Lange war die Karriere wichtiger als ein Kind. Für mich wie für meinen Mann. Er arbeitet an einer Universität, ich bei einer Bank. Wir lieben unsere Berufe und konnten uns nicht vorstellen, einem Kind zuliebe weniger zu arbeiten. Im Nachhinein sagen wir beide, dass das ein grosser Fehler war.

Ich war 38, als ich endlich die Pille absetzte. Aber meine Mens blieb aus. Die Frauenärztin empfahl mir Progesteron, ein weibliches Geschlechtshormon. Normalerweise produziert es der Körper selbst; es sorgt für eine regelmässige Mens. Ich habe mir immer vorgestellt, dass es das Selbstverständlichste auf der Welt ist, schwanger zu werden. Aber wenn auch nur ein einziges Hormon nicht mitspielt, wird es plötzlich unmöglich.

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Was ist daran noch «natürlich»?

Ich kann gar nicht aufzählen, wie viele Hormone ich wofür einnehmen musste, vaginal, oral oder in Bauch und Beine gespritzt. An das Progesteron erinnere ich mich so gut, weil sich anfangs etwas in mir dagegen sträubte. Ehrlich gesagt, ich hatte panische Angst. Hormone können ja einen massiven Einfluss auf Körper und Psyche haben. Das war mir unheimlich, ich musste mich jedes Mal überreden.

Die Mens kehrte dank dem Progesteron zurück. Damals war ich noch nicht bereit für die künstliche Befruchtung. Ich wollte es auf natürlichem Weg versuchen – wobei «natürlich» hier irgendwie falsch klingt. Es fühlte sich überhaupt nicht natürlich an. Eher, als hätte ich mich in eine Zuchtsau verwandelt.

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Die Frauenärztin verschrieb mir nach der zweiten Mens ein zweites Hormonpräparat. Es sollte das Wachstum der Eizellen und den Eisprung stimulieren. Alle paar Tage bat sie mich zur Ultraschallkontrolle. So behielt sie die Grösse der Eizellen im Auge. Als diese perfekt war, spritzte sie mir ein weiteres Hormon, um den Eisprung auszulösen. So konnte sie genau berechnen, dass der Eisprung in den nächsten 24 bis 36 Stunden stattfände. Das war wichtig. In dieser Zeit sollten mein Mann und ich möglichst viel Sex haben.

So ging das alle vier Wochen, mehrere Monate lang. Mein Leben wurde bestimmt durch Ultraschall- und Sextermine. Ich konnte keine Dienstreisen mehr machen, fehlte ständig bei der Arbeit. Der Sex auf Kommando, so nannten mein Mann und ich es, funktionierte auch nur selten. Wir stritten oft, machten uns gegenseitig Vorwürfe, weil wir den Kinderwunsch so lange aufgeschoben hatten.

Ich glaube, dass wir uns beide sehr allein fühlten. Allein mit unserer Sehnsucht nach einem Kind. Allein mit unserer Überforderung. Ich nahm zu, dauernd war mir übel. Eine grosse Traurigkeit überkam mich. Ich traute mir nichts mehr zu, war irgendwie ängstlich, weinte häufig, machte nur noch selten mit Freundinnen ab.

Die Scham vor anderen Frauen

Ich führte diese Gemütszustände auf die Hormone zurück. Meine Frauenärztin widersprach. Jedes Mal, wenn ich bei ihr damit anfing, lächelte sie und sagte, die Hormone seien heute so dosiert, dass sie kaum Nebenwirkungen hätten. Sie lächelte meine Ängste und Fragen einfach weg.

Sonst konnte ich mit niemandem darüber reden. Es wusste ja niemand von den Behandlungen, meinen Freundinnen erzählte ich nichts. Irgendwie schämte ich mich. Ich empfand meine Probleme, schwanger zu werden, als Makel, als Mangel. Als etwas, was mich gegenüber anderen Frauen herabsetzte.

