«Wir finanzieren, wenn sonst niemand bezahlt»
Die Medizinindustrie will vor allem Geld verdienen. An alternativer Forschung hat sie kein Interesse, sagt Ayșim Yılmaz vom Schweizerischen Nationalfonds. Doch da gebe es andere Möglichkeiten.
Veröffentlicht am 27. Februar 2018 - 15:59 Uhr,
aktualisiert am 27. Februar 2018 - 15:53 Uhr
Ayşim Yılmaz ist Leiterin der Abteilung Biologie und Medizin der Geschäftsstelle des Schweizerischen Nationalfonds.
Beobachter: Anbieter von alternativen Heilmethoden behaupten oft, es wäre viel zu teuer, ihre Therapie wissenschaftlich untersuchen zu lassen, um die Wirksamkeit zu beweisen. Das sagt auch der Arthrosetherapeut Roland Liebscher-Bracht. Ist das richtig?
Ayşim Yılmaz: Forschung ist teuer, besonders in der Medizin. Die Pharmaindustrie oder Gelenkprothesen-Hersteller haben meist kein Interesse an der Finanzierung solcher Studien. Aber es hindert niemand Herrn Liebscher-Bracht daran, eine unabhängige universitäre Forschergruppe für seine Therapie zu begeistern. In Deutschland finanziert die Deutsche Forschungsgemeinschaft qualitativ hochstehende wissenschaftliche Projekte, für die sich sonst kein Geldgeber findet. In der Schweiz bietet ein Spezialprogramm des Nationalfonds Unterstützung für unabhängige klinische Studien.
Beobachter: Investieren Pharmaindustrie und Gerätehersteller immer nur dann in Forschung, wenn sie später damit Geld verdienen können?
Yılmaz: Ja, im Grundsatz trifft das zu. Zwar betreiben auch Medikamentenhersteller sogenannte Grundlagenforschung. Doch diese ist letztlich ebenfalls ein Mittel zum Zweck der Firma, nämlich Geld zu verdienen. Die Industrie investiert aber auch viel Geld in die Erforschung neuer Therapieansätze, ohne Garantie auf Erfolg.
«Ich kann nicht ausschliessen, dass Profitinteresse einen Einfluss auf die Forschungsergebnisse hat.»
Ayşim Yılmaz
Beobachter: Beeinflusst das Interesse an einem Profit auch die Studienergebnisse?
Yılmaz: Ich kann einen Einfluss nicht ausschliessen. Es gibt einige Möglichkeiten, um in der Forschung Ergebnisse zu produzieren, die den eigenen Interessen entgegenkommen. Man kann zum Beispiel das Studienkonzept entsprechend gestalten oder Resultate nur selektiv publizieren. Das gilt aber für die gesamte Forschung.
Beobachter: War das der Grund, warum der Nationalfonds vor vier Jahren das Spezialprogramm geschaffen hat?
Yılmaz: Wir wollten ein Zeichen setzen und eine Stelle schaffen, die klinische Forschung finanziert, die sonst niemand bezahlen will.
Beobachter: Um was für Projekte geht es da?
Yılmaz: Wenn sich beispielsweise ein forschender Arzt dafür interessiert, ob und wie ein Medikament auch in einer geringeren als in der vom Hersteller empfohlenen Dosis wirkt, hat er es sehr schwer, einen Geldgeber zu finden. Hier springen wir ein. Oder auch wenn es darum geht, Forschung zu seltenen Krankheiten zu ermöglichen, an denen nur wenige Patienten leiden. Der Markt für Medikamente ist hier klein, die Pharmafirmen investieren dementsprechend nur zögerlich.
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Beobachter: Was können Sie Forschenden anbieten?
Yılmaz: Wenn das Projekt von uns genehmigt wird, geniessen die Forschenden vollkommene akademische Freiheit. Sie sind keinen Beschränkungen unterworfen, es stehen ihnen keine Verträge und Bedingungen im Weg, und sie können vorbehaltlos frei publizieren.
Beobachter: Wie viel Geld steht Ihnen zur Verfügung im Vergleich mit der Industrie?
Yılmaz: Wir finanzieren jährlich vier bis sieben hochwertige Studien, für die wir zehn Millionen Franken ausgeben können. Im Vergleich mit der Industrie ist das fast vernachlässigbar. Hersteller von Medikamenten und Medizinalprodukten können natürlich ein Vielfaches davon ausgeben.
Beobachter: Wäre es in Ihrem Sinn, wenn Firmen einen Zehntel ihres Forschungsetats der unabhängigen akademischen Forschung zukommen lassen müssen?
Yılmaz: Solche Forderungen werden immer wieder diskutiert. Es ist eine politische Frage. Dazu möchte ich mich nicht äussern.