Kein Anschluss unter dieser Notfallnummer
Bevor man in den Notfall geht, solle man die Ärzte-Hotline konsultieren, heisst es. Eine Frau scheitert dabei aber gleich vier Mal. Es war nicht ihr Fehler.
Veröffentlicht am 8. Dezember 2017 - 18:06 Uhr,
aktualisiert am 20. Dezember 2017 - 18:00 Uhr
In den Augen brennt es ihr. Sie tränen. Und mittlerweile glühen auch ihre Ohren. Zum dritten Mal hat Kati Biellmann* eben versucht, den Ärztlichen Notfalldienst des Spitals Emmental telefonisch zu erreichen. Dazu hatte ihr die Zentrale des Spitals Burgdorf geraten. Doch Biellmann wird auch ein viertes Mal an der 0900er-Nummer scheitern.
Nicht weil niemand dran geht, sondern weil ihr eine Stimme ab Band jedes Mal zu Antwort gibt: «Dieser Anschluss ist für die gewünschte Verkehrsbeziehung gesperrt.» Egal, ob sie es mit ihrem Prepaid-Handy, dem Prepaid- sowie dem Geschäftshandy ihres Mannes oder über den Festnetzanschluss via VoIP-Technologie probiert.
Dabei wären die Ärzte-Hotlines eine gute Sache. Die richtige Adresse, wenn es sich nicht um einen lebensbedrohlichen Notfall handelt (dann unbedingt 144 wählen!) oder sich kein unmittelbarer Termin beim Hausarzt finden lässt.
Vor elf Jahren hat Georg Staubli am Kinderspital Zürich ein solches Beratungstelefon für Kindernotfälle eingeführt. Damit sollen unsichere Patienten oder Eltern beruhigt und die Notfallstationen entlastet werden. Denn «die Hälfte der Notfälle am Kinderspital Zürich gehört nicht in die Notaufnahme», erklärt Staubli im Interview mit dem Beobachter. Viel zu wenig würden die guten Angebote der Hotlines wahrgenommen, so der Leiter der Notfallstation weiter.
Zahlreiche Spitäler bieten diesen kostenpflichtigen Service unter einer 0900er-Nummer an – hauptsächlich für Kindernotfälle. Doch was nützt es, wenn diese Rufnummern nicht für alle erreichbar sind?
Kati Biellmann ist nicht die erste Patientin, die am Telefon nicht durchgekommen ist. Im Herbst 2015 lässt ein Berner Paar sein Kleinkind tagsüber vom Kinderarzt untersuchen. Am Abend verschlechtert sich der Zustand des Jungen. Die Eltern – verunsichert, was sie unternehmen sollen – wenden sich an das Kispiphone des Inselspitals. Ihr Anruf mit dem Prepaid-Handy wird aber nicht entgegengenommen. Es ertönt dieselbe Telefonansage wie bei Biellmann.
Ein Test des «Kassensturz» zeigt schliesslich, dass die 0900er-Notfallnummern mit Prepaid-Handys nicht erreichbar sind. Ein technisches Problem, von dem die Anbieter damals zum ersten Mal hören und keine Lösung parat haben. Das war Anfang 2016.
Dass ihre 0900er-Nummern für Prepaid-Handys nicht erreichbar sind, betrifft ausgerechnet jene Anbieter, die es gut mit ihren Kunden meinen. Weil sie für die Zeit in der Warteschleife keine Gebühr oder den Ortstarif verlangen. Erst wenn der Anruf durchgestellt ist, wird der volle Gesprächstarif fällig. Oft sind das etwas mehr als drei Franken pro Minute.
Da sich der Tarif während des Telefonats ändert und die effektiven Kosten erst nach Ende des Anrufs berechnet werden, weiss der Prepaid-Anbieter zu Beginn nicht, ob das verfügbare Guthaben des Kunden für den Anruf ausreicht. Aus diesem Grund hat das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) festgelegt, dass nicht sämtliche 090xer-Tarifmodelle für Prepaid-Angebote verfügbar sein müssen.
Mittlerweile sieht das erfreulicherweise anders aus – in den meisten Fällen. Verschiedene Betreiber wie Medphone, das für die Kantone Bern und Luzern solche Hotlines anbietet, haben seither eine zweite 0900er-Nummer explizit für Prepaid-Handys eingerichtet. Der Kniff: Eine Anrufminute kostet weniger, dafür wird auch die Zeit in der Warteschleife verrechnet. Somit kommt es nicht zu einem Tarifwechsel während des Anrufs, er funktioniert also auch via Prepaid-Handy.
Eine Ausnahme bildet die Ärztliche Notrufnummer Aargau (0900 401 501), die unter anderem beim Kantonsspital Baden aufgeführt ist. Kein Hinweis, dass sie via Prepaid gar nicht kontaktiert werden kann, keine zweite Nummer ersichtlich. «Personen mit einem Prepaid-Abo gehen grundsätzlich darauf ein, dass sie auf Mehrwertdienste wie zum Beispiel 0900er-Nummern verzichten», so die Begründung des Aargauischen Ärzteverbands, der für die Organisation verantwortlich ist. Und: «Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass in der Notfallsituation in der Regel ein Festnetzanschluss oder eine Person mit einem Handy-Abo in der Nähe verfügbar sind.»
