Fahrten mit Stressfaktor
Fahrgäste und Chauffeure erzählen von unhaltbaren Zuständen beim Carunternehmen Domo Reisen. Die Glattbrugger Firma hofft derweil auf eine nationale Konzession für Fernfahrten.
aktualisiert am 20. Juni 2017 - 15:55 Uhr
Pfingsten 2016. Das Rentnerehepaar Meier aus Benken ZH freute sich auf die Busreise nach Budapest. Gebucht hatten sie bei der Domo Reisen und Vertriebs AG. «Da mein Mann nach einer Operation auf eine Toilette angewiesen war, fragte ich bei der Buchung zweimal nach, ob wir wirklich mit dem ausgelobten Luxuscar reisen würden», sagt Annemarie Meier. Doch statt des Cars erwartete sie am Abholort ein PW. «Der Fahrer war nett und fuhr gut, aber er musste die ganze Strecke alleine bewältigen», sagt Annemarie Meier. Die Fahrt dauerte zehn Stunden. Der damalige Chauffeur bestätigt den Sachverhalt.
Domo-Chef Roman Schmucki sagt, die Fahrt sei irrtümlich verkauft worden, man habe sie gar nicht mehr im Programm geführt. Obwohl Domo die Fahrt gegen Rückzahlung des Fahrpreises hätte streichen können, habe er persönlich der Kundin angeboten, die zwei Passagiere aus Kulanz mit einem PW zu transportieren. Meiers halten an ihrer Darstellung fest.
Ähnliches erlebte Familie Crausaz aus Villars-sur-Glâne FR im Jahr 2015. Kein moderner Fernreisebus, wie auf der Buchungsbestätigung notiert, sondern ein Kleinbus ohne Kindersitze fuhr sie nach Rimini. Die Klimaanlage sei defekt gewesen, die Innenverkleidung zerschlissen, der Fussraum dreckig. Der Fahrer überschritt laut Jacqueline Crausaz konstant Tempolimiten und machte auf der insgesamt elfstündigen Fahrt nur ein paar kurze Pausen.
So hatten sich die Eltern und ihre drei Kinder das nicht vorgestellt. «Wir hatten Angst, kamen auch physisch an unsere Grenzen. Vor Bologna standen wir drei Stunden im Stau, ohne Wasser und Klimaanlage», sagt Crausaz.
Noch vor Ort liess Familie Crausaz Domo Reisen wissen, dass sie per Zug heimfahren werde, und forderte die Hälfte des Preises zurück. Domo antwortete, man bedaure, dass die Hinfahrt nicht den Erwartungen entsprochen habe, aber der Fehler liege beim Dienstleister, der die Reise in ihrem Auftrag durchführe. Die Rückreise erfolge aber vertragsgemäss mit einem modernen Reisecar mit WC. Geld zurück statt der Rückfahrt könne deshalb nicht angeboten werden.
Familie Crausaz sei in einem Mercedes Sprinter mit 21 Plätzen vom Vertragsunternehmen Hieber Reisen befördert worden, sagt Roman Schmucki heute. Fotos belegen die Version der Familie Crausaz. Und eine Firma namens Hieber Reisen ist im Schweizer Handelsregister nicht zu finden.
«Der Fahrer auf unserer Rückfahrt schlief sogar tatsächlich ein! Nur mein lautes ‹Hallo› verhinderte einen Unfall.»
Hannes Sieber, Domo-Reisender nach Héviz
Auch Hannes Sieber aus Tägerwilen TG machte mit Domo Reisen spezielle Erfahrungen. 2014 auf der Reise nach Ungarn setzte er sich gar selber für sechs Stunden ans Steuer des alten Mercedes-Neunplätzers, der statt des Luxuscars gekommen war. «Der Chauffeur erzählte mir schon vor der Abfahrt, dass er müde sei, weil er in der Nacht zuvor von Genua in die Schweiz gefahren sei. Ich hatte einfach Angst vor einem Unfall.» Der Fahrer habe ihm die Schlüssel zum Bus noch so gerne überlassen. Sie kamen mittags um zwölf Uhr in Hévíz an. «Um 15 Uhr fuhr derselbe Chauffeur schon wieder mit Passagieren zurück in die Schweiz», erinnert sich Sieber. «Der Fahrer auf unserer Rückfahrt schlief sogar tatsächlich ein! Nur mein lautes ‹Hallo› verhinderte einen Unfall.»
