«Ich schluckte mehr als zehn Jahre lang verschiedenste Opioide»
Sie wurde von einem Auto überfahren – und erhielt wegen ihrer Schmerzen Opioide verschrieben. Die Ärztin Nathalie Steiner* kam fast nicht mehr davon los.
Aufgezeichnet von Otto Hostettler:
Ich hatte Medizin studiert und gerade das Staatsexamen hinter mir. Eines Tages ging ich an meinem Wohnort auf dem Trottoir. Da erfasste mich ein rückwärtsfahrendes Auto und überfuhr mich buchstäblich. So begann meine über 20-jährige Leidenszeit. Ich schluckte in dieser Zeit sicher mehr als zehn Jahre lang verschiedenste Opioide.
Unmittelbar nach dem Unfall realisierte ich: Etwas ist nicht gut. Ich hatte starke Nacken- und Kopfschmerzen, mir war schwindlig und übel, ich konnte mich nur schlecht konzentrieren und fast nicht mehr schlafen. Zuerst erhielt ich eine Halskrause und entzündungshemmende Schmerzmittel. Die Diagnose lautete: Schleudertrauma.
Es folgten unzählige Abklärungen. Ich war beim Orthopäden, beim Rheumatologen, beim Neurologen, später bei einer sogenannten Infiltrationstherapie. Zeitweise erhielt ich zur Unterstützung auch Antidepressiva. Schliesslich wussten die Ärzte nicht mehr weiter.
Das verhängnisvolle Pflaster
Es war ein Leben am Anschlag. Ich hatte andauernd massive Schmerzen, wie eine permanente Migräne . Dann versuchten sie es mit Tramal, einem schwachen Opiat. Es nützte nichts. Schliesslich verabreichte man mir Buprenorphin, ein starkes Opioid, das über ein Pflaster in den Körper gelangt. Wenn die Dosis etwas höher war, musste ich erbrechen. Immer wieder versuchte ich in den folgenden Jahren, die Betäubungsmittel zu reduzieren. Aber ganz absetzen konnte ich sie nicht, weil die Schmerzen sonst unerträglich wurden.
Nach zehn Jahren Behandlung war ich gleich weit wie am Anfang. Die starken Opioide wurde ich nicht los, die Schmerzen waren trotzdem da. Ich fühlte mich wie in Watte gebettet – ähnlich beduselt wie mit Alkohol. Distanziert gegenüber dem Schmerz – aber auch gegenüber mir selbst und allem anderen.
Irgendwann reifte in mir die Überzeugung: Ich will das alles nicht mehr. Ich muss zu mir selber finden und lernen, was mir guttut. Über Umwege fand ich einen Psychosomatiker. Zugleich ging ich zu einem Physiotherapeuten. Ich begann wieder Sport zu treiben: Wenn ich joggen ging, fühlte ich mich besser. Das war so etwas wie ein erster Durchbruch. So konnte ich zum weniger starken Tramal wechseln.
Bewegung und Achtsamkeit
Geholfen hat mir schliesslich eine Mischung aus Physiotherapie, Sport und schlicht mehr Achtsamkeit für mich selber. Das ist jetzt so einfach gesagt, aber es war ein langer Prozess. Schliesslich setzte ich die Opiate komplett ab. Ich hatte nur schwache Entzugserscheinungen. Aber die Schmerzen nahmen zu.
Es waren 20 schmerzhafte Jahre – und auch 20 frustrierende Jahre. Ich wollte den Schmerz besiegen, das war mein Muster. Aber Durchbeissen und Aushalten bringt nichts. Das führt nur zu neuer Anspannung und zu noch mehr Schmerz. Man will den Schmerz nur noch weghaben, ihn sich wegdenken. Das ist dann genau die Wirkungsweise der Opiate: Man schwebt auf einer Wolke und entfernt sich vom Schmerz.
Rückblickend muss ich sagen: Ich hätte viel früher jemanden gebraucht, der mir zuhört. Stattdessen musste ich faktisch auch noch die Hilflosigkeit der Ärzte mittragen. Indirekt sagte man mir: Es liegt an mir, dass die Therapie nicht wirkt.
Inzwischen bin ich überzeugt, dass das Hirn nicht unterscheidet zwischen emotionalem und körperlichem Schmerz. Heute gibt es Momente, in denen ich tatsächlich schmerzfrei bin. Nicht oft, aber immer mal wieder. Und ich habe gelernt, welche Hinweise mir der Schmerz gibt. Damit kann ich gut leben.
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3 Kommentare
Hast du dir dann schon mal überlegt ob deine Methoden ,Weg etc . vieleicht nicht von deinen Patienten verstanden wird. Ich bin selbst Schmerzpatient , müsste aufgrund meiner beschwerden eigentlich täglich physio zusätzlich zu meinen übungen zuhause machen. aber das ist so gut wie unmöglich. Ich stelle fest das ich meinen Physiotherapeten oft nicht verstehe,was er von mir will so wie er eine übung beschreibt. nur hake ich dann nach und frage . Aber ich gebe zu das wenn der Schmerz schlimm ist ,die Versuchung immer gross ist in die Vermeidung zu gehen. Das leider versteht nur jemand der selbst chronische Schmerzen hat. Da hilft keine nochso gute Ausbildung.
Ich verzweifle als Physiotherapeut fast immer wieder daran, dass nur sehr wenig Schmerzpatienten bereit sind selbst aktiv zu werden und mitzuarbeiten. Sie kommen und wollen Physiotherapie wie ein Medikament konsumieren. Ich bekomme es ( passiv - der Therapeut hat etwas für mich zu tun ), und dann hat es besser zu sein. Ich kann genau so weiter machen wie bisher. Genau so wies zu den Beschwerden geführt hat. Sie fühlen sich dadurch belästigt, wenn sie selbst für sich etwas verändern müssten.
An Aditi
Oje, Sorry dass ich lachen muss, aber mir geht es als Dentalhygienikerin nicht viel anders.
Die Patienten reagieren teilweise aggressiv wenn sie an Ihrem Verhalten etwas ändern sollten. Heute gebe ich innerlich die Verantwortung an den Patienten ab.
Ich habe keine Lust mehr daran zu verzweifeln.