Abtreibung soll keine Straftat mehr sein
Laut Gesetz sind Schwangerschaftsabbrüche immer noch verboten. Nächste Woche berät der Nationalrat über eine parlamentarische Initiative, die das ändern möchte. Bereits jetzt zeichnet sich Widerstand ab.
Veröffentlicht am 22. Februar 2023 - 08:00 Uhr
Innerhalb der ersten drei Monate darf man eine Schwangerschaft beenden – das wissen die meisten. Was vielen aber nicht bekannt sein dürfte, ist, dass Abtreibungen eigentlich verboten sind.
Einzig in Ausnahmefällen ist ein Schwangerschaftsabbruch straflos: wenn der Abbruch innerhalb von zwölf Wochen seit Beginn der letzten Periode durchgeführt wird oder wenn er nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann.
Diese Rechtslage will Léonore Porchet, Waadtländer Grünen-Nationalrätin und Präsidentin von Sexuelle Gesundheit, mit einer parlamentarischen Initiative ändern. Nächste Woche beginnt die Frühjahrssession des Parlaments, und der Nationalrat diskutiert gleich zu Beginn über die Entkriminalisierung der Abtreibung.
Porchet hat die Initiative letztes Jahr am 2. Juni eingereicht – kein zufälliges Datum, sondern das 20-Jahr-Jubiläum der Annahme der Fristenregelung. Sie wurde 2002 von der Schweizer Stimmbevölkerung mit einem Ja-Anteil von über 70 Prozent angenommen.
Mit der Initiative sollen alle Artikel im Strafgesetzbuch aufgehoben werden, die den Schwangerschaftsabbruch betreffen. Dafür soll ein neues Gesetz geschaffen werden, das Abtreibungen regelt. Im Strafgesetz erhalten bleiben soll einzig der Absatz, der diejenigen unter Strafe stellt, die eine Schwangerschaft ohne Einwilligung der schwangeren Frau abbrechen.
Schwangerschaftsabbrüche seien keine Frage des Strafrechts, sondern eine Frage der Gesundheit, argumentiert Porchet. Die Kriminalisierung sei eine der Hauptursachen für das Stigma, mit dem Abtreibungen behaftet seien. Für betroffene Personen habe das schwerwiegende Folgen wie Schuldgefühle, Stress, psychosoziale Probleme, Hindernisse beim Zugang zu einer Abtreibung und Druck, auf eine Abtreibung zu verzichten, später abzubrechen oder bei ungewollter Schwangerschaft das Kind auszutragen. Mit der Forderung nach Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen folge man auch einer Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation.
«Die Rechtskommission verpasst es mit ihrem Nein, die Rechte der Frauen zu stärken und sich einer konservativen Politik entgegenzustellen.»
Sibel Arslan, Nationalrätin Grüne
Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats hat der Vorlage mit 14 zu 11 Stimmen keine Folge geleistet. «In den Augen der Kommission besteht kein Handlungsbedarf, zumal es ihres Wissens in der Schweiz seit rund 20 Jahren im Zusammenhang mit einer Abtreibung keine strafrechtliche Verfolgung mehr gab», begründet sie den Entscheid.
Die Grünen und die SP zeigten sich von diesem Entscheid der Nationalratskommission enttäuscht. «Die Rechtskommission verpasst es mit ihrem Nein, die Rechte der Frauen zu stärken und sich einer konservativen Politik entgegenzustellen», sagte Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan. Und SP-Nationalrätin Tamara Funiciello: «Abtreibung wäre nicht länger eine Strafsache, für die man eine Notlage geltend machen muss, sondern das, was sie ist: ein Selbstbestimmungsrecht der Frauen.» Wenn der Nationalrat die Vorlage ablehnt, ist sie vom Tisch. Nimmt er sie an, muss sich als Nächstes die Kommission für Rechtsfragen des Ständerats mit ihr befassen.
Referendum ist bereits angekündigt
Abtreibungskritische Kreise haben bereits angekündigt, das Referendum zu ergreifen, falls die Vorlage von den beiden Räten angenommen wird. «Wer darauf bedacht ist, die gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Strafgesetzbuch zu streichen und Abtreibung zur Frage der Gesundheit zu machen, erklärt nicht nur schwangere Frauen potenziell für krank, er fährt vielmehr die Menschenwürde und das Lebensrecht des ungeborenen Kindes an die Wand», schreibt das Initiativkomitee der Initiative «Lebensfähige Babys retten».
Die Initiative ist eine von zwei Initiativen, die das Recht auf Abtreibung einschränken wollen. Sie will alle Bestimmungen, die einen Schwangerschaftsabbruch zulassen, ab dem Zeitpunkt, zu dem das Kind ausserhalb des Mutterleibs lebensfähig ist, ausser Kraft setzen. Die Initiative «Einmal darüber schlafen» will einen Tag Bedenkzeit vor jedem Schwangerschaftsabbruch einführen. Die Sammelfrist für beide Initiativen läuft noch bis Juni.
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1 Kommentar
Art. 119 im Strafgesetzbuch lautet: "Der Abbruch einer Schwangerschaft ist [über zwölf Wochen hinaus] straflos, wenn er nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann."
Die "seelische Notlage" der werdenden Mutter macht den Artikel bereits zu einem Gummiparagrafen. Diese "Fristenlösung" sollte nicht gelockert und auch nicht aus dem Strafgesetzbuch in ein anderes Gesetz verlagert werden. Der strafende Charakter scheint mir nicht ungebührlich, sei es aus dem Recht des ungeborenen Wesens auf Leben heraus, sei es mit Blick auf die tendenzielle Nachlässigkeit und Verfehlung bei der Verhütung.
Die Gesellschaft sollte sich nicht an den technischen Machbarkeits-Maximen der kommerziellen Medizin orientieren. Man sollte sich besser auf die Würde und die Selbstverantwortung und auf eine gewisse Bescheidenheit besinnen. Die kürzlich beschlossene Nötigung zum Widerspruch bei der Organentnahme ist bereits ein hässlicher Schritt in die falsche Richtung.