Zur Person

Gregor Waller, 45, ist Leiter des Forschungsschwerpunkts Medienpsychologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).

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Beobachter: Hirnforscher Manfred Spitzer sagt, Bildschirmmedien seien für Kinder ähnlich schädlich wie Alkohol.
Gregor Waller: Manfred Spitzer malt den Teufel an die Wand, seine Thesen sind Extrempositionen. Er plädiert ja für eine komplette Medienabstinenz für Kinder. Das ist realitätsfremd. Wir leben in einer mediatisierten Gesellschaft und können das Rad nicht zurückdrehen.

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Beobachter: Sehen das alle Medienforscher wie Sie?
Waller: Es gibt in der Medienforschung drei Grundpositionen: die Kulturpessimisten wie Manfred Spitzer, dann die Medien-Euphoriker aus den technischen Disziplinen – wie Bill Gates, der sagt, Kinder sollen so früh wie möglich mit Computern in Kontakt kommen. Die Wahrheit liegt meiner Meinung nach irgendwo dazwischen, dort, wo sich auch die meisten Forscher bewegen.

Beobachter: Aber es gibt durchaus Studien, die gefährliche Tendenzen belegen.
Waller: Das Problem vieler Studien ist, dass ihre Befunde auf korrelativen Zusammenhängen basieren, die dann aber fälschlicherweise kausal interpretiert werden. Kausalwirkungen können fast nur in Laborexperimenten bestätigt werden. Diese Laborexperimente haben aber zum Teil sehr wenig mit der komplexen Realität zu tun. Draussen in der Welt gibt es Einflussfaktoren, die in Studien nicht kontrollierbar sind. Sie können aber ebenso für vermeintliche Effekte von Medien verantwortlich sein.

Beobachter: Trotzdem: Viele Menschen haben Angst, dass das Smartphone schadet.
Waller: In der Geschichte gab es immer wieder einen Aufschrei wegen neuer technischer Errungenschaften. Als die Eisenbahn aufkam, hiess es, für den Menschen seien Geschwindigkeiten von über 30 Kilometern pro Stunde ungesund. Ich sehe das Smartphone in einer Linie mit früheren Technologien, vor denen man Angst hatte, weil man die Folgen nicht abschätzen konnte.

Beobachter: Sehen Sie gar keine Gefahren?
Waller: Doch. Die Dosis, das heisst die Nutzungsdauer, macht das Gift. Zudem können Kinder auf extreme Inhalte stossen, etwa auf Gewaltdarstellungen. Online lauern auch Kriminelle. Und eine dubiose Chatbekanntschaft kann bis zum Missbrauch führen. Und auch Cybermobbing ist eine Gefahr.

«Früher haben wir im Tram auch nicht mit Fremden gesprochen, sondern Zeitung gelesen.»

Gregor Waller, Medienpsychologe

Beobachter: Viele Eltern sorgen sich um den Handyumgang ihrer Kinder. Was raten Sie?
Waller: Die Kinder müssen vor ihrem ersten Smartphone wissen, dass es im Internet nicht nur rosarote, sondern auch schwarze Seiten gibt. Früher hiess es immer, der Computer solle nicht im Kinder-, sondern im Wohnzimmer stehen. So hatten die Eltern eine gewisse Kontrolle. Jetzt haben Kinder den Computer in der Hosentasche, Kontrolle ist fast nicht mehr möglich.

Beobachter: Wie können Eltern ihre Kinder schützen?
Waller: Die Geräte zu tabuisieren wäre fatal. Das Kind muss im Umgang mit dem Smartphone und dem Internet kompetent werden. Das kann es nur, wenn die Eltern offen an das Thema herangehen und das Kind bei der Entdeckung des Internets begleiten.

Beobachter: Viele Jugendliche sind nur mit ihrem Handy beschäftigt. Vereinsamen sie?
Waller: Das sehe ich kaum als Gefahr. Jugendliche sind ja vor allem in den sozialen Netzwerken und in Whatsapp-Chats aktiv, und da findet ja dauernd ein sozialer Austausch statt. Man kann sich rasch und unkompliziert verabreden und ist eingebettet in die Peergroup. Das Smartphone kann sogar ein Katalysator sein, um sich häufiger mit Freunden zu treffen.

Beobachter: Der Handygebrauch frisst aber Zeit. Welche Aktivitäten leiden darunter?
Waller: Wir erheben im Rahmen unserer James-Studie alle zwei Jahre, wie oft sich Jugendliche medialen, aber auch anderen Aktivitäten widmen. Tätigkeiten wie Sport oder das Treffen von Freunden haben seit 2010 nicht abgenommen. Das Smartphone wird oft als Zeitfüller genutzt, im Tram oder beim Warten. Dagegen ist wenig einzuwenden.

Beobachter: Dafür starren im Tram alle nur noch auf ihr Gerät.
Waller: Vor dem Smartphone haben wir im Tram auch nicht mit Fremden gesprochen, sondern Zeitung gelesen oder aus dem Fenster geschaut.

 

Autor: Yaël Debelle
Bild: Eric Pickersgill/«Removed»

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Quelle: Raisa Kanareva/123RF