Eine Migros-Angestellte hebt bis zu 30 Kilo schwere Boxen mit Lebensmitteln auf ein Förderband. Bis zu 15 Mal pro Stunde.

Die 43-Jährige arbeitet für den Migros-Onlineshop. Sie zieht sich eine Schleimbeutelentzündung und Gelenkschmerzen zu, der Arzt schreibt sie krank. Nach vier Monaten kündigt die Migros. Das zeigen Recherchen des «Kassensturz».

Die Frau ruft das Arbeitsinspektorat auf den Plan, es stellt Mängel fest. Nun müssten sie schwere Gewichte zu zweit heben, berichten Angestellte. Und Migros Online schreibt, dass sie weitere Verbesserungen wie Schulungen zur sicheren Handhabung von Lasten evaluiere.

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Wer nicht arbeiten kann, bekommt weniger – und zwar egal, weshalb.

Ebenfalls Thema ist das Bonusregime von Migros Online. Wenn Teams gut arbeiten, gibts zusätzliches Geld. Darauf sind viele angewiesen, der Mindestlohn beträgt nur 4270 Franken.

Aber: Wer nicht arbeiten kann, bekommt weniger – und zwar egal, weshalb. Für den ersten Tag werden 20 Prozent abgezogen, danach täglich 10 Prozent. Deshalb kommen viele auch krank zur Arbeit, sagt eine Angestellte gegenüber «Kassensturz». Ebenfalls Abzüge gibt es für eine ganze Liste von Verstössen – etwa fürs Falschparken oder Essen am Arbeitsplatz.

Ist das alles überhaupt rechtlich zulässig?

1. Was gilt beim Stemmen von Kisten?

Betriebe müssen dafür sorgen, dass Arbeitnehmende schwere Lasten möglichst nicht von Hand heben. Das steht in der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz. Wenn es sich nicht vermeiden lässt, gelten die Obergrenzen gemäss Wegleitung, je nach Alter und Geschlecht: Maximal 13 Kilo heben dürfen Frauen zwischen 35 und 50 Jahren, Männer im gleichen Alter 21 Kilo. 

2. Dürfen Firmen kranken Angestellten kündigen?

Ja – wenn die gesetzliche Sperrfrist abgelaufen ist. Die beträgt ab dem zweiten Dienstjahr 90 Tage. Die Migros durfte der erkrankten Frau also kündigen.

In besonders stossenden Fällen kann die Kündigung missbräuchlich sein. Etwa wenn der Betrieb keine Schutzmassnahmen ergreift, damit seine Fürsorgepflicht verletzt und so Krankheit von Angestellten direkt verursacht. Das alles müsste eindeutig bewiesen sein.

Vor kurzem musste das Bundesgericht über eine solche Konstellation entscheiden – da waren die Voraussetzungen nicht erfüllt. Sonst hätte der Angestellte bis zu sechs Monatslöhne Entschädigung fordern können. Wie das im Fall der Migros-Angestellten ist, müsste ebenfalls ein Gericht entscheiden. 

3. Darf der Bonus – wie bei der Migros – wegen Krankheit gekürzt werden?

Bonus ist kein juristischer Begriff. Je nach Vertrag ist er ein fester Lohnbestandteil und darf grundsätzlich nicht gekürzt werden.

Meistens bedeutet Bonus aber eine Gratifikation – wie auch im Fall von Migros Online. Der Arbeitgeber bezahlt sie freiwillig, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind – zum Beispiel gewisse Leistungen erbracht sind. Damit sollen Arbeitnehmende motiviert werden.

Es ist aber nicht die Idee der Gratifikation, damit abwesende Angestellte zu bestrafen. Wer krank ist und darum nicht arbeiten kann, ist schliesslich nicht schuld daran. Der Basler Privatrechtsprofessor Kurt Pärli sagt gegenüber «Kassensturz», dass dadurch die Persönlichkeit der Angestellten verletzt werde.

Migros Online schreibt dem «Kassensturz», dass sie die Bedenken der Angestellten sehr ernst nehme und das Bonussystem zugunsten eines Fixlohnes überarbeite.

4. Und was ist mit den Sanktionen?

Betriebe können Angestellte sanktionieren, wenn sie etwa Weisungen oder Sicherheitsvorschriften nicht befolgen. Sie können abgemahnt und dann allenfalls gekündigt werden und müssen vielleicht sogar Schadenersatz zahlen.

Bei Migros Online wird aber der Bonus gekürzt. Damit werden zwei Dinge vermischt, die nicht zusammengehören: eine Bestrafung und die Gratifikation als Motivationsinstrument. Fachmann Kurt Pärli sagt, dass das juristisch nicht möglich ist. 

Quellen