Christian Marti: «Seriöse Forscher wollen kein Geld»
Der Winterthurer Krebsspezialist Christian Marti über das Geschäft mit der Angst der Kranken und über umstrittene Therapien.
Veröffentlicht am 10. Juni 2003 - 00:00 Uhr
Beobachter: Am Zürcher Universitätsspital mussten Hautkrebspatienten für eine Therapie bezahlen, die noch im Versuchsstadium war. Ist es heute üblich, mit der Verzweiflung von Schwerstkranken Geschäfte zu machen?
Christian Marti: Patienten, deren Krankheit zum Tod führen kann, neigen dazu, nach jedem Strohhalm zu greifen weshalb sie besonders leicht ausgebeutet werden können. Dabei geht es weniger um den materiellen Profit des behandelnden Arztes oder des Spitals als um die Reputation in Forscherkreisen.
Beobachter: Zu diesem Zweck sollen die Zürcher Forscher ihre Ergebnisse geschönt haben. Gehört Betrug zum Alltag?
Marti: Eigentlicher Betrug dürfte selten sein. Wird ein solcher entdeckt, ist eine Forscherkarriere beendet. Doch immer häufiger kommt es vor, dass Resultate schon veröffentlicht werden, nachdem erst ganz wenige Patienten behandelt wurden. Nur sind das oft Zufallsergebnisse, die sich bei der Behandlung weiterer Patienten nicht bestätigen. Oder die Versuchspersonen werden sehr einseitig ausgelesen: Begüterte Menschen haben in der Regel eine bessere Prognose als sozial benachteiligte. Deshalb lassen sich solche Resultate nicht auf die durchschnittliche Bevölkerung übertragen. Beliebt ist auch, eine neue Methode mit einer minderwertigen Therapie zu vergleichen statt mit der bisher besten, um einen möglichst positiven Effekt ausweisen zu können.
Beobachter: Das therapeutische Impfen, das an der Hautklinik des Zürcher Universitätsspitals erforscht wird, ist umstritten. Zu Recht?
Marti: Seit Jahrzehnten gibt es Versuche, Krebskrankheiten durch Stärkung der körpereigenen Immunabwehr zu behandeln. Dazu gehören auch Experimente, aus dem Krebsgewebe des Patienten massgeschneiderte Impfstoffe herzustellen. Doch bis heute hat sich bei keiner einzigen Krebsart eine dieser Methoden durchgesetzt.
Beobachter: Sind Krebspatienten besonders gefährdet, als Forschungsobjekte benutzt zu werden?
Marti: Krebsleiden sind in der Schweiz die zweithäufigste Todesursache. Deshalb ist es nahe liegend, dass in diesem Bereich sehr intensiv experimentiert wird. Forscher wollen eine neue Methode möglichst rasch an möglichst vielen Patienten anwenden. Dazu brauchen sie aber deren Einwilligung. Weshalb die Versuchung gross ist, die Chancen und Risiken einseitig darzustellen.
Beobachter: Wer soll dem Therapieeifer der Mediziner Grenzen setzen?
Marti: Vor allem der Patient indem er auf genauen Angaben zu Chancen, Risiken und Therapiealternativen beharrt. Verängstigte Patienten haben aber oft nicht die Kraft und den Mut dazu.
Beobachter: Und wer soll für Therapien zahlen, deren Nutzen noch nicht absehbar ist?
Marti: Dies kann der Staat sein, die forschende Industrie oder eine Stiftung. Auf keinen Fall aber darf es der Patient sein: Wäre die Zahlungsfähigkeit ein Auswahlkriterium für wissenschaftliche Studien, würden die Ergebnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit verfälscht. Deshalb verlangen seriöse Forscher für ihre Experimente kein Geld von den Patienten. Andernfalls würden sie sich kaum mehr von Scharlatanen unterscheiden.