Auch Coop und Migros kassieren ab
Die Rollen scheinen klar verteilt: Dort die bösen Importeure, die Währungsgewinne einheimsen. Hier Coop und Migros, die für tiefere Preise kämpfen. Doch auch die vermeintlich Guten sahnen ab.
Veröffentlicht am 30. August 2011 - 09:32 Uhr
«Genug ist genug», flucht Coop und verbannt werbewirksam Uncle-Ben’s-Reis aus den Regalen. Wenige Tage später steht er, zehn Prozent billiger, wieder dort, und Coop-Einkaufschef Jürg Peritz bezeichnet sich ob des Erfolgs in der «Coop-Zeitung» stolz gleich selbst als «Winkelried»: «Wir setzen uns für die Interessen der Schweizer Konsumenten ein.»
Löblich, gewiss, dass die Schweizer Detailhändler bei Hunderten Produkten die Preise gesenkt haben. Fakt ist aber, dass sie weiterhin viel Geld verdienen – gerade mit importierten Waren. Coop zum Beispiel mit Lebensmitteln, die unter dem exklusiven Fine-Food-Label verkauft werden. Die meisten der über 200 Produkte stammen aus dem Ausland. Weil Coop diese Waren in eigener Regie einkauft, importiert und in Euro bezahlt, profitiert Coop ganz direkt, wenn sich der Einkaufspreis wegen der Euro-Schwäche um 30 Prozent verbilligt. Doch nur einer von sechs Fine-Food-Artikeln trägt im Coop-Online-Shop das Symbol, das auf einen unlängst gesenkten Verkaufspreis hinweist. Bei den anderen Produkten hätten gestiegene Rohstoffpreise die Währungsvorteile zunichtegemacht, argumentiert Coop-Sprecherin Sabine Vulic, etwa bei Kaffee, Gewürzen und Nüssen.
Die Hauptkonkurrentin machts nicht besser, obwohl Migros-Chef Herbert Bolliger ebenfalls mit dem Finger auf die Importeure zeigt: «Es ist völlig klar, wer die Gewinne abschöpft.» Wenn Migros, wie bei der exklusiven Sélection-Linie, die Produkte selbst in die Schweiz einführt, ist der Fall ebenso klar: Migros bezahlt den griechischen Bauern, der die exklusiven Feigen von Hand erntet, nicht in Schweizer Franken, sondern in Euro. Also müssten die Sélection-Feigen deutlich billiger im Laden stehen als noch vor einem Jahr. Tun sie aber nicht.
Migros-Sprecherin Monika Weibel räumt ein, dass bislang kein einziges Sélection-Produkt günstiger wurde und der Währungsgewinn ganz bei Migros bleibt. Preissenkungen bei Luxusprodukten hätten «keine Priorität», im Vordergrund stünden Markenprodukte und solche des täglichen Bedarfs. Im oberen Preissegment sahnt Migros also ungeniert ab.
Bei importierten Waren steigert die aktuelle Euro-Schwäche die Marge der Migros – bei Eigenmarken ist sie offensichtlich schon immer sehr hoch. Anders ist es nicht zu erklären, dass Migros in der Schweiz selbst hergestellte Produkte im Ausland billiger verkauft. Der Einliterbidon Schokoladeglace der Eigenmarke Crème d’Or, hergestellt im Migros-Betrieb Midor in Meilen ZH, kostet in der Migros-Filiale im deutschen Lörrach umgerechnet knapp Fr. 6.80. In den Schweizer Filialen verlangt der orange Riese aber Fr. 9.20 dafür, 35 Prozent mehr. Eine Stichprobe belegt: Bei der M-Favorit-Erdbeerkonfitüre und den Excellence-Joghurts beträgt der Schweiz-Aufschlag 20 Prozent, bei Nussstängeli, Tiefkühl-Chäschüechli und Käserösti gut zehn Prozent.
Das Glace-Beispiel sei ein Sonderfall. Bei in der Schweiz produzierten Milchprodukten, die ins Ausland ausgeführt werden, gebe es eine Zollrückerstattung, sagt die Herstellerin Midor. Die Zollrückerstattung ist eine Exportförderungsmassnahme des Bundes, weil ansonsten Milchprodukte aufgrund der hohen Schweizer Milchpreise im Ausland kaum konkurrenzfähig wären. Im Klartext: Die Schweizer Steuerzahler subventionieren den Deutschen die Migros-Glace.
