Das Schweigen der Reichen an der Goldküste
Westwärts an die Goldküste. Hier zeigt sich: je dicker das Bankkonto, umso diskreter der Briefkasten.
Veröffentlicht am 21. Juli 2022 - 21:03 Uhr
In Widnau SG ist der Grenzposten ein Discopub, und Beat, der zechende Zöllner, hängt nach ein paar Stangen in den Seilen. Ich reise in den Westen, erzähle ich ihm, um ein paar Geheimnisse über die Schweiz zu erfahren. «Schöa, aber falsche Richtung», rheintalert Beat. Wer Dinge im Verborgenen tun wolle, müsse hier über ebendiese Brücke: «What happens in Vorarlberg, stays in Vorarlberg.» Die Habsburger seien nun aber nicht das Thema, sage ich und verstecke eine Zehnernote unter dem Bierdeckel. «Die Runde geht auf mich!»
An den Appenzellern haben sich schon ganz andere Kaliber die Zähne ausgebissen. Uwe Ochsenknecht zum Beispiel. Geheimniskrämerei gehört hier quasi zur Folklore. Keine Chance, ich lasse die grünen Hügel links liegen und steige erst in Herrliberg wieder aus dem Zug. Auf der Bahnhoftoilette riecht es nach Rosenwasser – Geld stinkt tatsächlich nicht.
Die Herrliberger Badi ist eine Suisse miniature. Reserviert für Einheimische, kein Zutritt mit Hunden oder mit Velos. Tauchen, Fischen, Surfen: untersagt. Die Türklingeln und Briefkästen sind entweder gar nicht beschriftet oder bloss mit den Initialen der Bewohner.
Fünf Sphären umhüllen die Erdkugel, über der Zürcher Goldküste kommt eine sechste hinzu: die Privatsphäre. Auf jedem Gittertor und vor jeder Garageneinfahrt steht: «Privat». Statt Seezugang gibt es hier Heckenwand. Ein Schild warnt vor dem Hund, und wem das zur Abschreckung nicht reicht, dem sticht die knallrote Signalleuchte der Alarmanlage ins Auge.
Dichte Hecken und unüberwindbare Steinmauern links der Seestrasse, rechts die typischen Terrassenüberbauungen mit Luxuswohnungen. Sie sehen aus wie Treppen für Riesen. Alle möchten ganz nach oben, doch ganz oben ist längst kein Platz mehr. Dort sitzt schon Christoph Blocher in seinem Kunstbunker und lächelt zufrieden. In der Schweiz leben 332'933 Millionärinnen und Millionäre. Doppelt so viele Menschen sind armutsbetroffen.
Während mir der Schweiss über die Wange läuft, zähle ich Autos. Zehn graue, sieben schwarze, ein paar weisse. Der weinrote Tesla ist ein Ausreisser. Sonst gilt, und das ist auch statistisch so erfasst: nicht auffallen. Das bringt auch bessere Chancen beim Wiederverkauf. Schweizerinnen und Schweizer sind nicht bloss diskret, sondern auch ziemlich pragmatisch.
Zu Fuss ist ausser mir niemand unterwegs bei dieser Affenhitze. Wer es sich leisten kann, verbringt den Tag auf dem Segelboot. Für den Garten sorgt der Gärtner, fürs leibliche Wohl der Caterer. Aber bitte nie zu früh. «Erst ab dem Mittag klingeln», steht auf dem goldenen Schild einer Villa in Küsnacht eingraviert. Leben wie ein Rockstar am Zürichsee.
Es gibt hier sogar eine Eigenheimstrasse, und die Tankstelle mit dem Billigsprit lautet auf den edlen Namen «L’ATELIER». Adel verpflichtet. Erst beim Tiefenbrunnen, eingangs der Stadt Zürich, beginnt die Demokratisierung des Sees. Plötzlich gibt es auch wieder Menschen. Sie liegen im Gras, und sie sind in einem ähnlichen Zustand wie Beat im Discopub.
Gern würde ich mich zu ihnen setzen und eine Dose Appenzeller mittrinken. Aber ich muss in den Aargau.
Im Bahnhofbuffet Aarau treffe ich Marcel. «Reich ist, wer frei ist», sagt er und zeigt mir stolz sein Generalabonnement der SBB. Als ich von ihm wissen möchte, wohin die Reise denn gehe, antwortet Marcel: «Das, mein Freund, geht dich nun überhaupt nichts an.»
Dieser Artikel ist Teil der Beobachter-Sonderausgabe «Hallo Helvetia».
Zum 1. August widmen wir eine Beobachter-Ausgabe ganz der Schweiz: Unsere Redaktorinnen und Redaktoren sind für «Hallo Helvetia» zu Entdeckungsreisen ausgeschwärmt und zeigen ein facettenreiches Bild unseres Landes im Jahr 2022.
Sie haben interessanten Stoff für zahlreiche Berichte gesammelt: Gespräche mit spannenden Menschen, überraschende Entdeckungen, Einblicke in aktuelle Entwicklungen und schwelende Konflikte. Es geht um Heimat und Identifikation, um Trennendes und Verbindendes.
1 Kommentar
So endet also ein Beitrag über die Goldküste, in der auch etliche Menschen mit Niedriglohn wohnen!! Leider nicht sehr authentisch beschrieben 🙈🤔, evtl klappt es ja beim nächsten ARTIKEL BESSER….good luck…..