Es dauerte lange, bis ich mich entschied, es mit künstlicher Befruchtung zu versuchen. Meinem Mann fiel der Entscheid leichter. Er wünschte sich unbedingt ein Kind. Bei mir war der Wunsch nicht mehr so klar. «Wenn es nicht sein soll, soll es nicht sein», dachte ich oft. Wahrscheinlich kam mein Zögern auch daher, dass ich die fast grenzenlosen Möglichkeiten der heutigen Medizin eher kritisch sehe.

«Mein Leben wurde bestimmt durch Ultraschall- und Sextermine. Bei der Arbeit fehlte ich ständig.»

Ich spürte damals einen grossen Druck. Würde unsere Ehe es überstehen, wenn ich mich gegen die künstliche Befruchtung und ein Kind entschied? Und würde ich es mit meinen Überzeugungen vereinbaren können, wenn ich mich dafür entschied?

Dann gab ich mir einen Ruck, und die Frauenärztin meldete mich bei einem Kinderwunsch-Zentrum an. Ich bekam einen auf mich zugeschnittenen Therapieplan. Bei der künstlichen Befruchtung geht es ja darum, dass möglichst viele reife Eizellen heranwachsen. Dazu spritzt sich die Frau Hormone. Die reifen Eizellen werden unter Kurznarkose abgesaugt und im Labor mit dem Sperma befruchtet.

Leben wie ein Junkie

Aber längst nicht alle Eizellen lassen sich befruchten. Und von den befruchteten sterben einige ab. Meist bekommt man eine, maximal zwei befruchtete Eizellen wieder in die Gebärmutter eingeführt. Die übrigen kann man einfrieren lassen – für spätere Versuche. Um die Chancen zu erhöhen, dass sich die Eizelle einnistet, nimmt die Frau weitere Hormone.

Während zweier Wochen spritzte ich mir jeden Morgen Hormone, abwechselnd in Bauch und Oberschenkel. Auf Youtube gibt es Filme, die zeigen, wie das geht. Trotzdem hatte ich jeden Morgen Angst, etwas falsch zu machen. Vor allem fand ich es schrecklich, diese lange Nadel in Bauch und Oberschenkel zu stossen. Die Hände zitterten, ich kam mir vor wie ein Junkie. Und die blauen Flecke überall, rund um die Einstiche. Das sah so schrecklich aus, dass ich lange aufs Schwimmen verzichtete.

«Ich wollte sterben, monatelang wollte ich nur noch sterben.»

Ich nahm die Hormone in sehr hoher Dosis. Trotzdem reiften nur vier Eizellen heran. Davon blieben zwei befruchtete übrig. Ein mageres Ergebnis, aber es klappte, ich wurde tatsächlich beim ersten Versuch schwanger. Wir konnten unser Glück kaum fassen. Für mich das schönste Gefühl, das ich je hatte. Dann hatte ich am Ende des dritten Monats eine Fehlgeburt. Ich wollte sterben, monatelang wollte ich nur noch sterben.

Viele Frauen haben eine Fehlgeburt. Vor allem wenn sie durch künstliche Befruchtung schwanger werden. Weil sie eben oft – wie ich – schon älter sind. Heute ist mir das bewusst. Ich stelle mir manchmal ein riesiges Heer von Müttern vor, die ihre zu früh geborenen Kinder an der Hand führen.

Als ich mich wieder gefangen hatte, wollten wir es erneut versuchen. Seltsam: Nun hatte ich null Hemmungen, die Hormone zu spritzen. Und auch die ständigen Kontrollen machten mir nichts mehr aus. Ich sehnte mich nur noch nach diesem Glücksgefühl, schwanger zu sein. Ich wollte dieses Gefühl um jeden Preis zurückhaben. Das ist kaum auszuhalten. Man will etwas, was sich nicht erzwingen lässt, weder mit Leistung noch mit Geld, noch mit Technik. Man muss stillhalten und abwarten, während es in einem schreit.

