In fünf Wochen sechs Kilo schwerer, ohne dass sie die Essgewohnheiten geändert hätte: Gerda Müller (Name geändert) konnte sich nicht erklären, was mit ihr los war. «Mein Körper veränderte sich so schnell, es war beängstigend», sagt die Ernährungsberaterin. Erst dachte sie an die Wechseljahre. Doch dazu passten die Schmerzen und Schwellungen in den Unterschenkeln und den Innenseiten der Knie nicht. Sie ging regelmässig laufen in der Annahme, Bewegung helfe. Aber die Schwellungen wurden eher schlimmer, und das zusätzliche Gewicht blieb.

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«Reiterhose» oder «Elefantenbeine»

Die 46-Jährige leidet an einer autoimmunen Rheumaerkrankung. Vielleicht hätten ihre neuen Beschwerden damit zu tun, war Schmids zweite Vermutung. Also liess sie sich Lymphdrainagen bei einer Physiotherapeutin verschreiben.

Diese schickte sie zu einem Facharzt für Gefässerkrankungen. Dessen Befund war klar: ein Lipödem, eine übermässige Fettansammlung in den Beinen. Man spricht auch von «Elefantenbeinen» oder dem «Reiterhosensyndrom». Bei Gerda Müller war das Krankheitsbild typisch: Der Oberkörper blieb schlank, die Beine quollen immer stärker auf.

Am Lipödem erkranken vorwiegend Frauen. Die Ursachen sind nicht geklärt. Vermutlich wird die Krankheit vererbt. Sie kann aber auch ohne familiäre Häufung vorkommen, manchmal bereits in der Pubertät, oft aber erst während einer Schwangerschaft oder in den Wechseljahren.

Wie viele Frauen betroffen sind, weiss man nicht genau. Schätzungen zufolge ist es jede zehnte, aber nicht jede suche einen Arzt auf. Die Krankheit ist «unterdiagnostiziert».

Mit der klaren Diagnose hatte Gerda Müller Glück. «Ärzte erkennen ein Lipödem oft nicht, sie denken an Cellulite, also an etwas medizinisch Unbedenkliches», sagt sie. Oder raten pauschal zu mehr Sport und zum Abnehmen. Doch das allein hilft nicht. Ein Lipödem entwickelt sich unabhängig vom Gewicht. Bekannt ist, dass sich mit einer Gewichtszunahme ein vorhandenes Lipödem verstärkt. Die unproportionale Fettverteilung bleibt, auch wenn die Frauen wieder abnehmen.

Gerda Müller fühlte sich nach der Diagnose allein gelassen. Ausrichten könne man nicht viel, wurde ihr gesagt, die Beschwerden liessen sich allenfalls mit Kompressionsstrümpfen mildern. Die Strümpfe machten alles nur schlimmer. «Es war schon unerträglich, wenn nur eine Bettdecke auf meinen Beinen lag», erzählt sie. Ihr Unterkörper passte nicht mehr in normale Hosen. Und sie wusste nicht, was sie essen durfte. «Vielen Frauen ergeht es so», sagt sie. «Sie quälen sich mit Schuldgefühlen und entwickeln häufig Essstörungen.»

Fett absaugen brachte Linderung

Gerda Müller suchte geeignete Behandlungsmethoden. Ein Jahr nach Ausbruch des Lipödems liess sie sich das Fett absaugen, von den Waden bis zu den Oberschenkeln. Ein grosser Schritt, aber einer, der ihr Lebensqualität zurückbrachte.

«Seither habe ich meine Beine einigermassen im Griff», sagt sie. Die Schmerzen liessen nach, neues Fett bildete sich nicht. Nur an heissen Tagen, wenn sie längere Zeit stehen muss, schwellen Knie und Unterschenkel an. Sie müsse sich ausgewogen ernähren, täglich bewegen und ihre Kompressionsstrumpfhose tragen. Man empfahl ihr massgeschneiderte, flachgestrickte. Diese seien teuer, aber wirksam. Für die Kosten der Behandlungen kam sie selbst auf.

