Wenn Patienten plötzlich selbst zahlen müssen
Helsana erstattet ihren zusatzversicherten Kunden grosszügig Kosten für Osteopathie-Behandlungen zurück. Doch nun streicht die Versicherung reihenweise Therapeuten von ihrer Liste - und Patienten müssen alles selbst berappen.
Veröffentlicht am 21. Februar 2018 - 14:57 Uhr,
aktualisiert am 21. Februar 2018 - 14:47 Uhr
Michael Stadler ist sauer auf die Helsana. Der Osteopath wurde, wie rund 100 weitere Osteopathen, letztes Jahr vom Krankenversicherer von der Liste der Komplementärmediziner gestrichen. Diese gibt Patienten Aufschluss darüber, für welche Therapeuten sie einen Teil der Behandlungskosten von ihrer Zusatzversicherung für Komplementärmedizin zurückerhalten. «Obwohl wir die Patienten sowohl auf unserer Webseite als auch bei der Terminvereinbarung darauf hinweisen, dass einige Therapeuten in unserer Praxis von der Helsana-Liste gestrichen wurden, kommt es manchmal zu unangenehmen Situationen», sagt Stadler. Die Patienten seien verärgert, dass sie jahrelang Prämien einzahlen und dann, wenn sie die Leistungen in Anspruch nehmen wollen, kein Geld erhalten.
Zwar weist Helsana auf ihrer Webseite darauf hin, dass sie sich nur an den Kosten für Alternativtherapien beteiligt, wenn der Therapeut auf ihrer Liste aufgeführt ist. Doch stehen auf der Liste drei unterschiedliche Kategorien für Osteopathen zur Auswahl, wobei für die Kunden nicht klar ist, was hinter den Begriffen steckt, beziehungsweise was die Unterschiede zwischen den Ausbildungsstufen sind.
Verärgert über das Vorgehen der Helsana ist auch eine Patientin von Stadler. Seit 2 Jahren ist sie immer wieder in Behandlung bei ihm. Anfangs erstattete Helsana der Patientin einen Teil der Therapiekosten zurück, dann plötzlich nicht mehr. «Man kommt sich verschaukelt vor, denn es ist manchmal willkürlich, was die Krankenkasse zahlt und was nicht», sagte die Patientin gegenüber der Sendung «Eco» des Schweizer Fernsehens SRF. Denn anders als andere Krankenkassen verspricht die Helsana, sich unabhängig von der Höhe des Behandlungstarifs zu 75 Prozent an den Therapiekosten zu beteiligen – aber eben nur, wenn ein Therapeut auf ihrer Liste aufgeführt ist.
Doch warum beendet die Krankenkasse plötzlich die Zusammenarbeit mit einem diplomierten Osteopathen, der seit 2013 offiziell als Therapeut anerkannt ist? Der Grund sind die – gemäss Helsana – zu hohen Behandlungstarife von Stadler und weiteren Komplementärtherapeuten. «Wir schreiben Therapeuten jeglicher Therapiemethoden an, wenn die Rechnungsstellung auffällt», erläutert Stefan Heini, Mediensprecher der Helsana, das Vorgehen. «Honoraransätze müssen wirtschaftlich sein und einem marktüblichen Niveau entsprechen», so Heini.
Konkret bedeutet das für Osteopathen: Kostet eine Behandlung mehr als 168 Franken pro Stunde, respektive verrechnet der Therapeut mehr als 14 Franken pro fünf Minuten, wird er von der Krankenkasse aufgefordert, seine Preise zu senken. Andernfalls wird er nach einer Übergangsfrist von der Helsana-Liste gestrichen.
«Ich müsste die Behandlung verlängern, um kostendeckend zu sein.»
Michael Stadler, Osteopath und Vorstandsmitglied Schweizerischer Verband der Osteopathen
«Der einzelne Osteopath ist unternehmerisch frei und kann seinen Ansatz selbst festlegen – doch auch wir sind in der Zusatzversicherung frei in der Wahl der Leistungserbringer», sagt Helsana-Sprecher Heini. Weil Michael Stadler pro Stunde 170 Franken, respektive 110 Franken pro halbe Stunde verlangt, wurde er schliesslich von der Liste gestrichen. «Ich kann und will die Preise nicht senken, denn die Konsequenz wäre, dass ich die Behandlungen für Helsana-Patienten künstlich verlängern müsste, um kostendeckend zu sein», sagt der 33-jährige Osteopath. «Dagegen wehre ich mich.» Die halbstündige Behandlung sei im Übrigen deshalb prozentual teurer, weil die therapeutischen Entscheidungen im ersten Teil der Konsultation gefällt werden und auch der Administrativaufwand unabhängig von der Behandlungsdauer gleich bleibe.
Stadler, der beim Schweizerischen Verband der Osteopathen (SVO) Verantwortlicher für den Versicherungsausschuss ist, schlug der Helsana vor, dass sich die Versicherung bis zum Höchstbetrag von 168 Franken beteiligen soll und die Kunden den Aufpreis selbst berappen. Das habe die Helsana aber abgelehnt.
