Neurosen: «Wie kann ich angstfrei leben?»
Ich leide unter den verschiedensten Ängsten, und sie nehmen eher noch zu als ab. Wie soll ich damit umgehen? Soll ich ein Fachbuch darüber lesen? Nora F.
Veröffentlicht am 27. Mai 2003 - 00:00 Uhr
Natürlich könnten Sie ein solches Buch lesen,
doch bezweifle ich, dass es Ihnen hilft. Denn Angst lässt
sich nicht theoretisch bewältigen. Angst ist ein Gefühl,
das einem auf dem Magen liegt oder im Nacken sitzt: wahrscheinlich
die am schwersten zu ertragende Empfindung.
Während sich etwa Trauer in Tränen auflösen
kann, führt Angst zu einem Fluchtimpuls. Gibt man diesem
nach und wendet man sich von der Angst auslösenden Situation
ab, tritt Erleichterung ein was das Vermeidungsverhalten
verstärkt. Angststörungen haben deshalb die Tendenz,
sich auszubreiten. Zuerst ist es zum Beispiel nur ein Unbehagen
in engen Räumen mit vielen Leuten; plötzlich wächst
sich dieses Gefühl aber zur eigentlichen Klaustrophobie
aus. Dann wird es unmöglich, in eine Seilbahn zu steigen
oder Lift zu fahren.
Es gibt nur einen Weg, einen solchen Teufelskreis zu durchbrechen:
Man muss das Problem direkt angehen so wie der Märchenheld,
«der auszog, das Fürchten zu lernen». Wer
Ängste hat, muss sich den Angst auslösenden Situationen
stellen. Hält man durch, wird die Angst nach und nach
kleiner und die Freiheit wieder grösser.
Wichtig ist, dass man sich dabei nur ganz kleine Schritte
vornimmt. Jeder Erfolg gibt Mut und verkleinert die Angst.
Hilfreich ist auch, sich nach jedem erfolgreichen Schritt
mit etwas zu belohnen.
Im Bereich der Psychotherapien hat sich die Verhaltenstherapie
bei Angststörungen als besonders erfolgversprechend erwiesen.
Dafür braucht man jedoch die Unterstützung durch
eine erfahrene Fachperson.
Ich fürchte, es gibt kein Leben, das gänzlich
frei von Angst ist. Sie gehört dazu «weil
das Leben eben lebensgefährlich ist», wie Erich
Kästner schrieb. Dabei darf aber auch nicht vergessen
gehen, dass menschliche Nähe, Körperkontakt und
Gemeinschaftsgefühl jede Angst lindern.