«Die Impfung wird weiterhin entscheidend sein»
Neue Medikamente wecken die Hoffnung, dass sich schwere Krankheitsverläufe von Covid-19 bald verhindern lassen. Warum Präparate wie Molnupiravir oder Paxlovid dennoch keine Alternative zur Impfung sind.
Veröffentlicht am 18. November 2021 - 17:24 Uhr
Die Impfstoffe sind seit fast einem Jahr zugelassen – doch ein wirkungsvolles Arzneimittel gegen das Virus ist noch nicht erhältlich. Im Gegenteil haben sich als Wundermittel propagierte Medikamente wie das Malariamittel Chloroquin und das Entwurmungsmittel Ivermectin als gefährlich erwiesen – und viele der diesbezüglichen Studien als gefälscht.
«Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Medikamenten gegen Covid», sagt Volker Thiel, Professor für Virologie an der Universität Bern. «Jene, die das Virus bekämpfen, und jene, die gegen die überschiessende Immunantwort wirken.» Fortschritte gebe es seit geraumer Zeit in der Behandlung der Immunreaktion, besonders das Cortisonpräparat Dexamethason habe sich bewährt. Allerdings kommt es erst dann zum Einsatz, wenn sich das Virus bereits stark im Körper vermehrt hat – und Schäden verursacht haben kann.
Deshalb sucht die Forschung weltweit nach Wirkstoffen, die verhindern, dass sich das Virus vermehrt. Nun sind sie fündig geworden. Das Medikament Molnupiravir der US-Pharmafirma Merck und das Präparat Paxlovid des Konkurrenten Pfizer machen Hoffnung.
Paxlovid mit vielversprechenden Ergebnissen
In der Testphase wirkten die beiden Arzneimittel so gut, dass die Studien abgebrochen werden mussten. In einem solchen Fall ist es ethisch nicht mehr vertretbar, Patientinnen ein Placebo zu geben. Insbesondere Paxlovid begeistert die Fachwelt. Laut Presseerklärung von Pfizer verhindert es bei Patienten mit hohem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf zu 89 Prozent, dass sie ins Spital müssen.
«Wenn sich das bestätigen sollte, ist das wirklich ein Durchbruch bei der Entwicklung von Medikamenten», sagt Huldrych Günthard, Professor für Klinische Infektiologie und leitender Arzt am Unispital Zürich. «Eine Wirksamkeit von fast 90 Prozent, besser geht es ja kaum.» Die Studienergebnisse wurden allerdings noch nicht wissenschaftlich veröffentlicht und beziehen sich nur auf rund 1200 Teilnehmende.
Molnupiravir in Grossbritannien bereits zugelassen
Das Präparat Molnupiravir dagegen verhindert gemäss Hersteller Merck nur bei etwa 50 Prozent eine Einweisung ins Spital. «Welches Mittel wirklich besser wirkt, kann man erst sagen, wenn vergleichende Studien gemacht werden», sagt Volker Thiel.
Molnupiravir hat allerdings einen zeitlichen Vorsprung. Die Zulassung in der Schweiz steht noch aus, in Grossbritannien ist das Medikament bereits zugelassen. Für Paxlovid sei bei Swissmedic bisher kein Gesuch gestellt worden. «Sobald dieses vorliegt, kann aber bereits eine befristete Zulassung erfolgen – auch ohne Abschluss der Studien», erklärt ein Sprecher von Swissmedic. Bislang plant Pfizer, eine Notfallzulassung in den USA zu beantragen. Bis das Präparat in der Schweiz erhältlich sein könnte, dürfte es noch Monate dauern.
«Diese Medikamente können aber noch wichtig werden», sagt Günthard. Beide haben den Vorteil, dass sie als Tablette eingenommen werden können. «Bis jetzt müssen antivirale Medikamente gegen Covid als Infusion verabreicht werden», erklärt Günthard. «Das geht meist nur im Spital, eine Pille dagegen könnte der Hausarzt abgeben.» Eingesetzt wird bislang Remdesivir, das gemäss aktuellen Studien zwar die Krankheitsdauer verkürzt, im Vergleich mit Kontrollgruppen aber keine Todesfälle verhindert. Remdesivir wird nur im Spital abgegeben. Zudem wurden verschiedene künstlich hergestellte Antikörper gegen das Virus entwickelt. «Alle diese Präparate bekämpfen das Virus direkt und sollten möglichst früh gegeben werden.»
