«Von klein auf habe ich ängstlich auf Spinnen und Insekten reagiert», sagt Lydia Senn (Name geändert). Zum Problem wurde ihre Phobie während einer Australienreise. «Wenn ich eine Spinne sah, bekam ich Panikattacken mit starkem Herzklopfen und unregelmässigem Atmen, und auch tags darauf war ich noch sehr angespannt». Es machte ihr immer mehr Mühe, zu verreisen. Zu Hause wurde ihre Phobie irgendwann zur alltäglichen Belastung.

Schliesslich meldete sich Senn beim Inselspital Bern für eine Therapie: In kleinen Schritten näherte sie sich dort den Tieren an – man konfrontierte sie erst mit Bildern von Spinnen, dann stellte man ihr die Tiere in einem Glas auf den Tisch. Und schliesslich gelang es Lydia Senn sogar, ohne Panik Spinnen ihren Arm hinaufkrabbeln zu lassen.

Phobie bedeutet Angst. Sie tritt in vielfältiger Form auf. Bekannt sind vor allem Spinnen-, Insekten- und Schlangenphobien, Höhen- und Flugangst oder Panik in Menschenansammlungen, öffentlichen Verkehrsmitteln, engen Räumen oder im Freien (Klaustrophobie beziehungsweise Agoraphobie).

Angst kann zur Krankheit werden
«Allen Phobien gemeinsam sind mehr oder weniger ausgeprägte Panikreaktionen: Herzrasen, Atemnot, Schwindel, Muskelstarre oder gar Todesangst», erklärt Wolfgang Schmitt, Leiter der Angst-Sprechstunde am Inselspital Bern. Experten schätzen, dass 20 Prozent der Bevölkerung einmal im Leben eine Panikattacke haben. Bei jeder siebten Person wird Angst zur Krankheit. «Angst ist an sich ein natürliches Frühwarnsystem und Panik ein Fluchtreflex», sagt der Psychiater. Zur Krankheit wird die natürliche Reaktion oft in Zeiten grosser beruflicher oder persönlicher Belastungen.

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Selbsthilfeprogramme kombiniert mit Entspannungstechniken können eine erste Hilfe bieten. «Ärztliche Hilfe ist dann nötig, wenn eine Vermeidungshaltung gegen die angstauslösende Situation entsteht und man sich deshalb im Alltag einschränkt», sagt Schmitt. Wer zu lange zuwartet, riskiert, dass sich aus der spezifischen Phobie, also der Angst vor gewissen Tieren oder Situationen, eine Angststörung entwickelt. Diese ist schwieriger zu behandeln, weil der ursprüngliche Auslöser nicht mehr eruierbar ist. «Phobien müssen möglichst frühzeitig behandelt werden, bevor sich ein Teufelskreis der Angst vor der Angst entwickeln kann», so Schmitt.

Spezifische Phobien sind mit Verhaltenstherapie gut heilbar: 90 Prozent der Behandlungen verlaufen erfolgreich. «Eine entscheidende Wirkung hat die schrittweise Konfrontation mit der angstauslösenden Situation», erklärt Wolfgang Schmitt. So steigen etwa Patienten mit Höhenangst am Ende in Begleitung auf ein Hochhaus. Patienten mit Spinnenphobien können in der Regel nach zehn Behandlungen ohne Medikamente normal mit ihrer Angst umgehen.

Skeptisch ist Wolfgang Schmitt gegenüber Therapiemethoden wie neurolinguistisches Programmieren und Biofeedback oder Handflächen-Phobietechnik, die nach einer einzigen Anwendung Erfolg verspricht. «Misstrauisch macht, dass sie bei völlig verschiedenen Symptomen wirken sollen», sagt Schmitt. Gefährlich seien solche Versuche vor allem auch, weil sich mit jedem Rückfall die Angst verstärkt und schliesslich chronisch wird. Dieses Risiko gehen auch Betroffene ein, die zu Beruhigungsmedikamenten greifen.

Lydia Senn wurde ein Jahr nach Abschluss ihrer Therapie vom Inselspital zur Nachkontrolle aufgeboten. «Während der Konfrontation mit einer Spinne blieb ich ruhig», sagt sie. Doch die Messungen der Herzschläge und des Hautwiderstands zeigten Ausschläge an. «Wichtig ist, dass das Gelernte immer wieder geübt wird, sonst lässt die Wirkung nach», sagt Wolfgang Schmitt. Gelegenheit dazu hatte Senn kürzlich während einer Reise: «In einer Unterkunft waren Kakerlaken im Zimmer. Ich wurde nervös und kribbelig und konnte sie nicht selber beseitigen. Aber es gelang mir, ohne Panik im Raum zu bleiben.»

Weitere Infos

  • Verhaltenstherapien werden von Psychiatern und Psychologen mit Zusatzausbildung durchgeführt. Die Grundversicherung der Krankenkasse bezahlt die Behandlung durch einen Psychiater.


Beratungsstellen

  • Angst-Sprechstunde, Psychiatrische Poliklinik, Inselspital Bern, Telefon 031 632 88 11
  • Angststörungen, Psychiatrische Poliklinik, Universitätsspital Zürich, Telefon 044 255 52 80
  • Verhaltenstherapie-Ambulanz, Psychiatrische Universitätsklinik Basel, Telefon 061 325 51 11


Buchtipps

  • Stefan Leidig, Ingrid Glomp: «Nur keine Panik! Ängste verstehen und überwinden»; Kösel, 2003, 176 Seiten, Fr. 27.30
  • Borwin Bandelow: «Das Angstbuch»; Rowohlt-Taschenbuch, 2006, 384 Seiten, Fr. 18.10