Mein Körper produzierte trotz höchstdosierten Hormonen immer weniger reife Eizellen. Meistens konnten zwei, manchmal drei abgesaugt werden, nie mehr. Trotzdem war ich jedes Mal fest überzeugt, dass sich wenigstens eine befruchten lasse und überlebte. Ich ging zur Arbeit, machte Sport, kochte, aber in Gedanken war ich nur bei diesen Eizellen. Ich suchte nach Zeichen für mein bevorstehendes Glück. Wenn ich irgendwo einen Regenbogen sah oder morgens eine Amsel hörte – egal was, ich deutete es immer als gutes Zeichen.

Warten auf den Anruf aus dem Labor

Der Anruf aus dem Labor kam jeweils zwei oder drei Tage nach dem Absaugen der Eizellen. Meist hiess es: «Leider hat sich keine befruchten lassen.» Das war jedes Mal ein Schock. Ich bekam Atemnot, musste mich setzen, und nach einer Ewigkeit konnte ich endlich weinen. Während Tagen weinte ich fast jeden Abend, wenn ich nach Hause kam. Oft gab es Momente, in denen ich nur noch sterben wollte. Allein der Gedanke an einen weiteren Versuch hielt mich aufrecht.

«Dann brachen wir die Behandlung ab. Unsere Ehe stand kurz vor dem Aus. Wir wollten sie retten.»

Mein Mann ging anders damit um. Er wurde wütend, trug seinen Groll vor sich her. Wir gingen uns aus dem Weg, schwiegen uns an. Er hielt meine Tränen nicht aus, ich seinen Ärger nicht. Nur selten hiess es: «Wir haben eine, die Qualität ist gut. Übermorgen können wir sie einführen.» Das waren absolut euphorische Momente. Ich frage mich, wie ich diese extremen Gefühle ertrug, ohne dass es mich zerriss.

Wenn eine befruchtete Eizelle eingeführt wurde, fühlte ich mich jeweils wie eine Königin. Ehrlich gesagt fühlte ich mich sogar ein bisschen schwanger. Ich schonte mich, strich oft über meinen Bauch, hoffte, hoffte, hoffte. Ständig ging ich auf die Toilette, um zu kontrollieren, ob kein Blut in der Unterhose war. Kein Blut bedeutete: Die befruchtete Eizelle war noch drin, hatte sich vielleicht schon eingenistet.

Der Horror vor dem Blutfleck

Bis irgendwann doch ein winziger Blutfleck alle Hoffnung zunichtemachte. Dann brach ich zusammen, heulte, zitterte. Und gleichzeitig versuchte ich, das Blut aufzuhalten. Das war natürlich sinnlos. Je länger, je mehr Blut trat aus. Das machte mich wahnsinnig. Es fühlte sich an, als wollte ich gegen die Zeit anrennen. Oder fliessendes Wasser mit blossen Händen einfangen. Als hinge mein Leben davon ab.

Die Kosten waren ein Grund, warum wir die Behandlung nach dem achten Versuch abbrachen. Mehrere zehntausend Franken hatten wir schon ausgegeben. Mehr ging nicht.

Ausserdem ertrugen wir es nicht mehr, uns und unser gesamtes Leben abhängig zu machen von diesem Zufall, dass es vielleicht einmal klappen würde. Unsere Ehe stand kurz vor dem Aus. Wir wollten sie retten.

Diese Versuche waren für mich fast wie eine Sucht. Es war hart, abzuspringen. Als müsste ich nicht nur einen Traum begraben, sondern einen Teil von mir selbst.

So lange hatte ich das Glück nur in der Schwangerschaft gesucht, dass ich sicher war, es nirgends sonst zu finden. Es dauerte fast ein ganzes Jahr, bis ich bereit war, es an anderen Orten zu suchen.