1 Milliarde Dollar ging an die Anwälte
Aus dem Vergleich der Schweizer Banken mit den USA sind 1,25 Milliarden Dollar verteilt. Ende Jahr soll der Schlussbericht vorliegen. Eine geschätzte Milliarde ging an Rechtsanwälte.
Veröffentlicht am 27. September 2018 - 14:54 Uhr,
aktualisiert am 27. September 2018 - 14:18 Uhr
Zur Ruhe setzen wird er sich nicht. Richter Edward J. Korman aus New York ist auf Lebzeiten ernannt. Ob Reagan, Bush Vater und Bush Sohn , Clinton, Obama, die Präsidenten kamen und gingen. Korman blieb. Er wird 76 und ist daran, den längsten Fall seiner Karriere abzuschliessen.
Der begann am 3. Oktober 1996, als Anwälte von Opfern des Naziregimes Schweizer Banken auf Zahlung von 20 Milliarden Dollar verklagten – das waren damals 30 Milliarden Franken. Wenn ein Richter in den USA eine Klage ablehnt, ist sie vom Tisch. So ging es mit der Klage gegen die deutsche IG Farben, die Herstellerin des tödlichen Gases Zyklon B und Betreiberin eines Konzentrationslagers in Nazideutschland.
Die Klage gegen die Schweizer Banken landete auf Kormans Pult. Er liess sie zu. «Weil es ein simpler Vertragsfall war: Ich gebe einer Bank Geld, sie bewahrt es für mich auf und gibt es mir irgendwann zurück. Wenn ich sterbe, geht es an meine Erben – aber so ist es im Fall der nachrichtenlosen Vermögen nicht gelaufen», sagte Korman zum Beobachter.
Im August 1998 kam es zu einer Einigung. Es sollte nicht die erste bleiben, die auf Druck der Amerikaner entstand. Die Schweizer Banken UBS und Credit Suisse überwiesen 1,25 Milliarden Dollar. Sie hatten gehofft, es würden sich weitere Schweizer Firmen beteiligen, etwa die Versicherungen oder die Treuhänder, deren Rolle in der Nazizeit bis heute kein Thema ist. Vergebens.
Korman stellte einen Verteilplan auf. 800 Millionen Dollar sollten an die Inhaber oder Erben nachrichtenloser Konten gehen. 450 Millionen an verschiedene Gruppen von Berechtigten: an Zwangsarbeiter von Schweizer Tochterfirmen im Dritten Reich sowie an weitere Verfolgte, die jüdisch, homosexuell, Roma, Sinti, Zeugen Jehovas, geistig oder körperlich behindert waren oder dafür gehalten wurden.
Gerade bei den Homosexuellen war die Klage von besonderer Tragik. Mögliche Erben mussten die Neigung ihres Grossonkels auch noch öffentlich preisgeben, nachdem er wegen seiner Liebe zu einem Mann im Konzentrationslager umgebracht worden war.
Die Holocaust-Gelder sind nun nach zwanzig Jahren aufreibender Recherche verteilt. An über 458'000 Empfänger wurden bis Ende letzten Jahres 1,285 Milliarden Dollar bezahlt. Fast 100'000 Eingaben wurden abgewiesen. Richter Edward J. Korman übergab der Internationalen Organisation für Migration in Genf Dutzende von Millionen Dollar für Menschen, die im Osten Europas in bescheidensten Verhältnissen leben.
Das Geld war gedacht für Menschen wie Tuba Weiner, deren Foto in Kormans Büro in Brooklyn hängt. Tuba Weiner, 1922 geboren und wohnhaft im georgischen Tiflis, bekam 25 Dollar im Monat für Essen und Brennholz.
Die durchschnittliche Auszahlung lag bei 2660 Dollar. Die meisten Naziopfer oder ihre Erben bekamen aber wesentlich weniger, vor allem die 200'000 Zwangsarbeiter und Behinderten, Roma, Homosexuellen und Zeugen Jehovas. Ihnen wurden pro Person 1450 Dollar zugesprochen.
Wer plausibel nachweisen konnte, dass ein Konto bei einer Schweizer Bank existierte, dem wurden im Schnitt 184'000 Dollar überwiesen. Vier Erben, alle leben in den USA und setzten einen guten Anwalt ein, erhielten bis zu 50 Millionen Dollar. 14,5 Millionen Dollar reservierte Korman für das Holocaust-Museum in Washington und die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.
2660 Dollar
haben die Opfer der Nazis oder ihre Erben im Durchschnitt erhalten.
1 Milliarde Dollar
haben die Anwälte verdient.
Viele der bereits zugänglichen Berichte, so trocken sie verfasst sind, zeigen eine technokratische Niedertracht der Schweizer Banken. Wenn sie es für nötig hielten, öffneten die Banker die Schliessfächer längst Verstorbener und deckten mit den dort aufbewahrten Goldmünzen die Gebühren nachrichtenloser Konten. Manchmal lagen auf dem Konto nach jahrzehntelangem Abzwacken der Gebühren nur noch ein paar Franken. Kormans Truppe rechnete dann die kümmerlichen Reste hoch und entschädigte mit ein paar Tausend Franken die Erben, die oft gar keinen Nachweis für ein Bankkonto mehr erbringen konnten. Deren Halter waren tot und die Papiere verbrannt.
Anfangs floss das Geld stockend. Der Aufruf an die möglichen Opfer war kurz vor der Jahrtausendwende nur im Internet und in ein paar Zeitungen veröffentlicht worden. Nur: Wer von den betagten Naziopfern aus Osteuropa , die kaum das Geld zum Heizen und Kochen aufbringen konnten, besass in jenen Jahren einen Computer und hatte einen Internetanschluss? Wer konnte sich ein Zeitungsabo leisten?
Der Schlussbericht sei fast fertig und «ausserordentlich detailreich», schreibt Richter Korman dem Beobachter. Bis zur Publikation kann man nur schätzen, wie viel Zins die 1,25 Milliarden Dollar erwirtschafteten. Angelegt war das Geld aus dem Vergleich in amerikanischen Staatsanleihen. Die warfen bis zur Bankenkrise 2008 sechs oder mehr Prozent Zins pro Jahr ab, danach noch drei oder zwei.
Konservativ geschätzt ergab das mindestens 700 Millionen Dollar an Zinsen. Der Löwenanteil davon ging an die Anwälte, die die Anträge der Opfer prüften – Richter Korman ausgenommen, er wird vom Staat bezahlt. In den USA ist es bei Sammelklagen üblich, dass Anwälte, die Opfer vertreten, etwa einen Drittel der Entschädigungen für sich abzweigen. Das wären nochmals rund 300 Millionen Dollar.
«Hat je einer nach den Honoraren der Anwälte der Schweizer Banken gefragt?», fragt Korman zurück. «Zudem muss ich Ihnen nicht sagen, wie viel es über das Gebaren der Schweizer Banken zu berichten gibt, seit sie in den USA zu geschäften begannen», schreibt Richter Korman.
Er bezieht sich damit auf den Steuerstreit der Schweiz mit den USA. Die jüngste Busse – 98,5 Millionen Dollar – wurde im August gegen die Zürcher Kantonalbank ZKB verfügt. Mit den höchsten Bussen, die zehn weitere Schweizer Banken in die USA überweisen mussten, summiert sich das auf 5,2 Milliarden Dollar.
92 Schweizer Banken waren ins Visier der Amerikaner geraten. Manche kamen mit einer tiefen Busse davon. Die Credit Suisse musste rekordmässige 2,6 Milliarden Dollar zahlen.
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