Muskeln wieder her.» Verkürzte Muskeln erkenne man daran, dass es schwer falle, aufrecht zu stehen oder sich nach hinten zu neigen.

Schmerzen, Lähmungen, aber auch gleitende Wirbel lassen sich laut Packi behandeln. Oft erfolgreich, wie bei Oliver Werthmüller aus Thun. Bevor der 39-jährige Automechaniker zum Spezialisten kam, konnte er nur noch liegen. Diagnose der Ärzte: dreifacher Bandscheibenvorfall. «Ich konnte nicht mehr sitzen, die Schmerzen setzten mich komplett ausser Gefecht.» Nach gerade mal fünf Sitzungen bei Packi war Werthmüller schmerzfrei.

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«Wer heilt, hat Recht»

So wundersam solche Erfolge auch tönen, die Methode wirke tatsächlich sehr gut und teils sogar bei Kniearthrose, sagt Nicole Graf, Mediensprecherin der Swica. Die Krankenkasse überprüfte die Wirksamkeit bei rund 50 Patienten, die in den letzten vier Jahren bei Packi in Behandlung waren. Das Resultat ist laut Graf «eindeutig»: Bei 90 Prozent der Betroffenen liessen die Schmerzen fast oder sogar ganz nach. Was den Erfolg für Graf noch eindrücklicher macht: «Alle Patienten litten unter chronischen Schmerzen und standen teils kurz vor einer Operation. Diese Kosten konnten wir sparen.»

Eine Operation der Bandscheiben zieht eine Woche Spitalaufenthalt nach sich. Kostenpunkt: 30000 bis 40000 Franken, inklusive Rehabilitation. Packi verlangt für die Therapie bei einem stationären Aufenthalt von vier bis fünf Tagen zwischen 3000 und 6000 Franken. Allerdings müssen die Patienten diese Kosten selber tragen, denn die Grundversicherung bezahlt diese Therapie nicht. Selbst bei den Zusatzversicherungen ist Packis Methode nicht enthalten. Immerhin: Die Swica kommt in Einzelfällen für die Behandlung auf, und auch andere Kassen zahlen laut Packi immer wieder mal aus Goodwill.

Kaum ein Arzt kennt Packis Therapie, und auch Joachim Oberle, leitender Arzt der neurochirurgischen Abteilung des Kantonsspitals Winterthur, hat noch nie davon gehört. Aber Oberle sagt: «Wer heilt, hat Recht.»

Der Computer hilft

Pro Jahr werden in seiner Abteilung rund 500 Eingriffe an der Wirbelsäule durchgeführt. Den Vorwurf, unnötig Bandscheiben zu operieren, weist Oberle vehement zurück: «Ich prüfe bei jedem Fall eingehend, ob eine Operation wirklich Sinn macht.» Der Eingriff beende für viele Patienten eine lange Zeit voller Schmerzen und wird meistens vorgenommen bei hartnäckigen Ischiasbeschwerden und bei Lähmungserscheinungen, die ins Bein ziehen.

Doch bei Hugo Ruoss aus Buttikon SZ verschwand das Ziehen selbst nach der dritten Operation noch nicht. Nur Schmerzmittel erlaubten dem 52-Jährigen, den Beruf als Schlosser und später als Projektleiter auszuüben. Durch Zufall stiess Ruoss auf die so genannte Dynasom-Therapie des Zürcher Wirbelsäulespezialisten Adnan Mizher. Dynasom funktioniert computergesteuert und ist eine weitere Methode, Bandscheibenvorfälle wirksam zu behandeln, ohne operieren zu müssen. Hugo Ruoss war bereits nach vier Behandlungen schmerzfrei und ist es nach einem Jahr noch immer. «Nur dort, wo ich operiert wurde, spüre ich manchmal noch einen leichten Schmerz.»

Der Zürcher Arzt Adnan Mizher entwickelte Dynasom 1999 und behandelte bis heute gemäss eigenen Angaben über 500 Patienten. Bei der Therapie sitzen die Betroffenen in einem stuhlähnlichen Fitnessgerät; dieses misst zuerst die maximale Kraft einzelner Rückenmuskeln sowie die Beweglichkeit der Wirbelsäule. Danach bestimmt der Apparat das ideale Gewicht, mit dem die Patienten trainieren sollen. «Die Übungen kräftigen die Muskulatur und verbessern deren Koordination. Dadurch wird die Wirbelsäule langfristig stabilisiert», sagt Mizher.

Zurzeit sind drei Geräte im Einsatz: zwei in Mizhers Dynasom-Rehabilitationszentrum in Zürich-Stadelhofen, eines in der Arztpraxis des Orthopäden Arnold Rüegg in Wetzikon ZH. «Ich konnte mit Dynasom bereits mehrere Diskushernien, aber auch Wirbelgleiten und Wirbelsäulenverkrümmungen heilen», sagt Rüegg. «Es ist wichtig, einen intensiven, gezielten Muskelaufbau zu erreichen.» Laut Geräteerfinder Adnan Mizher können rund 40 Prozent der Operationen an der Wirbelsäule vermieden werden; zirka 70 Prozent der Patientinnen und Patienten spürten eine deutliche Besserung oder sind sogar schmerzfrei. Zwölf Therapiesitzungen von je einer halben Stunde kosten bei Mizher 1200 Franken.

Therapiegeräte beim Fitnesspionier

Der Erfolg beeindruckt auch die Krankenkassen. Fachprüfer der Helsana besuchten letztes Jahr Mizhers Praxis. «Grundsätzlich sind wir von der Wirkung der Methode überzeugt, denn die Resultate sind eindrücklich», sagt Brigitte Müller von der Helsana. Die Zusatzversicherung Sana bezahle deshalb 75 Prozent der Behandlung bis maximal 500 Franken pro Jahr.

Ähnlich wie Dynasom funktionieren Therapiegeräte der Marke MedX. Fitnesscenterpionier Werner Kieser holte sie vor über zehn Jahren aus den USA nach Europa. Die Wirksamkeit ist gut: Die Helsana und andere Kassen bezahlen die MedX-Behandlung aus der Zusatzversicherung; zwölf Sitzungen kosten rund 500 Franken. Die Geräte, die von Fitnesszentren und Ärzten betrieben werden, isolieren die Muskeln des Lendenbereichs, indem sie das Becken fixieren. «So können Kraft, Beweglichkeit und Ausdauer der Rückenmuskeln gemessen und trainiert werden, ohne dass Gesäss- und Beinmuskeln das Resultat verfälschen», sagt der Winterthurer Rheumatologe Gerry Weber. Viele der behandelten Patientinnen und Patienten könnten ihre Arbeit innert kurzer Zeit wieder aufnehmen.

Weitere Infos

  • Therapie nach Walter Packi, Telefon 0049 7632 8231 0; Internet: www.blauen-klinik.de
  • Verein gegen Körperschmerzen, der in Münsingen BE Packi-Übungen anbietet: www.exodus.li
  • Dynasom-Therapie, Telefon 01 300 68 10; Internet: www.dynasom.com
  • MedX-Therapie: Fragen Sie im Fitnesscenter, bei Rheumatologen oder bei Physiotherapeuten, ob diese Therapie angeboten wird.