Ob die Singstimmen der Eltern, eine Beethoven-Sonate oder der Soundtrack eines Films – Musik berührt uns im Innersten und schafft es, den Blutdruck oder den Spiegel des Stresshormons Cortisol zu senken. Oder sie setzt Glückshormone frei und wirkt aufmunternd.

«Musik ist eine vorsprachliche Urform der Kommunikation», so der deutsche Neurologe Eckart Altenmüller, der an der Musikhochschule Hannover den Einfluss der Musik auf das Gehirn erforscht. «Musik führt dazu, dass sich Menschen in einer Gruppe zusammengehörig fühlen.»

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Wie gut dies funktioniert, wissen alle, die schon einmal an einem Konzert waren. Doch was passiert dabei genau? Klänge sind Schwingungen in der Luft. Wenn sie das Ohr erreichen, leiten die Hörnerven sie in einer Zehntausendstelsekunde als elektrische Impulse an das Gehirn weiter. Im Hörzentrum verknüpft die Grosshirnrinde die Impulse mit einem Netzwerk aus Erinnerungsspuren. Wie Hören geht, lernen wir bereits im Mutterleib. Ab der 21. Schwangerschaftswoche bilden sich die Hörbahnen des Fötus aus, der nun die ihn umgebenden Klänge wahrnimmt. 

Auch die Art und Weise, wie wir Musik schätzen, ist eine Lernerfahrung. Neurologe Eckart Altenmüller zeigt dies am folgenden Beispiel: Wer ein unbekanntes Musikstück von Anfang des 20. Jahrhunderts das erste Mal höre, bekomme den Eindruck eines komplexen Chaos. «Dieses wird vom Gehirn nach und nach eingeordnet. Wir machen dabei etwas für uns Menschen Grossartiges: Wir überführen die Unsicherheit in die Sicherheit.» Dieser Prozess wird vom Gehirn mit dem Glückshormon Dopamin belohnt, gemäss Altenmüller eine «sehr basale und wunderbare Erfahrung für uns Menschen».

Musikmachen macht smart

Als Mediziner, Musiker und Leiter des Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizin weiss Altenmüller genau, wovon er spricht: Als junger Mann studierte er neben Humanmedizin auch Querflöte und kennt die Kraft der Musik aus eigener Erfahrung: «Beim gemeinsamen Musizieren entsteht das Gefühl, den anderen zu vertrauen.» Dieses Aufgehobensein in der Gruppe beglückt Musiker besonders stark – stärker als etwa Teamsportler. Denn beim Musizieren mit anderen schüttet unser Gehirn auch noch das Bindungshormon Oxytocin aus – ähnlich wie beim Kuscheln oder nach dem Sex.

Nicht nur auf unsere Gefühle hat Musik einen grossen Einfluss. Berufsmusiker verfügen auch über ein besseres Arbeitsgedächtnis als Nichtmusiker. Diese Unterschiede lassen sich messen. Neurowissenschaftler Lutz Jäncke von der Universität Zürich und sein Team haben im Rahmen einer Studie im Magnetresonanztomografen die Hirnstrukturen von 50 Nichtmusikern und 103 Profimusikern analysiert. Dabei sind sie auf deutliche Unterschiede gestossen: Bei Musikern sind die Hörareale beider Hirnhälften anatomisch und funktionell stärker miteinander verbunden als bei Nichtmusikern.

Zudem ist das Hörareal bei den Musikergehirnen stärker mit den anderen Hirnbereichen vernetzt. Etwa mit jenen, die für die Verarbeitung und die Kontrolle von Gedächtnisinhalten zuständig sind. Darüber hinaus hat Musizieren noch einen ganz anderen Effekt. «Die eingeübte Koordination zwischen Hören und Motorik beim Musizieren, etwa beim Zupfen von Saiten, wirkt sich positiv auf die Hirnplastizität aus», erklärt Jäncke. Diese Fähigkeit des Gehirns, sich durch Training zu verändern, ist die Grundvoraussetzung für jedes Lernen.

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Musiktherapie nach Schlaganfall

Die vielen positiven Effekte der Musik auf die Menschen macht sich auch die Musiktherapie zunutze. In der Rehabilitationsklinik Valens SG ist Musiktherapie seit Jahren ein Bestandteil der Ergo- und Physiotherapie.

