Die luftige Idee verliert an Charme
Airbnb, der Vermittler von privaten Unterkünften, stösst international auf Widerstand. Auch in der Schweiz gibt es immer mehr Verbote wegen illegaler Angebote.
Veröffentlicht am 26. Oktober 2017 - 15:43 Uhr,
aktualisiert am 26. Oktober 2017 - 15:29 Uhr
Die bestechende Idee begann mit Luftmatratzen: Anbieter können mit ihrem privaten Wohnraum Geld verdienen. Und die Nutzer profitieren von günstigen Übernachtungen und vom Kontakt mit den Gastgebern. «Leben wie ein Einheimischer», lautet ein Airbnb-Slogan.
Zum Beispiel bei Lina in Brunnen SZ. Simples Zimmer, 60 Franken die Nacht. Die Gäste sind rundum zufrieden. «Tolle Lage, sehr feines Frühstück mit selbst gemachter Marmelade», so Mario im elektronischen Gästebuch. Und Heidi: «Sehr unkomplizierte Gastgeberin mit grosser Herzenswärme». Das freut Rentnerin Lina, 85, die dank Airbnb noch ein neues Betätigungsfeld gefunden hat, wie der «Bote der Urschweiz» berichtete (Artikel online nicht verfügbar).
Vor fünf Jahren starb ihr Mann. In der Folge wurde das Geld knapp, sie hatte Mühe, weiter die Miete zu zahlen. Dann machte ihre Tochter sie auf Airbnb aufmerksam. Seither läuft das Geschäft vor allem im Sommer wie geschmiert. Heuer hat die 85-Jährige seit März 120 Buchungen bearbeitet. «Die Aufgabe tut mir gut. Mein Arzt meinte, ich wirke geradezu verjüngt.»
Doch nicht alle Anbieter wollen ihr Einkommen etwas aufbessern, indem sie ein freies Zimmer vermieten. Bei manchen verkommen ganze Wohnungen zum Renditeobjekt. Diese bieten sie zu astronomischen Preisen auf Airbnb an. So etwa Deborah* aus Basel. Wer ihre Duplexwohnung für sechs Gäste mieten will, muss 800 Franken hinblättern – für eine Nacht. In der Nähe der Messe Basel gibt es mehrere Angebote dieser Preislage. Die Vermieter profitieren vom Bettennotstand bei Veranstaltungen wie der Weltmesse für Uhren und Schmuck Baselworld.
Was Mieter dabei ignorieren: Ihre Preise sind illegal. Denn für die Vermietung von Wohnraum über Airbnb gelten die gleichen Bedingungen wie für eine gewöhnliche Untervermietung. Der Mieter darf keinen Gewinn erwirtschaften und muss die Mietbedingungen dem Eigentümer mitteilen.
Das Zürcher Mietgericht sprach im Februar einen Mieter schuldig, der seine Bleibe über Airbnb angeboten hatte – zu einem überhöhten Preis und ohne den Vermieter zu fragen. Der Mieter musste einen Teil des Gewinns abgeben und darf keine Wohnungen mehr vermieten.
Immobilienverwaltungen haben auf die neue Entwicklung reagiert. Viele überprüfen stichprobenweise, ob ihre Wohnungen ohne Bewilligung auf Airbnb angeboten werden. So etwa Wincasa, eine der grössten Immobilienfirmen. «In der Regel erlauben wir die Untervermietung über Airbnb nicht. Die gesetzlichen Voraussetzungen, etwa bezüglich missbräuchlich hoher Mieten, werden meist nicht eingehalten», sagt Sprecherin Sabrina Frei.
Ob das bei Deborah aus Basel der Fall ist, lässt sich nicht eruieren. Die Gastgeberin hat auf Fragen des Beobachters nicht geantwortet.
In beliebten Touristenstädten weht der Plattform mit Sitz in San Francisco ein immer rauerer Wind entgegen. In Barcelona hängen Transparente: «Stop Airbnb» oder «Tourist go home». Berlin hat das Vermieten von Ferienwohnungen ohne Bewilligung verboten, in New York wurde vergangenes Jahr bereits das Annoncieren von ganzen Wohnungen zur kurzfristigen Vermietung unter Strafe gestellt. Die Klagen gleichen sich: Einheimische fühlen sich durch die Airbnb-Touristenströme überrollt, ärgern sich über Müll und Lärm und machen die Plattform für steigende Mieten verantwortlich.