Ein ähnliches Bild zeigt sich auf der Website des Kantonsspitals Luzern. Der dort als einziger Kontakt für «nicht lebensbedrohliche Notfälle» gelistete Ärztliche Notfalldienst des Kantons Luzern (0900 11 14 14) kann bei einem Testanruf von einem M-Budget-Prepaid-Handy nicht angewählt werden. Immerhin: Eine Bandansage verrät, dass das Angebot für Prepaid-Kunden nicht zugänglich ist. Der kantonale Notfalldienst würde allerdings einen zweiten Anschluss für Prepaid-Anrufe (0900 57 67 48) zur Verfügung stellen. Darüber informiert das Kantonsspital Luzern aber nicht. (Anm. d. Red.: Nach dem Hinweis des Beobachters wurde die Prepaid-Nummer inzwischen publiziert.)
Und auch beim Spitalzentrum Biel ist man sich der technischen Hindernisse einer 0900er-Hotline nicht ganz bewusst. Der städtische Ärztliche Notfalldienst (0900 900 024), bei dem auf der Spitalzentrum-Website lediglich der Festnetztarif angegeben ist, sei wohl nicht für Prepaid-Kunden aller Anbieter kontaktierbar, heisst es auf Anfrage. Weitere Abklärungen seien jetzt aber im Gang.
Der Fall von Kati Biellmann fand trotz allem ein positives Ende. Seit der Anfrage des Beobachters ist auf der Website des Spitals Emmental nun auch die Rufnummer für Prepaid-Kunden aufgeführt. Beim VoIP-Anbieter von Biellmann stellte man fest, dass die von ihr gewählte 0900er-Nummer fälschlicherweise noch nicht im System freigeschaltet war. Zudem weiss sie inzwischen, dass beim Geschäftshandy ihres Mannes sämtliche 0900er-Nummern vom Arbeitgeber gesperrt sind.
Kati Biellmanns Blessur selbst stellte sich als starke virale Augenentzündung heraus. Nach einer Vielzahl weiterer Anrufe in der Region fand sie schliesslich doch noch einen Augenarzt, der sie notfallmässig behandelte. Dank seiner verschriebenen Antibiotika war die Entzündung nach etwa einer Woche weg – und Biellmann erleichtert: «Ohne die starken Medikamente hätte es wohl üble Komplikationen gegeben.»
Ein Blick auf die Websites verschiedener Spitäler zeigt: Rund um die Kommunikation des kostenpflichtigen 0900er-Beratungstelefons für Kindernotfälle sind vielerorts die notwendigen Angaben vorhanden.
Beim Kinderspital Zürich sowie den Kantonsspitälern Graubünden und Luzern finden Prepaid-Kunden eine separate Telefonnummer für Kindernotfälle. Beim Kantonsspital Winterthur wurde sie inzwischen aufgeschaltet, das Spital Limmattal ergänzte seine 0900er-Nummer mit dem Zusatzhinweis, dass sie auch für Prepaid-Handys funktioniert. Derweil informiert das Kinderspital St. Gallen auf seiner Website zumindest, dass die Notfallpraxis von Mobil- oder Festnetzanschlüssen mit gesperrten 0900er-Nummern aus nicht erreichbar ist.
Beim Kinderärztlichen Beratungstelefon des Stadtspitals Triemli in Zürich (0900 11 22 66) ist dagegen nichts von der Prepaid-Problematik zu lesen. Obwohl laut Auskunft des Spitals diese Nummer nur für Prepaid-Kunden von Swisscom funktioniert, für jene von Salt und Sunrise jedoch gesperrt ist. Es werde nun aber abgeklärt, ob die Nummer künftig von sämtlichen Prepaid-Kunden angerufen werden kann.
Mit 142 zu 18 Stimmen hat der Zürcher Kantonalrat diese Woche beschlossen, eine einheitliche Telefonnummer für medizinische Notfälle zur Verfügung zu stellen.
Für Notfälle, die nicht einen sofortigen Transport ins Spital erfordern, kann im Kanton Zürich ab 1. Januar 2018 die Nummer 0800 33 66 55 gewählt werden. Dort werden Patienten anschliessend an Ärzte oder Zahnärzte vermittelt, die zu dieser Zeit Notfalldienst haben.
* Name geändert
1 Kommentar
Gute Tag, ich möchte nur anfügen, dass das Problem offenbar auch heute (Juli 2019) noch überhaupt nicht gelöst ist. Die Kinderärztin verwies uns für das Wochenende an das Medphone im Kanton Bern mit einer 0900 Nr. Ich konnte dort trotz Handy-Abo (nicht Prepaid) nicht anrufen, weil die Nummer angeblich gesperrt ist... Wir sind nun auf das Festnetz des Nachbarn ausgewichen. Mfg