«Sie kauft mehr, als sie braucht»
Was tun viele Schweizer in ihrer Freizeit am liebsten? Einkaufen. Wird daraus eine Sucht, hört der Spass jedoch rasch auf.
Veröffentlicht am 12. März 2010 - 17:01 Uhr
Frage von Susanna und Paul G.: «Unsere 21-jährige Tochter, die noch bei uns wohnt, scheint über ihre Verhältnisse zu leben. Sie kauft viel mehr Kleider und Kosmetikartikel, als sie braucht. Die Schränke und ihr Zimmer sind überfüllt. Wenn wir sie zum Sparen anhalten, wird sie wütend und sagt, das gehe uns nichts an.»
Da sind Sie in einer heiklen Situation. In der Tat ist Ihre Tochter erwachsen und allein für ihr Leben verantwortlich – auch für ihr Konsumverhalten. Zurechtweisen ist also nicht mehr angemessen, und auch Ratschläge sollten Sie nur noch geben, wenn Sie darum gebeten werden. Aber Sie dürfen natürlich Ihre Sorge ausdrücken. Zum Beispiel: «Wir machen uns Sorgen, weil wir das Gefühl haben, du hättest dein Einkaufsverhalten nicht im Griff. Wir fürchten, dass es etwas Suchtartiges hat.»
Weil das kein Angriff, sondern lediglich die Mitteilung von Gefühlen ist, sollte es keine Gegenreaktion provozieren, sondern eher zu einem Gespräch führen. Das kann Ihre Tochter zu vermehrter Selbstbeobachtung und Selbstreflexion anregen und verhindern, dass sie in ein unkontrollierbares Suchtverhalten abgleitet.
Eine Studie hat ergeben, dass knapp fünf Prozent der Schweizerinnen und Schweizer kaufsüchtig sind. Der Übergang zwischen Gefährdung und Normalität ist allerdings fliessend. Immerhin 33 Prozent haben eine Tendenz zu unkontrolliertem Kaufen, und wir alle sind natürlich aktive Mitglieder einer Konsumgesellschaft. Einkaufen ist für viele eines der beliebtesten Freizeitvergnügen. Wir alle stellen uns durch die gekauften Güter dar, die Konsummöglichkeiten bestimmen unseren gesellschaftlichen Rang mit.
Das Leiden beginnt, wenn die Kauflust zur eigentlichen Sucht wird. Dieser krankhafte Zustand ist charakterisiert durch totalen Kontrollverlust. Der oder die Betroffene verspürt einen unwiderstehlichen Drang zu kaufen, ungeachtet der Konsequenzen, die dieses Verhalten nach sich zieht. Bei kleinem Budget gerät man dadurch sehr schnell in die Schuldenfalle. Die gekauften Produkte können gar nicht alle verwendet werden und stapeln sich in der Wohnung. Andere Interessen werden vernachlässigt. Wenn der Kaufleidenschaft nicht nachgelebt werden kann, entstehen Entzugserscheinungen mit depressiven Gefühlen oder Nervosität. Nach dem Kauf dagegen zeigen sich oft Schuldgefühle wie bei anderen Süchten, und die Betroffenen versuchen, ihre Abhängigkeit zu verbergen.
Anfällig für eine Kaufsucht sind selbstunsichere Personen mit psychischen oder sozialen Problemen. Der Kaufrausch ermöglicht ein kurzes Vergessen, eine Flucht vor Konflikten und Belastungen. Eine Heilung muss deshalb zweigleisig erfolgen: Kaufsüchtige müssen lernen, ihre Impulse zu kontrollieren, gleichzeitig aber müssen seelische Konflikte und soziale Defizite aufgearbeitet werden. Beides kann in einer Psychotherapie oder auch in Selbsthilfegruppen geschehen.
- Beobachten Sie das berauschende Gefühl beim Kaufen genau: Was man erkennt, beherrscht einen weniger.
- Stellen Sie sich vor, wie es sein würde, das Gekaufte einen Monat später im Besitz zu haben: Der Zauber, den es im Moment des Begehrens hat, wird dann verschwunden sein.
- Planen Sie Einkäufe im Voraus und notieren Sie, was Sie kaufen wollen: Das erhöht die Selbstkontrolle und bremst das unüberlegte Zugreifen.
- Zahlen Sie mit Bargeld statt mit der Karte: Man nimmt deutlicher wahr, wie viel man ausgibt.
- Überprüfen Sie Ihr seelisches Gleichgewicht: Was fehlt Ihnen? Arbeiten Sie an den Mängeln und lassen Sie sich helfen, statt in den Kaufrausch zu fliehen.
Weitere Informationen
- Internet: www.verhaltenssucht.ch/kaufsucht
- Buchtipp: Carien Karsten: «Shoppen ohne Ende. Wenn Kaufen zur Sucht wird»; Verlag Patmos, 2008, 172 Seiten, CHF 34.50