Besonders stossend findet Stadler, dass die Krankenkasse mit der Giesskanne einen einheitlichen Satz für die ganze Schweiz festlegt. «Wir haben unsere Praxis direkt am Zürcher Central, das ergibt unweigerlich eine andere Preisstruktur als beispielsweise für eine Praxis in La Chaux-de-Fonds.»
Helsana-Sprecher Heini bestätigt, dass man höhere Grundkosten wie Miete oder Mitarbeiterlöhne beim Höchstansatz nicht berücksichtigt habe. «Eine solche Prüfung wäre in der Praxis unmöglich umzusetzen», sagt Heini und ergänzt: «Unsere Zahlen zeigen aber, dass ein Grossteil der Leistungserbringer, vor allem jene, die sich nicht in Grossstädten befinden, deutlich tiefere Ansätze verrechnen als der von uns festgelegte Höchstansatz.»
«Es ist nicht Aufgabe der Krankenkassen, die Preise zu definieren.»
Rudolf Happle, Geschäftsführer Organisation der Arbeitswelt Alternativmedizin Schweiz
Laut Angaben des Verbandes SVO haben rund 100 Osteopathen darauf verzichtet, den Stundenansatz anzupassen und wurden in der Folge von der Liste gestrichen. Wie viele weitere Therapeuten aus der sogenannten Erfahrungsmedizin von einer Streichung betroffen sind, ist nicht bekannt. Laut der Helsana hätten aber bisher etwa 300 Leistungserbringer verschiedener Therapiemethoden ihre Tarife angepasst und 20 gestrichene Therapeuten hätten im Nachhinein eine Wiederaufnahme in die Liste beantragt.
Auch andere Branchenvertreter stört die Praxis der Helsana. Der Geschäftsführer der Organisation der Arbeitswelt Alternativmedizin Schweiz, Rudolf Happle, findet, es sei nicht Aufgabe der Krankenkasse, die Preisstruktur der Therapeuten zu definieren. «Das wäre, als würde ein Gericht den Anwälten sagen, wie viel sie maximal auf die Stunde verrechnen dürfen», sagt der eidgenössisch diplomierte Naturheilpraktiker. Zudem sei es nicht in Ordnung, wenn die Helsana einseitig eine Regelung aufstelle, ohne die Branche miteinzubeziehen.
Stadler sagt, Helsana sei der einzige Versicherer, der versuche, die Osteopathen mit ihrer Preispolitik unter Druck zu setzen. «Wir sind vom SVO aus mehrmals auf die Helsana zugegangen», sagt Stadler. Man habe die Versicherung auch auf eine potentielle Gefährdung der Patienten hingewiesen wegen mangelnder Fachkompetenz der Therapeuten (siehe Box weiter unten). «Aber Helsana lässt nicht mit sich reden.» Die Helsana findet, die Patientensicherheit sei in keiner Weise beeinträchtigt, eine Qualitätsprüfung durch das Erfahrungsmedizinische Register reiche, wie Helsana-Sprecher Heini sagt.
Heini argumentiert zudem, man setze sich im Sinne der Versicherten für nachhaltig bezahlbare Prämien ein. «Schlicht gelogen!», kontert Michael Stadler das Argument. «Helsana optimiert auf dem Buckel der Patienten ihren Profit», erzürnt er sich. Denn Krankenkassen sei es ja nur im Zusatzversicherungsbereich erlaubt, Gewinne zu machen.
Doch warum gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Helsana und Alternativtherapeuten so schwierig, während sie bei anderen Versicherungen offenbar reibungslos funktioniert? Der Grund liegt in einem Kostendeckel, den viele Versicherungen festsetzen. Die CSS limitiert beispielsweise die Höhe der maximalen Kostenbeteiligung – je nach gewähltem Versicherungsmodell – auf maximal 1000, 3000 oder 10'000 Franken pro Kalenderjahr. Patienten, die mehr Leistungen aus alternativen Behandlungsmethoden in Anspruch nehmen, wissen von Anfang an, dass sie diese Kosten selbst tragen müssen.
Zwar empfand auch die CSS in den vergangenen Jahren die Tarife einiger Therapeuten als zu hoch, wie Mediensprecherin Christina Wettstein sagt. Und sie ergänzt: «Von den Therapeuten, die wir angeschrieben haben, waren Osteopathen und TCM-Therapeuten überdurchschnittlich oft vertreten.» Man habe mit den Leistungserbringern jeweils das Gespräch gesucht, wenn sie hohe durchschnittliche Behandlungskosten pro Patient hatten. «Bis anhin haben wir sie aber nicht dazu aufgefordert, ihre Stundenansätze zu senken», sagt Wettstein. Wohl auch, weil sich die Versicherung durch den Preisdeckel sicher sein kann, dass die Kosten nicht durch die Decke gehen.
Was ist Osteopathie?