Gerda Müller findet es unfassbar, dass das Lipödem erst in einem späten Stadium als Krankheit anerkannt wird, wenn es für eine Behandlung womöglich zu spät sei. Mit ihrer Selbsthilfegruppe will sie daher Betroffenen eine Anlaufstelle bieten und Wissen vermitteln: «Das Lipödem wurde bereits 1940 das erste Mal beschrieben. Es handelt sich keineswegs um eine neue oder unbekannte Erkrankung.»

Quelle: Thinkstock Kollektion
Lipödem: Was ist das?

Wie verläuft die Erkrankung?
Man unterscheidet drei Stadien (siehe Grafik). Wie stark die Beschwerden sind, hängt nicht vom Verlauf ab. Ein kaum sichtbares Lipödem kann starke Symptome auslösen, bei einer fortgeschrittenen Erkrankung muss das nicht der Fall sein.


Wann sind Lipödeme nicht nur ein optisches Problem?
Sammelt sich in den Fettzellen Wasser, können sich Ödeme bilden. Spannungsgefühle und Druckschmerzen sind die Folge.


Lipödem und Lymphödem – was ist der Unterschied?
Beides kommt oft gemeinsam vor, typisch sind die Schwellungen. Lymphödeme zeigen sich aber meistens zuerst an den Füssen. Man passt in keinen Schuh mehr. Das Lipödem hingegen beginnt meistens am Knöchel. Beim Lymphödem wird eiweissreiche Flüssigkeit im Gewebe gestaut. Das kann zu Gewebeverhärtung führen. Anders als das Lipödem ist ein Lymphödem nicht schmerzhaft.


Wie erkennt man ein Lipödem?
Eigentlich reicht dem Arzt eine «Blickdiagnose», sie setzt aber voraus, mit dem Krankheitsbild vertraut zu sein. Eine speziellere Diagnostik ist sinnvoll, um Krankheiten wie Arthrose, Lymphprobleme, Rheuma oder Venenschwäche auszuschliessen oder festzustellen. Abklären können dies Phlebologen und Angiologen (Spezialisten für Gefässerkrankungen).


Muss man Lipödeme behandeln?
Es ist grundsätzlich gutartig und ungefährlich. Aber es kann die Lebensqualität einschränken, wenn es schmerzhaft ist. Hinzu kommt der ästhetische Aspekt. Welche Therapien sinnvoll sind, hängt vom Ausmass der Beschwerden und den Bedürfnissen der Frau ab. Zunächst kommen in der Regel Kompressionsbehandlungen in Frage, manchmal kombiniert mit Lymphdrainage. Das Problem: Oft werden Kompressionsstrümpfe schlecht vertragen, und sie ändern nichts am übermässigen Fett. Im fortgeschrittenen Stadium kann man es mit einer Liposuktion absaugen lassen. Die Technik mit Tumeszenzanästhesie gilt als gute Methode. Fettabsaugen kann Beschwerden lindern und die Optik verbessern, gertenschlank werden die Beine aber nicht. Und: Es braucht oft weitere Operationen, um überschüssige Haut zu entfernen. Vor dem Eingriff wird zu einer gründlichen Abklärung geraten. Frauen, die zum Lipödem auch ein Lymphödem haben, sollten besonders vorsichtig sein. Letzteres kann sich durch das Fettabsaugen verschlimmern.


Ist ein Lipödem heilbar?
Nein, die Gefahr eines Rückfalls besteht vor allem bei grossen Gewichtsschwankungen.


Wer bezahlt den Eingriff?
Die Krankenkassen beteiligen sich nur in Einzelfällen an den Kosten einer Fettabsaugung, die mehrere tausend Franken kostet. Ihre Begründung: Die Behandlungsmethode sei nicht etabliert, Langzeitergebnisse fehlten. Auch Kompressionsstrümpfe werden meist nur bezahlt, wenn zusätzlich ein Lymphödem diagnostiziert wird. Man braucht mindestens zwei bis drei Paar pro Jahr. Wenn sie von guter Qualität sind, kostet das rund 2500 Franken.

Weitere Informationen

Selbsthilfegruppe: www.lipoedem-schweiz.ch

Wissen, was dem Körper guttut.
«Wissen, was dem Körper guttut.»
Chantal Hebeisen, Redaktorin
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