Oft haben Patienten so viel Respekt vor Ärzten und Pflegepersonal, dass sie sogar dann schweigen, wenn sie einen Fehler bemerken. Ein solcher Fall ist etwa in einem Schweizer Spital passiert. Ein 67-jähriger Krebspatient sollte dort eine Chemotherapie erhalten. Zuerst ging er wie immer in die Sprechstunde des zuständigen Onkologen, berichtete diesem von seiner starken Übelkeit nach der letzten Infusion des Krebsmedikaments. Der Onkologe entschied darauf, dass die Dosis für den heutigen Besuch halbiert werden solle. Der Patient begab sich ins Behandlungszimmer, der Pfleger zeigte ihm den Infusionsbeutel – auf dem war die volle Dosis des Chemotherapeutikums vermerkt. Trotzdem liess sich der Mann die Infusion anlegen, ohne nachzufragen, warum.
«Patienten finden oft eine gute Erklärung für absurde Vorkommnisse – anstatt an das Naheliegende zu denken: Hier läuft etwas falsch», sagt David Schwappach, Direktor der Stiftung Patientensicherheit Schweiz und Professor am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Uni Bern. Er hat den geschilderten Fall im Rahmen einer Studie zu Sicherheitserfahrungen von Chemotherapie-Patienten dokumentiert. In der Fehleranalyse zeigte sich, dass die Information noch nicht bis zum Pfleger gelangt war, als dieser die Infusion anlegte. Der Behandlungsfehler verlief glimpflich, der Patient erlebte keine schweren Nebenwirkungen. «Aber das hätte auch schlimm ausgehen können», sagt Schwappach.