Selbst wenn man den Zoll herausrechnet, ist die Glace in der Schweiz aber immer noch 21 Prozent teurer. Der deutsche Migros-Ableger kaufe die Eigenmarken zu den gleichen Konditionen ein wie die Schweizer Filialen, sei aber in der Preisgestaltung frei, heisst es bei Migros. Die Wechselkursentwicklung der letzten Monate führe indes dazu, dass Migros Deutschland demnächst die Preise von Eigenmarken erhöhen müsse.
Der St. Galler Marketingprofessor Sven Reinecke hat eine viel einleuchtendere Begründung für den Schweiz-Aufschlag: Der Preis eines Produkts hänge «nicht nur von den Kosten ab, sondern auch von der Wettbewerbslage sowie dem wahrgenommenen Kundennutzen, also der Zahlungsbereitschaft der Kunden». Anders gesagt: In der Schweiz hat es Migros geschafft, die Crème-d’Or-Glace als beinahe so hochwertig wie ein Markenprodukt zu positionieren, darum kann sie hierzulande deutlich mehr dafür verlangen als in Deutschland, und zwar unabhängig davon, was die Herstellung des Produkts tatsächlich kostet. «Bei manchen Produkten ist in Deutschland der Wettbewerb viel intensiver, zudem liegt beispielsweise für Chips oder Schokolade die Preisschwelle in Deutschland viel tiefer als in der Schweiz», so Reinecke.
Viele Konsumenten greifen lieber zu Eigenmarken der Grossverteiler, weil sie bei diesen ein besonders gutes Preis-Leistungs-Verhältnis vermuten; schliesslich verdient kein Zwischenhändler daran. Das kann so sein – aber leider längst nicht in allen Fällen. Besonders krass ist das Beispiel Sonnenmilch. Die Nivea-Sonnencreme mit Schutzfaktor 30 steht bei Migros für Fr. 7.64 pro 100 Milliliter in den Regalen. Die vergleichbare Flasche der Migros-Eigenmarke Sunlook ist mit Fr. 7.25 nur unwesentlich billiger. Verschiedene deutsche Drogerieketten und Detailhändler bieten dagegen Sonnencremen mit identischem Schutzfaktor schon für umgerechnet Fr. 1.65 pro 100 Milliliter an, Kaufland gar für Fr. 1.35. Laut der deutschen Stiftung Warentest sind die billigen Produkte genauso gut wie die teuren. Der Verdacht liegt nahe: Migros unterbietet Nivea nur so viel wie nötig, nach unten ist der Spielraum für Preissenkungen aber riesig.
Belege dafür, dass die Grossverteiler stark von einem ungerechtfertigten Schweiz-Aufschlag profitieren, gibt es zuha
- Das Migros-Nachahmerprodukt des Verkaufsschlagers Nutella kostet 71 Rappen pro 100 Gramm, nur ein Fünftel weniger als das Original. Selbst die M-Budget-Variante kostet immer noch 45 Rappen pro 100 Gramm – das ist ein Drittel teurer als vergleichbare Eigenprodukte deutscher Lebensmittelketten.
- Die Paprika-Pommes-Chips der Coop-Billigmarke Prix Garantie kosten gut doppelt so viel wie ihre deutschen Pendants.
- Selbst auf so urschweizerischen Produkten wie Kartoffelstock gibts einen happigen Schweiz-Aufschlag: Das M-Budget-Kartoffelpüree ist bei einem Euro-Kurs von 1,15 mehr als doppelt so teuer wie das Kartoffelpüree der Billiglinie «Jeden Tag», das die Migros in ihrer Filiale in Lörrach anbietet.
- Deutsche Drogerien offerieren Zahnpasta ab umgerechnet 36 Rappen pro 100 Milliliter, bei den M-Budget- und Prix-Garantie-Produkten sind es 56 Rappen.
Migros erklärt dies mit einer «unterschiedlichen Kostenstruktur». Eine Coop-Verkäuferin verdiene dreimal so viel wie ihre deutsche Kollegin, argumentiert Coop. Doch damit lässt sich ein Aufschlag von höchstens 20 Prozent rechtfertigen. Kauft der Kunde ein Markenprodukt, ist die Marge unglaublich hoch, dafür muss sie der Grossverteiler mit dem Hersteller und dem Importeur teilen. Kauft er ein Eigenprodukt, ist die Marge oftmals nur ein bisschen kleiner, dafür streichen sie Migros oder Coop ganz allein ein.
Die Geschichte vom aufopfernden Winkelried, die war zwar nur eine Legende, aber immerhin heldenhaft – jene mit dem ach so selbstlosen Einsatz der Grossverteiler für tiefere Importpreise ist es definitiv nicht.
15 Kommentare