Dabei hat Neurologe Jürg Kesselring, der 30 Jahre die Klinik leitete, interessante Beobachtungen gemacht: So konnten Patienten, die nach einem Schlaganfall nicht mehr sprechen konnten, problemlos in der Gruppe ein Lied singen. «Das ist möglich, weil die Melodiebildung im Gehirn an einem anderen Ort organisiert ist als die Semantik, also der Wortinhalt», erklärt Kesselring. Er gibt zu bedenken, dass sich die Neurologie jahrzehntelang auf das konzentriert habe, was nicht mehr funktioniert. Ihn habe immer interessiert, was noch möglich ist. Das ist auch im höheren Alter noch einiges, wie er festhält: «Zeitlebens kann unser Gehirn neue Verbindungen zwischen Nervenzellen bilden. Jene, die man braucht, stabilisieren sich. Deshalb ist der aktive Gebrauch des Gehirns so wichtig.» Dabei reiche es aber nicht, wenn Schlaganfallpatienten ein bestimmtes Musikstück hörten, um zu lernen, die Gabel besser zu halten. Die Betroffenen werden ermuntert, verschiedenen Instrumenten Klänge zu entlocken, die auch gespielt werden können, wenn sie nur noch einen Arm bewegen können. Das geht etwa mit einem Xylofon, dem Klavier oder dem Psalter, einer Art Hackbrett. 

Zur Rehabilitation von Schlaganfallpatienten mit Musik forscht auch Neurologe Eckart Altenmüller. In Studien konnte er nachweisen, dass Patienten in einer Schlaganfallrehabilitation mit Musiktherapie grössere feinmotorische Fortschritte machten als eine Kontrollgruppe, die das gleiche Trainingsprogramm ohne Musik absolvierte. Dazu geht er mit seinem Team in Kliniken und fragt die Patienten, ob sie Klavierspielen lernen wollen. «Der Vorteil dabei ist, dass die Patienten spielerisch an das Instrument herangehen können – und so weniger belastet sind durch Selbstansprüche als bei einer herkömmlichen Rehabilitation, die defizitorientiert ist», betont Altenmüller. «Für viele Patienten ist es viel interessanter, mit der betroffenen Hand eine Melodie zu lernen, als zu üben, Wäscheklammern an einer Leine zu befestigen.» Sie erhalten am Klavier auch ganz direkt ein positives Feedback in Form eines schönen Klangs. 

Klänge aktivieren Emotionen

Kein Wunder, kann die Musiktherapie auch Patienten mit psychischen Leiden wie Blockaden, Depressionen oder Traumata helfen. In der Schweiz bezahlt dies je nach Krankenkasse die Zusatzversicherung.

Musiktherapeutin Heidi Fausch hat erlebt, dass «bei hartgesottenen Jungs schon mal Tränen fliessen, weil sie durch die Musik auf ihre Verletzungen und zarte Gefühle stossen». Fausch arbeitete während vieler Jahre in Kliniken sowie in ihrer eigenen Praxis für Musiktherapie und bildete im In- und Ausland angehende Musiktherapeuten aus. Je nach Situation lauschen die Patienten der Musik oder probieren Klänge auf einem Instrument aus, das sie selber gewählt haben. «Rhythmen und Klänge wirken im Gehirn auf unser limbisches System, das für Emotionen zuständig ist», sagt Fausch. Die Musik helfe, schneller zu den eigentlichen Themen vorzudringen. Zum Beispiel wenn ein Junge in der Familientherapie den anderen Familienmitgliedern ein Instrument zuordnet und dadurch unausgesprochene Konflikte offenlegt. Oder wenn ein Paar durch gemeinsames Tanzen und Musizieren realisiert, dass es viel besser harmoniert als gedacht.

Wer selber Musik macht, profitiert von einem positiveren Effekt auf die Hirnleistung als beim blossen Zuhören. Das liegt daran, dass das Musizieren gleichzeitig die motorischen Zentren und Hörregionen des Gehirns anspricht. Dies zeigte sich auch in einer Studie von Eckart Altenmüller in Zusammenarbeit mit der Universität Genf. Von 136 Seniorinnen und Senioren erhielt die Hälfte ein Jahr praktischen Musikunterricht, die andere Unterricht in Musiktheorie. Dann wurden die Hirnleistungen der Probanden getestet. Diejenigen, die Musikunterricht bekamen, zeigten bei lauten Hintergrundgeräuschen bessere Gedächtnisleistungen, eine schnellere Reaktion und ein besseres Sprachverständnis.

Musikalisches Gedächtnis bei Demenz

Auch Menschen mit Demenzerkrankungen kann Musiktherapie helfen. Bei seiner Arbeit auf Demenzstationen macht sich Neurologe Altenmüller das musikalische Gedächtnis der alten Menschen zunutze. Besonders tief gespeichert und mit starken positiven Erinnerungen belegt ist die Musik, die wir im Alter zwischen 15 und 35 Jahren gern gehört haben. Wenn demente Menschen diese Musik hören, etwa Chansons oder Volkslieder, reagieren sie oft sehr eindrücklich: Manche, die zuvor apathisch auf dem Stuhl sassen, horchen auf, lächeln, singen oder beginnen, sich zu bewegen. Altenmüller: «So geben wir ihnen eine Insel der Identität und Sicherheit zurück.»

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