Domo bestreitet grundsätzlich, dass Luxusbusse versprochen und dann andere Fahrzeuge genutzt würden. Es werde jeweils das zugesicherte Transportmittel verwendet. Nur in Einzelfällen oder für Zubringerfahrten könnten auch mal, wie im Kleingedruckten der Angebote erwähnt, kleinere Fahrzeuge zum Einsatz kommen. Zum Fall Sieber sagt Schmucki: «Der entsprechende Fahrer arbeitete nur sehr kurz bei uns. Als ich erfuhr, dass er auf seinen Fahrten solche Dinge anstellte, warf ich ihn sofort raus.»
Die drei Fälle liegen etwas zurück. Aber bei Reiseombudsmann Franco Muff gibt es auch heute «immer wieder Anfragen enttäuschter Kunden wegen Domo Reisen». Die Firma sei zwar kein Mitglied eines Garantiefonds der Schweizer Reisebranche, «aber wir helfen den Betroffenen trotzdem, so gut es geht».
Im hart umkämpften Car-Reisemarkt gab es schon öfter Klagen von Passagieren, die per Kleinbus oder PW statt im Luxusbus reisen mussten. 2015 berichtete die SRF-Sendung «Kassensturz» über das Carunternehmen Express-Bus, das genau so verfuhr. Damals hatte Express-Bus gerade die Hand gewechselt. Der Kosovare Fran Tuna hatte die Firma von Patrick Angehrn erworben. Der war zuvor Bereichsleiter Internationaler Fernreiseverkehr beim Bundesamt für Verkehr und ist heute Chef Linienverkehr bei Domo Reisen. Die Geschäftsbeziehung zu seinem ehemaligen Busunternehmen ist nach wie vor intakt: Der Kleinbus, mit dem Familie Crausaz nach Rimini gefahren wurde, gehörte Fran Tunas Firma.
Auch für Chauffeure sind solche Fahrten unzumutbar. Die Aufträge, die Domo den Fahrern geben würde, liessen es manchmal schlicht nicht zu, die Arbeits- und Ruhezeitverordnung (ARV) einzuhalten, erzählen ehemalige Angestellte.
Die Rede ist von Langstreckenfahrten ohne Zweitfahrer, von angeblichen Tricks mit analogen Fahrtenschreibern, von Arbeitstagen mit 20 Stunden und mehr. Ausserdem müssten die Chauffeure nach Langstreckenfahrten immer wieder mal in der Kabine oder auf dem Rücksitz eines Kleinbusses übernachten. «Und nicht selten müssen wir dann völlig übermüdet am nächsten Tag wieder zurückfahren.»
Roman Schmucki wehrt sich gegen solche pauschalen Vorwürfe. Domo setze alles daran, dass die ARV strikt eingehalten werde. «Etwas anderes würden wir nicht dulden.» Wo Verstösse von Chauffeuren festgestellt würden, werde konsequent gehandelt. Domo als Arbeitgeberin sei in den drei Kontrollen der zuständigen Behörden in den letzten viereinhalb Jahren auch nie sanktioniert worden.
Die Chauffeure wissen selber, dass sie immer wieder jenseits der Legalität handelten, deswegen sollen sie auch anonym bleiben. «Aber wenn du einen Car voller Fahrgäste hast, kannst du die ja nicht einfach stehen lassen. Das ist die moralische ‹Figgi-Müli›, in der wir stecken.»
Einer der Chauffeure hat sich bei der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV gemeldet. «Wir stehen ihm beratend zur Seite. Denn wir wollen ein Zeichen setzen gegen solche schwarzen Schafe», sagt Vizepräsidentin Barbara Spalinger.
Roman Schmuckis Domo Reisen und Vertriebs AG befördert nach eigenen Angaben jährlich über 130'000 Passagiere.
Der Unternehmer will in Zukunft den SBB mit halb so teuren nationalen Fernfahrten Konkurrenz machen. Geplant sind Fahrten hin und zurück von St. Gallen nach Genf, von Zürich über Basel ins Tessin und von Chur via Zürich und Bern nach Vevey und Sitten.
Der Testbetrieb hat dieser Tage begonnen. Ob Roman Schmucki die Konzession für regelmässige Inlandfahrten vom Bundesamt für Verkehr erhält, ist noch offen.