Gertrud und der falsche Polizist
Unbekannte rufen Senioren an und geben sich als Polizisten aus. Die Masche ist lukrativ – die Fallzahlen explodieren.
Veröffentlicht am 14. März 2018 - 16:33 Uhr,
aktualisiert am 15. März 2018 - 16:31 Uhr
Beim Mittagessen klingelt das Telefon. «Spreche ich mit Gertrud Glauser*?», fragt ein Mann auf Hochdeutsch. «Ja.» – «Gut, dann passen Sie auf.» In ihrem Quartier sei eingebrochen worden. Die Polizei habe einen Einbrecher geschnappt und bei ihm einen Kontoauszug Glausers gefunden. «Ich war schon verunsichert», erzählt die 90-Jährige heute, «der Mann klang kompetent.»
Trotzdem hatte Glauser ein komisches Gefühl. Sie sagte dem Anrufer, sie habe Freunde bei der Polizei. «Von da an klang der Mann ganz anders, und das Gespräch war bald beendet.»
«Falsche Polizisten» heisst die Betrugsmasche unter Ermittlern. Und nicht immer geht alles so glimpflich aus. Der bisher grösste bekannte Fall spielte sich im April 2017 im Raum Meilen ZH ab, als eine Rentnerin einem falschen Polizisten Schmuck, Goldmünzen, Uhren und Bargeld im Wert von 800'000 Franken übergab. Der Mann versicherte ihr, dass er die Wertsachen nach einigen Tagen zurückbringen werde. Eine Lüge.
Seit Anfang 2018 schiessen die Fallzahlen in die Höhe. Dabei geht die Polizei von einer hohen Dunkelziffer aus, da sich viele Opfer schämen. 2017 gab es im Kanton Zürich 479 Fälle von versuchtem und 19 Fälle von vollendetem Betrug; rund zwei Millionen Franken wurden ergaunert. 2018 wurden bis Ende Februar bereits 672 Fälle von versuchtem und 9 Fälle von vollendetem Betrug gemeldet, Betrugssumme: 438'300 Franken.
Der Aargau zählt seit Anfang Jahr 90 Versuche, St. Gallen rund 40, der Thurgau 60. Im Kanton Bern sind seit Dezember über 450 Meldungen eingegangen. In einem Fall wurden 150'000 Franken erbeutet. Ebenfalls hart getroffen hat es die Stadt Basel. Gemäss Staatsanwaltschaft erschlichen dort falsche Polizisten seit Dezember über eine Million Franken.
Ein Ende ist nicht in Sicht. Die Masche ist sehr einträglich und mit einem überschaubaren Risiko verbunden. Das Vorgehen ist immer dasselbe. Die Täter suchen im Telefonbuch altmodisch klingende Namen wie Hanna, Renate oder Gertrud. Dann ruft einer das Opfer an und gibt sich als Polizist aus.
Der falsche Beamte behauptet, dass das Geld auf dem Sparkonto wegen eines Betrugsfalls nicht mehr sicher sei und man es bei der Polizei deponieren soll. Oder dass man die Wertsachen den Behörden übergeben soll, weil gerade eine Diebesbande in der Umgebung ihr Unwesen treibe. Für die Übergabe der Wertsachen werden die Opfer meist an einen Treffpunkt bestellt, wo sich die Betrüger als Zivilpolizisten ausgeben und die Wertsachen entgegennehmen.
«Als Angehörige einer Generation, die zu Autoritäten noch ein anderes Verhältnis hat, sind Rentner besonders empfänglich, wenn sich jemand als Polizist ausgibt».
Kantonspolizei Aargau
Die Polizei kann in solchen Fällen nur reagieren, wenn sich die Opfer an sie wenden. Sie rät, verdächtige Anrufe sofort zu melden . Die Polizei verlange nie am Telefon Bargeld und spreche in der Regel auch nicht hochdeutsch.
Über Strukturen, Hintermänner und Ausmass der Masche ist wenig bekannt. Klar ist: Dahinter steckt ein gut organisiertes Netzwerk krimineller Banden, die aus dem Ausland operieren. Die Anrufe führen in der Regel über mehrere Länder, der genaue Ursprung sei nicht eruierbar.
- Misstrauisch sein, wenn jemand anruft und raten lässt, wer am Telefon ist.
- Der Display-Anzeige auf dem Telefon nicht trauen: Sie kann manipuliert sein.
- Nicht unter Druck setzen lassen.
- Die Polizei verlangt nie telefonisch Bargeld.
- Nie irgendwo Bargeld oder Wertsachen deponieren.
- Verdächtige Anrufe sofort der Polizei melden.
- Telefonbucheintrag löschen lassen. Betrüger suchen nach älteren Vornamen.
Weitere Tipps finden Sie hier: telefonbetrug.ch
Wie gut vernetzt die Banden sind, zeigen Fälle aus Deutschland. Ende Januar verhandelte das Landgericht Hannover gegen eine Bande falscher Polizisten, deren mutmasslicher Boss Hadi B. von Istanbul aus operierte. Die Täter sollen von einem türkischen Callcenter aus Leute in Deutschland angerufen und 128'000 Euro ergaunert haben. Wenn das Opfer anbiss, wurde seine Adresse den Komplizen vor Ort mitgeteilt, die das Geld abholten, vermuten die Ermittler. Und in Tettnang stand ein junger Mann vor Gericht, der einer Organisation angehören soll, die aus einer Shisha-Bar in Bremen agiert. Die Köpfe der Bande sollen ebenfalls in der Türkei sitzen.
Die 90-jährige Gertrud Glauser hofft, dass der falsche Polizist nochmals anruft. «Dann werde ich mitspielen und dem Gauner zusammen mit der Polizei eine Falle stellen.» Sie sei jetzt sozusagen die Geheimpolizei.
*Name geändert
Welche Regelungen zu Werbeanrufen gelten neuerdings? Wo kann man einen Sterneintrag erstellen und wo sich aus dem Telefonverzeichnis löschen lassen? Beobachter-Mitglieder lesen mehr dazu im Merkblatt «Unerwünschte Werbeanrufe: So wehren Sie sich».