Je früher, desto besser
«Auch das Pfizer-Präparat muss sehr früh eingenommen werden, um wirksam zu sein», sagt Volker Thiel. Allerdings erscheint Covid zu Anfang selten dramatisch, kaum jemand wird so schnell ins Spital eingewiesen. «Die Mittel kommen deshalb vor allem für Risikopersonen in Frage», sagt Volker Thiel. Huldrych Günthard skizziert, wie das funktionieren kann. «Risikopersonen sollten sich per PCR testen lassen, sobald sie Erkältungssymptome haben. Bei positivem Ergebnis überweist sie der Hausarzt sofort an die entsprechenden Zentren, damit sie die Medikamente bekommen.»
Die Fachleute sind sich einig, dass die antiviralen Arzneimittel auf keinen Fall die Impfung ersetzen können. Virologe Friedemann Weber von der Uni Giessen (D) vergleicht es mit einem Feuer. «Vorbeugen ist immer besser, als einen Brand löschen zu müssen», sagt er. «Denn wenn sich das Virus im Körper ausgebreitet hat, kann es Schäden verursachen. Man sollte verhindern, dass es überhaupt so weit kommt.» Viele Studien deuten darauf hin, dass der Verlauf der Krankheit umso schwerer ist, je mehr Viren sich im Körper befinden. Bei Geimpften reagiert das Immunsystem schnell, falls sie sich mit Covid anstecken. Antikörper und weisse Blutzellen bremsen die Ausbreitung sofort. «Ein Medikament nimmt man dagegen erst ein, wenn man sich richtig krank fühlt», sagt Weber. «Dann hat man schon massenhaft Viren im Körper.»
Entsprechend hoch muss die Dosis von antiviralen Wirkstoffen im Körper sein. So müssen von Molnupiravir fünf Tage lang je 1600 Milligramm eingenommen werden. Das ist jeweils 16000-mal mehr Wirkstoff, als in dem am höchsten dosierten mRNA-Impfstoff enthalten ist.
Medikament bewirkt Mutationen
Ein direkter Vergleich ist zwar nicht möglich, da das Medikament über den Darm ins Blut gelangt, der Impfstoff aber injiziert wird. Die verabreichten Moleküle allerdings sind durchaus ähnlich. Bei mRNA-Impfstoffen gibt es keine Anhaltspunkte für Langzeitfolgen, dagegen sind solche Befürchtungen bei Molnupiravir durchaus berechtigt. Denn es wirkt, indem es Mutationen im Virus verursacht. Eine US-Studie zeigte, dass im Erbgut von Säugetierzellen nach 32 Tagen durchaus Veränderungen entstehen. «Man nimmt allerdings das Medikament über einen viel kürzeren Zeitraum ein», sagt Günthard. «Aber wir müssen Langzeitfolgen sehr genau untersuchen.»
Vermutlich hat Paxlovid weniger Nebenwirkungen, denn das Pfizer-Präparat wirkt anders. Es löst keine Mutationen aus, sondern hemmt ein Virusenzym, sodass sich der Erreger nicht mehr vermehren kann. «Man kann momentan noch nicht viel über mögliche Nebenwirkungen sagen», sagt Volker Thiel. «Wir müssen abwarten, bis klinische Daten von möglichst vielen Patienten vorliegen.» Er sieht Chancen in einer Therapie mit beiden Wirkstoffen. «Da beide Präparate verschieden wirken, bietet sich die Möglichkeit einer Kombinationstherapie an, die nochmals effizienter sein und vor allem eine mögliche Resistenzbildung erschweren sollte.»
Doch das bleibt eine Notlösung für Risikopatienten, die durch die Impfung unzureichend geschützt sind und deshalb erkranken. Zudem werden die Medikamente knapp sein: Pfizer wird zunächst 50 Millionen Dosen bis Ende 2022 herstellen, Merck sogar nur 20 Millionen. Die Preise sind noch nicht bekannt, aber billig werden sie wohl nicht. «Bisherige antivirale Therapien gegen Covid kosten jeweils Tausende Franken», sagt Günthard. Demgegenüber stehen etwa 35 Franken für eine Impfdosis von Moderna. Zudem leisten die Medikamente keinen Beitrag, um die Pandemie einzudämmen. «Auf Bevölkerungsebene werden die Medikamente kaum einen Unterschied machen», sagt Günthard. «Die Impfung wird auch weiterhin entscheidend sein, um die Pandemie in den Griff zu bekommen.»
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