Der Schock mit dem Schlüssel
Ein Test zeigt: Wer in eine fremde Wohnung eindringen will, benötigt bloss ein Foto des Schlüssels. Ein 3-D-Drucker stellt daraus eine perfekte Kopie her.
Veröffentlicht am 5. März 2014 - 14:35 Uhr
Einbrechern tun sich neue Möglichkeiten auf: heimlich einen Schlüssel fotografieren und mit einem 3D-Drucker eine Kopie herstellen. Der Beobachter hat den Trick mit der Schlüsselkopie ausprobiert (siehe Video) – und er funktioniert!
Man nehme einen Wohnungsschlüssel und fotografiere ihn mit dem Handy. Die Fotos werden in ein CAD-Programm eingespeist, wo innert 30 Minuten ein 3-D-Modell des Schlüssels entsteht. Die Daten gehen an eine 3-D-Druckerei, diese druckt fünf Exemplare. Beim Test an der Tür zerbrach zwar der erste Schlüssel, da er zu kräftig gedreht wurde. Der zweite aber öffnete sowohl die Haus- als auch die Wohnungstür.
Der Test entstand in Zusammenarbeit mit der in Richterswil ZH domizilierten Firma Assa Abloy. «Wir testeten das Kopieren proaktiv, weil wir an der Entwicklung künftiger, sicherer Systeme interessiert sind», erklärt Marek Bolardt, Leiter Produktmanagement. «Und wir möchten verstehen, wie viel Know-how nötig ist, um Schlüssel zu drucken.»
Nur mechatronische Schlüssel und solche mit Aktivkopierschutz konnten sie noch nicht kopieren. Mechatronisch heisst, dass der Schlüssel mit Elektronik arbeitet; Aktivkopierschutz bedeutet: Es gibt ein bewegliches Element im Innern. Ursprünglich kreierte Assa Abloy den Aktivkopierschutz, um das Duplizieren im Ausland zu verhindern – glücklicherweise hat er bislang auch Kopien mit 3-D-Druckern verhindert.
Auch beim Schweizer Sicherheitskonzern Kaba sei man sich «bewusst, dass die entsprechende Technologie sich sehr rasch entwickelt», sagt Sprecherin Saskia Hengartner. «Wir sehen aber 3-D-Schlüsselkopien momentan nicht als breite Gefahr.» Sie verweist auf die komplexen technischen Aspekte ihrer Bohrmuldenschlüssel und auf die mechatronischen Systeme. Zudem sei es illegal, patentgeschützte Schlüssel zu kopieren.
Voraussetzung für den Druck eines Schlüssels ist ein 3-D-Datenmodell. Dazu kann man entweder den Originalschlüssel einscannen oder die erforderlichen Daten mittels CAD-Programm modellieren – und das ist mithilfe eines Fotos möglich.
Für die weniger sicheren Schlüssel mit Zacken genügt dann ein gängiges Heimmodell eines 3-D-Druckers für rund 5000 Franken. Für die sichereren Bohrmuldenschlüssel benötigt man einen präziseren Drucker für um die 100'000 Franken.
Den genauen Vorgang der Kopie eines fotografierten Schlüssels möchte der Beobachter nicht detailliert erläutern, um keine Anleitung zu liefern. Nur so viel: Das Übersetzen des zweidimensionalen Bildes in ein 3-D-Modell erfordert eine programmierte Datei; die Schlüsseldaten werden vom Foto abgelesen und in die Datei übertragen. Um diese Transferdatei programmieren zu können, braucht es etwas Wissen. Panik verbreiten möchte Assa Abloy nicht: «Zurzeit können das nur Leute mit Know-how in Sachen Schlüssel: Man benötigt ein Basiswissen», sagt Marek Bolardt.
Den kantonalen Polizeistellen von Zürich, St. Gallen, Basel und Genf sind bis jetzt keine Fälle solcher Schlüsselkopien bekannt. Sie betonen, dass sie diese Technologie und deren kriminelle Möglichkeiten weiterhin wachsam verfolgen. «Damit eröffnet sich ein weiteres Ermittlungsfeld, das es zu berücksichtigen gilt», sagt Gian Rezzoli, der Sprecher der Kantonspolizei St. Gallen. «Im Bereich der Forensik müssen unter Umständen neue Methoden entwickelt und eventuell neue Gerätschaften beschafft werden, um entsprechende Nachweise erbringen zu können.»
Auch das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement kennt keine Fälle – aber die Rechtslage. Informationschef Folco Galli: «Im Strafgesetzbuch gibt es noch keine Bestimmung, die die Herstellung von Schlüsselkopien mit 3-D-Druckern verbietet. Entscheidend ist, ob der Schlüssel zu einem kriminellen Zweck kopiert wird.» Bei Kopien zu gewerblichen Zwecken können zudem Schutzrechte verletzt werden, «am ehesten ein Designrecht», sagt Alexander Pfister vom Eidgenössischen Institut für geistiges Eigentum. «Je nach Schlüssel können daran aber auch Marken-, Patent- oder Urheberrechte bestehen. Doch nicht jeder Schlüssel ist durch ein gewerbliches Schutzrecht geschützt: Es gibt also Schlüsselformen, deren Kopie kein solches Recht verletzt.»
Die Kantonspolizei Genf sieht das mögliche Sicherheitsrisiko von 3-D-Druckern gelassen: «Einbrecher werden wohl kaum die Mühe auf sich nehmen, extra einen Schlüssel zu kopieren. Mit dem nächsten Stein ein Fenster einzuwerfen ist immer noch einfacher.»
Ein Blick in Richtung USA zeigt: Schlüsselkopien mit 3-D-Druckern werden alltäglicher. Firmen wie KeyMe oder Ditto Key bieten 3-D-Schlüsselkopien anhand von Fotos an – zwar erst für
Zackenschlüssel, dafür unkompliziert: Kunden müssen einzig via App ein Foto hochladen. KeyMe betreibt in New York City fünf Kioske, die innert 30 Sekunden einen Schlüssel 3-D-kopieren oder Fotos davon speichern – als Back-up, falls ein Original verloren geht.
Die Kombination aus immer billigeren, besseren Druckern und potenziell erhältlicher Freeware im Internet ist gefährlich, nicht nur im Bereich der Wohnungs- oder Firmenschlüssel – auch bei Schliessfachschlüsseln: Jemand fertigt 3-D-Kopien der Schlüssel an und hat so jederzeit Zugriff auf die Inhalte der Schliessfächer. Der Schlüssel auf dem Nebentisch im Café ist schnell fotografiert. Oder Verbrecher könnten Handwerker oder Putzfrauen einspannen, die Zutritt zu Wohnungen haben. Fazit: Auch wenn die 3-D-Schlüsselkopie mit Foto heute noch aufwendig wirkt – wer es will, schafft es auch.