Teure Therapien, die nichts bringen, sind schon stossend genug. Wenn man Patientinnen aber mit einem Medikament falsche Hoffnungen macht und sie vor schweren Nebenwirkungen nicht genügend warnt, ist das unerträglich. Genau das ist bei einer Brustkrebstherapie der Fall, bei der das neue Medikament Ibrance von Pfizer zusammen mit Fulvestrant von Sandoz abgegeben wird.

Die Therapie erhalten Frauen über 50, die an einem tödlichen Brustkrebs erkrankt sind. Ihr Tumor muss bereits «lokal fortgeschritten» oder «metastasierend» sein, und die Frauen müssen eine antihormonelle Therapie mit allen Nebenwirkungen hinter sich haben. Das Versprechen: Die neue Therapie hemme das Wachstum des Tumors um fünf Monate länger als Fulvestrant allein. Ärzte sprechen in solchen Fällen von «progressionsfreiem Überleben» – eine irreführende Formulierung der Pharmaindustrie.

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Denn mit Überleben hat «progressionsfreies Überleben» wenig zu tun. Gemeint ist nur, dass der Tumor während weniger Wochen oder Monaten nicht weiterwächst. Eine jetzt im «British Medical Journal» veröffentlichte Studie bestätigt aber: Auch wenn der Tumor nicht mehr wächst, schiebt das den Zeitpunkt des Todes nur in den wenigsten Fällen hinaus.

Die Lebensqualität nimmt ab

Nur erfahren das die Betroffenen nicht. Man sagt ihnen nicht, dass es keinen Nachweis gibt, dass die Behandlung das Leben verlängert. Und dass Hersteller Pfizer nicht einmal beweisen kann, dass die Behandlung die Lebensqualität der todkranken Frauen verbessert. Die Zulassungsbehörde Swissmedic und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bestätigen das.

Das unabhängige Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen prüfte die neue Therapie eingehend. Ihr Schluss: Bei Behandlungen mit Ibrance treten bei 78 von 100 Frauen schwere Nebenwirkungen auf. Sie litten nicht nur unter Schmerzen, Übelkeit, Durchfall, Haarausfall und Infektionen. Bei mehr als der Hälfte der Frauen kam es zu einer gefährlichen bis lebensbedrohlichen Abnahme der weissen Blutkörperchen. Das bestätigt Etzel Gysling, Herausgeber der unabhängigen Pharmazeitschrift «Pharma-Kritik». Diese Nebenwirkungen können der Grund sein, warum die behandelten Frauen nicht länger überleben als mit der bisher üblichen Behandlung.

78 % der behandelten Frauen hatten schwere Nebenwirkungen. 

Der Hintergrund: Die Zulassungsbehörden verlangen keinen Nachweis, dass ein Medikament lebensverlängernd wirkt oder die Lebensqualität verbessert. Es genügt, wenn es eine Zeitlang das Tumorwachstum stoppt. Das war auch bei der Zulassung von Ibrance so. Trotzdem entschied das BAG letzten März, dass das neue Medikament kassenpflichtig wird. Wie zuvor etliche andere Mittel, bei denen es keinen Nachweis für einen patientenrelevanten Nutzen gab. Das BAG übernimmt bei solchen Entscheiden jeweils die Argumentation der Pharmafirmen: Patienten sollen von einer vielversprechenden Medikation rasch profitieren können. Dafür erhält das Medikament die Kassenpflicht nur befristet. Im Fall von Ibrance/Fulvestrant läuft diese Frist bis Ende Februar 2020.

Doch die «vielversprechenden» Hoffnungen lösen sich in den meisten Fällen in Luft auf. Die schweren Nebenwirkungen bleiben aber Realität. Auch das zeigt die im «British Medical Journal» erschienene Studie. Sie untersuchte Krebsmittel, die die Europäische Arzneimittelagentur zwischen 2009 und 2013 für 39 Indikationen zuliess, trotz fehlendem Nachweis für eine lebensverlängernde Wirkung oder eine Verbesserung der Lebensqualität.

Das Fazit: Auch Jahre später war für 33 der 39 Indikationen «kein schlüssiger Nachweis» erbracht. Die Studienautoren rufen deshalb Zulassungsbehörden wie Swissmedic auf, ernsthaft zu prüfen, ob sie solche Krebsmedikamente überhaupt noch zulassen sollen.

Der Preis ist nicht gerechtfertigt

Die Zulassung ist das eine, die Aufnahme in die Kassenpflicht und der Preis das andere. Den Kassenpreis für Ibrance/Fulvestrant setzte das BAG aufgrund eines Auslandpreisvergleichs sowie eines Vergleichs mit der bestehenden Kombinationstherapie Afinitor/Exemestan fest – entsprechend den gesetzlichen Vorgaben. Er wurde so hoch angesetzt, als ob die Medikation das Leben verlängern oder die Lebensqualität der letzten Lebensphase verbessern würde. So kam der Preis von 59'000 Franken pro Jahr zustande. Nicht eingerechnet darin sind Arztkosten und die Behandlung der Nebenwirkungen. Damit ist die Therapie fast 30 Prozent teurer als die bisher übliche Therapie mit Afinitor.

Für Hersteller Pfizer hat sich das gelohnt. Allein in den ersten sechs Monaten hat die neue Therapie in der Schweiz Bruttokosten von fast 13 Millionen Franken verursacht. Diesen Schluss lässt eine Hochrechnung aufgrund der Helsana-Statistik zu.

Gemäss BAG sind Pharmafirmen nicht bereit, ihre Medikamente in der Schweiz weit unter den Preisen des umliegenden Auslands anzubieten. Mit anderen Worten: Pfizer hätte Ibrance zu einem tieferen Preis in der Schweiz nicht angeboten.

30% teurer ist die Behandlung als die bisher übliche Therapie.

Das BAG fürchtet sich dann offenbar vor dem Vorwurf, man verweigere eine hoffnungsvolle Therapie aus Preisgründen. In früheren Fällen hatte es negative Schlagzeilen und Anfragen von Politikern gegeben, die mit der Pharma verbandelt sind. Dabei wäre es gerade die Aufgabe des BAG, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, dass in solchen Fällen keine Beweise für einen patientenrelevanten Nutzen vorliegen.

Anders ist die Situation in Deutschland. Dort können Pharmafirmen kassenpflichtige Medikamente anfänglich zu einem selber festgesetzten Fabrikpreis verkaufen. Der Gemeinsame Bundesausschuss, in dem Ärzte, Spitäler und Krankenkassen vertreten sind, lässt dann prüfen, ob die neue Therapie einen Zusatznutzen bringt. Wenn nicht, wird der Preis auf das Niveau der bisherigen Standardtherapie herabgesetzt. 

Im Fall von Ibrance kam der Gemeinsame Bundesausschuss einstimmig zum Schluss, dass das Mittel «gegenüber der Vergleichstherapie keinen Zusatznutzen» hat. Der Preis wird entsprechend gesenkt.

Anders als in Deutschland dürfen in der Schweiz Ärzte Ibrance/Fulvestrant nur nach erfolgloser Behandlung mit einer antihormonellen Therapie abgeben. Wenn auch die Schweiz eine Erstbehandlung zulassen sollte, könnte das BAG den Preis neu festsetzen.

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Raphael Brunner, Redaktor
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