Seelenstörung: «Nur ich kann mich wieder zusammenflicken»
Jede wirkliche Heilung geht damit einher, dass sich der leidende Mensch selber für seine Genesung verantwortlich fühlt.
Veröffentlicht am 31. Juli 2001 - 00:00 Uhr
Das Problem:
Als ich vollständig durcheinander war, mich wie in einer Spirale gefangen und total einsam fühlte, dachte ich an Sie und wusste, dass nur ich mich selbst wieder zusammenflicken konnte. Die Werte hatten sich getarnt, alle meine Überzeugungen waren verschwunden, und ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Die Ideen in Ihrer Kolumne waren eine wertvolle Stütze für mich, und ich behalte sie als Schatz in meinem Besitz.
Maya F.
Koni Rohner, Psychologe FSP:
Es freut mich, dass ich in Ihrem Stabilisierungsprozess eine hilfreiche Rolle spielen durfte, ohne dass wir uns je begegnet sind und ohne dass wir einen Briefwechsel hatten. Ganz besonders freut mich aber, dass Sie offenbar ohne Medikamente wieder aus einer schweren psychischen Störung herausgefunden haben. Das ist nicht allen Menschen möglich.
Oft erzeugt der von Maya F. geschilderte Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit derart viel Angst, dass der Zustand nur mit Medikamenten auszuhalten ist, die die Nervenübertragung bremsen, so genannten Neuroleptika. Leider können diese nur die Symptome dämpfen, aber nicht wirklich heilen. Das hängt damit zusammen, dass es der Wissenschaft bisher nicht gelungen ist, die Grundursache für schwere psychische Störungen ausfindig zu machen.
Ich persönlich neige zur Annahme, dass solche Störungen einerseits durch ein seelisches Ungleichgewicht zwischen inneren Bedürfnissen und anderseits durch Verbote und Anforderungen der Umwelt ausgelöst werden. Unter besonderen Umständen kann die Spannung zu stark werden. Das steuernde Ich wird überflutet, verliert die Kontrolle, und der betroffene Mensch wird von einem Chaos von Eindrücken, Gedanken und Gefühlen erschüttert und verwirrt.
Oft kann ein Klinikaufenthalt Schutz und Entlastung bringen, oft können Medikamente die schwierigste Phase erträglicher machen. Leider kommt es aber immer wieder zu einem ungünstigen Nebeneffekt. Die Betroffenen werden durch die Behandlung entmündigt und finden den Rückweg in die Selbstverantwortung und in die Selbstständigkeit nicht mehr.
Ich beobachte dies immer wieder bei diagnostizierten Depressionen und Schizophrenien. Mir scheint jedoch, das Muster findet sich noch stärker bei physischen Erkrankungen. Die weit verbreitete Vorstellung, dass Ärzte für unsere Gesundheit zuständig seien und nicht wir selbst, fördert die passive Haltung vieler Patienten.
Umgekehrt hören aber auch viele Ärzte nicht auf ihre Patienten, wenn diese Medikamente reduzieren oder sogar absetzen möchten.
Ich bestreite nicht, dass es wichtig ist, Hilfe von andern annehmen zu können. Aber ich habe den Brief von Maya F. ausgewählt, weil die Praxis zeigt, dass jede wirkliche Heilung damit einhergeht, dass sich der leidende Mensch selber für seine Genesung verantwortlich fühlt. Die «Götter in Weiss» sind keine Götter, sondern Menschen. Und Psychotherapeuten können keine Seelenstörungen «entfernen» sie können die Heilung nur fördern und fachkundig begleiten.