Das Prinzip Viagogo
Die Ticketbörse Viagogo hat für jedes Konzert und Fussballspiel Tickets im Angebot – zu astronomischen Preisen. Ihr Geschäftsmodell sorgt dafür, dass immer weniger Eintritte zum Originalpreis erhältlich sind.
Veröffentlicht am 6. September 2018 - 14:15 Uhr,
aktualisiert am 6. September 2018 - 13:41 Uhr
Nachdem das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) 2017 mit einer Klage gegen Viagogo beim Handelsgericht Zürich unterlag, zog es das Urteil weiter ans Bundesgericht. Auch das höchste Gericht kam zum Schluss, dass die Nutzer von Viagogo nicht getäuscht werden. Für den Durchschnittskunden sei erkennbar, dass auf der Online-Plattform von Viagogo Tickets weiterverkauft würden. Das Unternehmen gebe nicht an, Erstverkäufer zu sein und mache auch sonst keine falschen Angaben über sich und sein Geschäftsmodell.
Update vom 6.1.2021
Dieses Mal sind es die YB-Fans, die sich ärgern: Viele werden kein Ticket für ein Champions League-Heimspiel ihres BSC Young Boys bekommen. Der offizielle Vorverkauf öffnet zuerst nur für Mitglieder und Besitzer von Saisonkarten. Um eines der wenigen Tickets zu erwerben, die dann noch übrigbleiben, braucht es schon eine Portion Glück, so gross ist die Nachfrage.
Wer genügend Geld hat, kann seinem Glück jedoch auf die Sprünge helfen. Im Internet waren bereits Tage vor dem offiziellen Vorverkaufsstart zahlreiche Tickets in allen Kategorien verfügbar. Der Preis: 340 Franken aufwärts – fünf bis siebenmal so teuer wie im Original.
Wie den YB-Fans geht es Sport- und Musikliebhabern in ganz Europa seit Jahren. Angeboten werden die Tickets von sogenannten sekundären Ticketbörsen: Onlineplattformen, die bereits verkaufte Tickets weiterverkaufen. Die bekannteste und berüchtigste ist «Viagogo». Das Unternehmen wurde 2006 in London gegründet und ist heute in Genf beheimatet.
Das «Prinzip Viagogo» funktioniert folgendermassen: Besitzer von Tickets können diese über die Online-Börse weiterverkaufen und bestimmen dabei selbst den Preis. Viagogo als Dienstleisterin bekommt von den Verkäufern eine Provision und verrechnet den Käufern eine Bearbeitungs- und eine Zustellgebühr. So zumindest die Theorie. In der Praxis erwirbt Viagogo selbst Tickets im grossen Stil, sobald diese in den Verkauf gehen – mit Hilfe bezahlter Käufer und Roboter-Software . Genaue Angaben dazu gibt es nicht, weil die Firma praktisch nicht gegen aussen kommuniziert und Anfragen von Medien nicht beantwortet.
Auch im Fall von YB vertrauen Viagogo und andere Tauschbörsen auf ihr bewährtes Vorgehen: Noch gibt es gar keine Tickets, trotzdem verkaufen sie bereits welche, weil sie sicher sind, später Tickets auftreiben zu können. «Wir haben Ticketpartner, die im Besitze eines YB-Saisonabos sind, womit die Plätze für die Champions League garantiert sind», schreibt etwa die Alltickets AG, eine in Thun beheimatete Ticketbörse. Die Firma erwirbt so Eintritte für die Champions League, die sie dann weiterverkauft, bevor der freie Ticketmarkt über die offiziellen Kanäle eröffnet ist. Entsprechend weniger Tickets zum Originalpreis gelangen überhaupt noch in den Verkauf.
«Wir warnen davor, dort Tickets zu beziehen.»
Stefan Stauffiger, YB-Medienstelle
Wie verbreitete diese Praxis ist, zeigt sich am Beispiel YB: Unmittelbar nachdem sich der Club für die Champions League qualifiziert hatte, setzte ein regelrechter Run auf Saisonkarten ein, auch aus dem Ausland. Die Bestellungen kamen kaum von echten Fans, sondern von den bezahlten Käufern und Robotern der Online-Ticketbörsen. YB sah sich gezwungen, den Verkauf von Saisonkarten vorübergehend zu stoppen. Denn wie fast alle Veranstalter will auch der Berner Fussballclub nicht, dass es neben den eigenen Ticketverkaufstellen noch weitere Ticketanbieter gibt. «Wir warnen davor, dort Tickets zu beziehen und lehnen jede Verantwortung ab», sagt Stefan Stauffiger von der YB-Medienstelle. Nicht nur seien die Preise meist «total überrissen». Immer wieder komme es vor, dass Fans mit gefälschten Tickets vor dem Eingang stehen, für die sie im Internet viel bezahlt hätten.