Die Schweiz ist keine Ausnahme. Aktuell verlangt der Mieterverband eine stärkere Regulierung von Airbnb und ähnlichen Plattformen. Denkbar sei etwa eine Begrenzung der Anzahl von Unterkünften oder gar die Beschränkung auf den Hauptwohnsitz. Der Mieterverband stützt sich dabei auf eine von ihm verfasste Studie. Sie kommt zum Schluss, dass Airbnb in Städten mit wenig freien Wohnungen lokale Mieter vom Markt verdrängen kann.
Ausserdem zahlten viele Gäste die Kurtaxen nicht. Im Kanton Zug wurde Airbnb darum verpflichtet, die Kurtaxe für die Gäste einzuziehen und das Geld an den Kanton weiterzuleiten. In Basel verabschiedete das Parlament Mitte Oktober eine neue Bestimmung, wonach Airbnb-Nutzer wie gewöhnliche Hotelgäste die obligatorische Gasttaxe bezahlen müssen.
Airbnb ist Opfer seines Erfolgs geworden. Das Angebot wächst rasant, auch hierzulande. Im Oktober 2014 waren rund 6000 Schweizer Objekte ausgeschrieben – im Juni 2017 bereits 29'600. Allein im letzten Jahr sind 11'000 Objekte dazugekommen, zeigt eine Studie des Walliser Tourismus-Observatoriums. Spitzenreiter ist das Wallis mit 5150 Objekten. 4300 gibt es im Kanton Zürich, an dritter Stelle steht der Kanton Waadt mit 3160 (siehe nachfolgende Grafiken).
Der Walliser Tourismusprofessor Roland Schegg beurteilt die Entwicklung differenziert: «In den touristischen Bergregionen hat Airbnb grundsätzlich kein neues Beherbergungsprodukt geschaffen, sondern bestehenden Angeboten aus der Parahotellerie eine bessere Sichtbarkeit verschafft.» In den Städten sehe es anders aus. «Eine aktuelle Studie zur Situation in Wien kommt zum Schluss, dass Airbnb rund 2000 Wohnungen langfristig dem Wohnungsmarkt entzieht», so Schegg.
Airbnb befinde sich schon seit geraumer Zeit auf dem Weg zur Professionalisierung, weg von der Luftmatratzen-Romantik hin zu einer gewöhnlichen Buchungsplattform wie etwa Booking.com. «Besonders zugenommen haben sogenannte Multihosts, also Anbieter, die mehr als zehn Objekte anbieten. Vergangenen Juni zählten wir 134 solcher Anbieter. Zwei Jahre zuvor waren es erst 37», sagt Schegg. Der mit Abstand wichtigste Multihost auf Airbnb in der Schweiz ist die Migros mit ihrer Hotelplan und dem Buchungsportal Interhome.
«Wir sind seit 2016 Vertriebspartner von Airbnb», bestätigt Prisca Huguenin-dit-Lenoir, Sprecherin der Hotelplan Group. Der Ferienwohnungsmarkt sei in den letzten Jahren stark durch Airbnb gepusht worden. Momentan seien rund 9000 Interhome-Wohnungen in der Schweiz und im Ausland auf Airbnb zu finden.
Für Huguenin-dit-Lenoir stehen die rein kommerziellen Angebote von Interhome nicht im Widerspruch zu Airbnb als Vermittler von privatem Wohnraum. «Unsere Mitarbeitenden stellen sich bewusst mit den Worten ‹Hi, ich bin Steffi, und ich gehöre zum Interhome-Service-Team› vor. Der Gast weiss also, dass die Wohnung nicht von einer Privatperson, sondern von Interhome vermittelt wird.»
*Name geändert
Auf Airbnb kosten sieben Nächte in einer Wohnung in Ascona 749 Franken. Bei Interhome gibt es dasselbe als Sonderaktion für 470 Franken. «Airbnb kann derzeit aus technischen Gründen unsere Sonderangebote nicht übernehmen», begründet Interhome. Das solle sich aber demnächst ändern. Wer nicht zu viel bezahlen will, sollte stets prüfen, ob es das Angebot anderswo nicht günstiger gibt.