«Wir beobachten die Situation heute viel engmaschiger»
Die Mücken mochten den warmen Frühling 2018. Und sie brachten in Südeuropa eine Krankheit mit, die über 150 Tote forderte: Das West-Nil-Virus. Was bedeutet das für Blutspenden?
Veröffentlicht am 25. Oktober 2018 - 17:10 Uhr,
aktualisiert am 29. Oktober 2018 - 17:06 Uhr
Über 1400 erkrankte Personen und 154 Tote: Das ist die bisherige Zwischenbilanz der Infektionen mit dem West-Nil-Virus in Europa. Eine Krankheit, die über Mückenstiche vom Tier zum Menschen übertragen wird und etwa bei jedem vierten Infizierten zu grippeähnlichen Beschwerden wie Fieber, Kopf-, Muskel- oder Gelenkschmerzen und Übelkeit, Erbrechen und Durchfall sowie oft zu einem Hautausschlag führt. (mehr dazu siehe «Wissenswertes zum West-Nil-Virus» am Artikelende)
Während die meisten Erkrankten nach drei bis fünf Tagen ganz ohne Behandlung wieder gesund werden, kann die Krankheit bei geschwächten Personen einen schweren Verlauf nehmen mit einer Entzündung des Hirngewebes, der Hirnhaut oder auch des Herzmuskels – und schlimmstenfalls tödlich enden.
Auf der Meldeliste für Infektionskrankheiten des Bundesamtes für Gesundheit ist bis dato keine einzige Erkrankung seit Anfang 2016 verzeichnet. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass sich in den Sommermonaten keine in der Schweiz lebende Person in den Risikogebieten Norditaliens, Griechenland oder Südfrankreichs angesteckt hat. Dass kein Fall gemeldet wurde, könnte vor allem damit zusammenhängen, dass betroffene Personen in den meisten Fällen nicht merken, dass sie sich mit dem Virus angesteckt haben. Denn ihr Immunsystem vermag den Eindringling erfolgreich mit Antikörpern zu bekämpfen.
Die Gefahr, dass die Krankheit über das Tessin in die Schweiz gelangen könnte, ist aber real. Denn gerade Norditalien gilt als Risikogebiet für das West-Nil-Fieber. Deshalb sah sich das Blutspende SRK Schweiz diesen Sommer gezwungen, auf die Situation zu reagieren, wie Direktor Bernhard Wegmüller im Interview sagt. Denn infiziert sich jemand und spendet danach Blut, stellt seine Konserve eine Gefahr für den Empfänger dar: Der Erreger oder auch Antikörper befinden sich noch etwa einen Monat im Blut – und sind für Menschen mit geschwächtem Immunsystem lebensbedrohlich.
Beobachter: Wie problematisch ist das West-Nil-Virus für das SRK?
Bernhard Wegmüller: Wir mussten seit den Sommermonaten fast wöchentlich neue Gebiete innerhalb von Süd-Europa in die Risikogebiete deklarieren, weil von dort Infektionsfälle beim Menschen gemeldet wurden. Wenn ein Spender sich mehr als 24 Stunden in einem dieser Gebiete aufgehalten hat, wird er gebeten, erst nach vier Wochen wieder zu einer Spende zu kommen.
«Im Tessin müssen wir jede Blutspende auf das West-Nil-Virus testen – das ist sehr teuer.»
Bernhard Wegmüller, Direktor Blutspende SRK Schweiz
Wie siehts mit dem Tessin aus? Das West-Nil-Virus ist da fast bis an die Schweizer Grenze vorgedrungen.
Im Tessin mussten wir eine andere Vorgehensweise wählen. Denn durch die grosse Nähe und dem häufigen Grenzverkehr wollten wir es vermeiden, zu viele potentielle Blutspender enttäuschen zu müssen. Hier testen wir darum bis Ende November systematisch jede Blutprobe auf das West-Nil-Virus. Bislang war zum Glück keine der Blutspenden positiv.
Wie leicht lässt sich dieses Virus denn im Blut nachweisen?
Wir verwenden Tests, die allgemein sehr empfindlich sind. Bei der Einzeltestung des West-Nil-Virus ist der Nachweis innerhalb der ersten drei Tage möglich. Eine HIV-Infektion kann man erst nach zehn bis 14 Tagen im Blut nachweisen. Das Problem beim West-Nil-Virus ist aber, dass jeder Test 20 Franken kostet und wir jede Blutspende einzeln auf das Virus überprüfen müssen. Die Kosten für den Test machen etwa 10 Prozent des Gesamtpreises aus, die wir an Spitäler abgeben.
Das Blut wird aber auch noch auf weitere Erreger und Viren getestet.
Richtig, wir testen die Blutspenden standardmässig auf den HIV-Virus, Syphilis, den Ringelröteln-Erreger Parvovirus B19, sowie Hepatitis A, B, C und seit dem 1. Oktober diesen Jahres auch Hepatitis E.
Kosten diese Tests denn auch so viel wie jener für das West-Nil-Virus?
Nein, weil wir für diese Krankheiten etablierte Routinetests haben, kostet er nur wenige Franken pro Test. Zudem können wir etwa beim Hepatitis-E-Virus (HEV) Kosten einsparen, indem wir einen Massentest machen. Hierzu mischt man eine kleine Blutprobe von 24 Personen zusammen und testet dann dieses Blutgemisch. Der Test ist ausreichend empfindlich, dass er positiv ausschlägt, wenn nur eine der 24 Personen mit HEV infiziert ist. Ist eine Probe positiv, werden dann alle 24 Blutkonserven nochmals einzeln getestet, um die HEV-positive Konserve zu finden.