Die Osteopathie gehört zu den manuellen alternativen Behandlungsmethoden. Dabei wird nicht nur ein einzelnes Beschwerdesymptom angeschaut und behandelt, sondern der ganze Organismus des Menschen, inklusive Knochen, Organe und Gewebe. Der Osteopath sucht vor allem nach Bewegungsblockaden, welche Ursache für die Beschwerden des Patienten sein könnten, und versucht diese dann zu lösen.
Wie erkenne ich, ob ein Osteopath qualifiziert ist?
- Osteopath GDK: Wer als Osteopath arbeiten will, muss seit 2008 bei der interkantonalen Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) eine zweistufige Prüfung ablegen. Zu dieser Prüfung zugelassen ist, wer eine Matur und eine fünfjährige Vollzeitausbildung zum Osteopathen abgeschlossen und im Anschluss ein zweijähriges Praktikum bei einem anerkannten Osteopathen absolviert hat. Eine Ausnahme bilden derzeit noch die Kantone Zürich und Tessin, wo Therapeuten auch ohne GDK-Diplom praktizieren dürfen. Ein Eintrag im Erfahrungsmedizinischen Register (EMR) reicht hier.
- Osteopath D.O.: D.O. steht für Diplom in Osteopathie. Um dieses zu erlangen, muss man ein fünfjähriges Masterstudium absolvieren.
- Osteopathie/Ethiopathie EMR: Im EMR können sich auch Therapeuten eintragen lassen, die Osteopathie durch Weiterbildung (zum Beispiel als Ergänzung zum Physiotherapeuten) erlernt haben. Anders als Osteopathen mit GDK-Diplom fehlt ihnen aber die medizinische Erfahrung, um als sogenannter Erstversorger arbeiten zu können. Ab dem 1. Januar 2022 ist diese Registrierung nicht mehr möglich.
- Neues Gesetz: Voraussichtlich ab 2019 oder 2020 tritt das neue Gesundheitsberufegesetz in Kraft, das bisherige kantonale Regelungen ersetzt. Das Gesetz schreibt für Osteopathen ein fünfjähriges Masterstudium vor. Osteopathen ohne diese Ausbildung dürfen dann nicht mehr unter dem Titel Osteopath praktizieren.
3 Kommentare
Und: betreffend Grössenwahn in den Stundensätzen: schauen sie sich mal Stundensätzen von Anwälten, Psychologen und Ärzten an!
Osteopathie ist eine Leistung der Alternativmedizin. Es besteht keine Verpflichtung der Versicherer, hierfür eine Versicherungsleistung zu erbringen. Die Versicherungen definieren selbst, unabhängig von anderen Versicherungen, wie sie ihre Leistungen im Komplementärbereich erbringen wollen. Eine prozentuale Regelung, ohne definitive Obergrenze ist irrsinnig. Das gibt es in keiner vernünftigen Krankenversicherung. Es gibt einige Osteopathen, die eine rein prozentuale Regelung schamlos ausgenutzt haben, mit astronomischen Stundensätzen über 200,- teils sogar über 300,- SFr. Keine Versicherung ist verpflichtet, derartigen Grössenwahn auf alle Mitversicherten abzuwälzen.
Es besteht keinerlei Evidenz für die Wirksamkeit zur Heilung von Krankheiten für osteopathische Behandlung, weder für Craniale noch für Viszerale nich für Parietale Osteopathie. Trotzdem findet man seitenweise medizinische Indikationen für Osteopathie auf Webseiten von Osteopathen. Das ist eindeutig eine Irreführung des Verbrauchers!
Verbrauchern wird deshalb empfohlen, derlei Praktiken kritisch zu hinterfragen und unbedingt Kosten zu vergleichen.
Für jede manuelle Behandlung, egal welcher therapeutischen Richtung es sei, gilt grundsätzlich: Sollte nach einer einmaligen manuellen Behandlung keine Besserung oder Linderung erreicht werden, dann ist eine derartige Behandlung nicht sinnvoll und man muss mit anderen Methoden nach Ursachen und Lösungen suchen.
Keine Therapie rechtfertigt Wucher. Deshalb ist es gut, wenn Krankenkassen schwarze Schafe aussondern, so wie in diesem Fall geschehen.
dann müsste es auch so sein, dass nach 3-5 Pillen die Beschwerden gelindert sein sollten, sonst direkt zum Osteopathen :-)
Ja, es gibt teurere und günstigere Osteopathen! Ich erwarte von meiner Arbeit (als Osteopath), dass die Beschwerden nach 2-3 Behandlungen wenigstens teilweise besser werden sollten.
Und: Ich habe keine GDK-Diplom, weil ich meine Ausbildung NUR 6 Monate zu spät abgeschlossen habe, deshalb durfte ich nicht eine praktische Prüfung ablegen - deshalb darf ich mich ab 2025 nicht mehr als Osteopath anbieten :-(
Es geht NUR ums Geld, NICHT um Patientensicherheit, NICHT um "Kosten zu senken für die Patienten". Leider.