Wie das Geschäft der sekundären Ticketbörsen funktioniert, zeigt folgendes Beispiel: Bei den BSC Young Boys ist das günstigste Saisonabo für Erwachsene für 385 Franken erhältlich. Damit erwirbt der Besitzer das Vorkaufsrecht für bis zu drei Tickets für jedes der drei Champions League-Heimspiele (ab 125 Franken pro Paket). Diese Tickets verkauft er dann einzeln weiter für zum Beispiel 350 Franken pro Ticket. So kommen 3150 Franken Einnahmen zusammen bei Ausgaben von 760 Franken. Der Gewinn beträgt 2390 Franken.
Stauffiger warnt vor allen Ticketbörsen. Am meisten aber vor Viagogo. Denn zum Geschäftsprinzip, das viele als ungerecht empfinden, kommt bei der Firma aus Genf noch tausendfacher Ärger über unsauberes Geschäftsgebaren hinzu. Tickets werden zu spät geliefert oder sind ungültig, Veranstaltungen finden nicht statt und auf Beschwerden wird nie geantwortet. Auch vermeldete Viagogo mehrmals, ein Konzert oder Spiel sei auf dem direkten Ticketmarkt ausverkauft, obwohl das nicht stimmte.
Gegen die Geschäftspraktiken von Viagogo gingen bereits verschiedene Veranstalter gerichtlich vor
. Im Herbst 2017 hat zudem das Schweizer Staatsekretariat für Wirtschaft (Seco) beim Handelsgericht Zürich eine Zivilklage eingereicht. In den beiden Jahren zuvor waren beim Seco über 260 Beschwerden von Konsumenten eingegangen, aus dem In- und Ausland. Die Klage richtet sich jedoch lediglich gegen möglicherweise unlauteres Geschäftsgebaren von Viagogo. Am Prinzip, dass Firmen Tickets erwerben und teurer weiterverkaufen dürfen, ändert sie nichts.
«Ein solches Verbot würde ein Grundprinzip der Wirtschaftsfreiheit beeinträchtigen.»
Bundesrat Johann Schneider-Ammann
Denn das «Prinzip Viagogo» ist legal. Und soll es gemäss Bundesrat und Parlament auch bleiben. 2016 etwa lehnte der Nationalrat einen Vorstoss des Baselländer Nationalrats Sebastian Frehner (SVP) ab. Er wollte verbieten, dass man Tickets zu einem höheren Preis wiederverkaufen darf. Bundesrat Johann Schneider-Ammann argumentierte: «Ein solches Verbot würde ein Grundprinzip der Wirtschaftsfreiheit, des freien Wettbewerbs und der Eigentumsgarantie beeinträchtigen.»
Veranstalter können den Weiterverkauf aber einschränken. Zum Beispiel, indem sie Tickets personalisieren. In diesem Fall muss auf jedem Ticket der Name des Inhabers stehen. So verfuhr das Management des Musikers Ed Sheeran an seinem Konzert im Zürcher Letzigrund. Allerdings sind solche Personalisierungen unter anderem aus Datenschutzgründen nicht unumstritten. Der Bundesrat hat zudem klar gemacht, dass ein Veranstalter nicht ein generelles Weiterverkaufsverbot seiner Tickets aussprechen kann, indem er wiederum auf die Wirtschaftsfreiheit verwies.
Gegen das «Prinzip Viagogo» gibt es deshalb nur eine Möglichkeit: Keine Tickets von solchen Anbietern kaufen, vor allem nicht zum überhöhten Preis. Auch Fans sollten sich die Frage erlauben: 350 Franken und mehr – ist ein YB-Spiel das wirklich wert?
Mit vermeintlichen Gewinnversprechen versuchen dubiose Firmen, nicht nur sich selbst zu bereichern, sondern auch an Personendaten zu gelangen. Beobachter-Mitglieder erfahren, wie sie Konsumfallen erkennen, wie sie sich dagegen wehren und diese mittels Musterbrief direkt dem Seco melden können.