«Durch die Klimaerwärmung rücken nichteuropäische Krankheiten immer näher an die Schweiz – das können wir nicht ignorieren.»
Bernhard Wegmüller
2016 versetzte das Zika-Virus Menschen in Angst und Schrecken, 2017 machte der Fall einer Vierjährigen Schlagzeilen, die sich in Italien mit Malaria angesteckt hatte und starb, jetzt fürchten sich die Menschen vor dem West-Nil-Virus. Wie ernst ist die Lage?
Man muss das differenzieren. Das Zika-Virus kam bislang nur in Weltregionen vor, die ohnehin mit Wartefristen nach der Rückreise für die Blutspende verbunden sind. Das heisst, wenn man während der letzten sechs Monate nach Brasilien gereist ist, darf man kein Blut spenden. Das gleiche gilt für Malaria-Regionen
wie Afrika. Und bislang ist eine
Malaria-Ansteckung innerhalb von Europa so gut wie ausgeschlossen. Es gab nur vereinzelte Meldungen wie den Fall in Italien. Mit dem West-Nil-Virus haben wir in diesem Jahr beobachtet einen deutlichen Anstieg einer nicht europäische Krankheit.
Bereitet Ihnen das Sorge?
Zurzeit ist die Situation nicht kritisch. Aber die Krankheit durch die Klimaerwärmung immer näher an die Schweiz heranrückt. Das können wir nicht einfach ignorieren. Wir beobachten deshalb die Lage sehr nahe. Wir sind seit einigen Jahren vorbereitet und es besteht ein Plan, alle Blutspenden bei Bedarf zu testen.
- Das West-Nil-Virus gehört zu den sogenannten Zoonosen: Vor allem Zugvögel, Gänse, aber auch Säugetiere wie Pferde, Hunde und Katzen können Träger des Erregers sein. Die Ansteckung vom Tier zum Menschen erfolgt über einen Stich einer infizierten Mücke oder durch den Biss einer infizierten Zecke. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist nicht möglich.
- Seinen Namen hat das Virus 1937 erhalten, als Forscher es erstmals im West-Nil-Distrikt von Uganda entdeckten. Anders als bei der Krankheit Malaria, die nur durch Mückenarten übertragen wird, die in Europa bislang nicht heimisch sind, kann das West-Nil-Virus auch über die gemeine Stechmücke übertragen werden – eine in Europa weit verbreitete Art.
- Gemäss Information des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) wurde das Virus bislang noch nie bei Tieren in der Schweiz beobachtet. Verdachtsfälle müssen aber dem Bestandestierarzt gemeldet werden, da es sich beim West-Nil-Virus um eine zu bekämpfende Tierseuche handelt. Aufgrund der aktuellen Lage in Europa hat das BLV in seinem monatlich veröffentlichten Bulletin die Gefahr, dass die Krankheit auch bei Tieren in der Schweiz auftreten könnte per Anfang September von klein auf mittel erhöht.
- Das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) hat sowohl bei Tieren als auch bei Menschen die meisten Infektionsfälle mit dem West-Nil-Virus in Italien (bislang 536 erkrankte Personen und 43 Todesfälle seit Anfang 2018), vor Griechenland (294 Erkrankte und 35 Toten) und Rumänien (268 Erkrankte, 38 Tote).
- Das West-Nil-Virus verläuft bei 75 Prozent der Infizierten symptomfrei, bei 25 Prozent treten leichte Beschwerden auf und bei weniger als einem Prozent befällt das Virus das Nervensystem und führt zu Gehirn- oder Hirnhautentzündungen. Eine vorbeugende Impfung gibt es nicht, das Bundesamt für Gesundheit empfiehlt die bei Mücken üblichen Schutzmassnahmen: langärmlige, weite Kleider, Mückenspray und zum Schlafen ein imprägniertes Mückennetz.
Wer darf Blut spenden?
- Die spendewillige Person muss allgemein über einen guten Gesundheitszustand verfügen, zwischen 18 und 60 Jahre alt und mindestens 50 Kilogramm schwer sein.
- Keine grösseren Operationen und keine Geburt in den letzten 12 Monaten - Kein Drogenkonsum oder ständig neue und wechselnde Sexualpartner
- Einschränkungen mit Wartefristen gelten nach Reisen in bestimmte Länder, aber auch bei kürzlich erfolgten Impfungen oder Grippe-Erkrankungen. Weitere Informationen zu den Spendekriterien finden sich auf der Homepage des SRK
Wie ehrlich sind Blutspender bei der Selbstdeklaration potentieller Risikofaktoren?
Die Zuverlässigkeit der Spender beim Ausfüllen der Fragebogen lässt sich laut Bernhard Wegmüller daran messen, wie viele Blutproben mit HIV und Hepatitis C gefunden werden. 2017 hat das SRK 282'421 Blutspenden erhalten. Davon waren 2 HIV-positiv (0,0007%) und 12 Hepatitis-C-positiv (0,004%). Wegmüller betont aber, dass auch diese Fälle nicht bedeuten, dass die Spender den Fragebogen nicht korrekt ausgefüllt haben, sondern dass sie sich unbewusst angesteckt haben.
Wie hoch ist der Spenderanteil in der Schweiz?
Auf die ganze Bevölkerung der Schweiz bezogen spenden 2,5 Prozent der Schweizer regelmässig Blut. Zieht man von der Gesamtbevölkerung noch jene ab, die wegen ihres Alters nicht in Frage kommen, beträgt die Spenderate etwa 4,1 Prozent. Laut Wegmüller ist zudem die Spendenbereitschaft in ländlichen Gebieten höher als in den Städten und der Agglomeration.