Aus dem Himmel in die Hölle
Ein Schweizer findet sein Paradies in Indonesien. Er baut ein kleines Haus und zieht Gemüse. Dann stellt er fest: Er wurde betrogen.
Veröffentlicht am 13. Februar 2018 - 10:55 Uhr,
aktualisiert am 14. Februar 2018 - 09:51 Uhr
Zucker? Rahm? Danke. Er trinke seinen Kaffee schwarz, sagt der Mann. Schwarz wie seine Seele. Also nein, das stimmt nicht, protestiert sein Begleiter. Er ist Lebensberater und trägt Holzschuhe mit rotem Fell drauf, was ihn noch grösser erscheinen lässt, als er ist. Er kümmert sich sorgsam und unentgeltlich um den Mann, der sein Glück in Indonesien suchte und in die Hölle blickte.
Sie sind so etwas wie Freunde geworden, seit der Mann zurückkehrte in die Schweiz, müde, bankrott und am Boden zerstört. Er hat einen Umschlag mitgebracht. Die Beweise für das, was er erzählt. Verträge, Vollmachten und Beglaubigungen mit grossen farbigen Stempeln drauf. Und ein Gerichtsurteil. Im Blick des Rückkehrers liegt Wehmut. Seine Jeans hat er gekauft, als er 76 Kilo wog. Nun sind es 59. Er ist ausgepowert, sagt er.
Zwischen seinem Ausstieg und seinem Fall liegen vier Jahre. Er war eine gefühlte Ewigkeit in der Leitung einer grossen Schweizer Firma gewesen. Als er auf die fünfzig zuging, fragte er sich, was sich viele fragen, wenn sie eines Morgens graue Haare entdecken: War das alles? Warum wage ich nicht etwas? Er hat keine Familie, lebte solo. Was hielt ihn davon ab, sein Leben zu verändern?
Der Mann fliegt nach Indonesien, die grösste muslimische Demokratie. Er hüpft von einer Insel zur nächsten. Als Erstes landet er auf Bali, wunderschön, so wunderschön, dass der Mob die traumhaften Strände in Besitz genommen hat. Schliesslich setzt er auf Lombok über, den armen Nachbarn der Jetset-Insel. Ein Kulturschock. Bali ist hinduistisch-buddhistisch, üppig, fieberhaft. Lombok muslimisch, arm, in sich gekehrt.
Er nimmt sich einen Guide. Die beiden trampen zu den Wasserfällen und zum Wald voller Affen, die naiven Besuchern das Sandwich entreissen und das Auto vollkacken. Sie queren Hängebrücken und teilen im Schneidersitz Tempe, das Fladenbrot aus Mais und Kräutern. Lombok: wenig Tourismus, viel
Natur. Die Pracht der Blumen und Pflanzen zieht ihn in den Bann. Nach ein paar Wochen fliegt der Schweizer wieder heim und arbeitet weiter in der Firma, von der er sich zunehmend entfremdet. Er entwerfe und mache, aber sehe davon nie etwas, denn die Umsetzung dauere eine Ewigkeit.
Ein Jahr darauf ist er zurück. Er hat eine Idee. Er erstellt einen Businessplan. Er will Gemüse anbauen und es den Hotels und Restaurants verkaufen. Broccoli, Gurken, Tomaten, Früchte und Kräuter, alles bio. Die Produkte der Einheimischen auf der Insel will er in der Schweiz verkaufen. Tücher, Körbe, kleine Möbelstücke aus Holz, alles handgemacht. Tischsets, geflochten. Auf Lombok kosten die 70 Rappen. In der Schweiz 39 Franken. Er macht den Guide zum Geschäftspartner.
Auf dem Trekking durch die Insel ist dem Schweizer ein Stück Land aufgefallen. Hübsch gelegen, in leichter Schräglage, fast drei Hektaren gross. Von den zwei Terrassen mit Bananenstauden und Ananaspflanzen drauf sieht man das Meer und den Horizont. Im Rücken der Dschungel, wo Pythons auf einen Vogel oder ein Wildschwein warten. In Sichtweite ein Dorf mit ein paar Dutzend Hütten und einem Ziehbrunnen. Elektrisches Licht gibt es nicht. Die Leute stehen mit den Hühnern auf und gehen mit ihnen zu Bett.
Der Guide ist begeistert, der Schweizer euphorisch. Er richtet bei einer Bank auf Lombok ein Konto ein. Das Grundstück wird ihm notariell überschrieben. 28'750 Quadratmeter, alles inklusive für rund 190'000 Franken. Der Besitz von Land sei auf Lombok möglich, sagt der Schweizer. Auf Bali kann man Land bloss mieten. Er macht den Guide zum Verwalter und zahlt ihm 700 Franken im Monat. Ein respektabler Lohn für einen Mann Mitte 40 mit Frau und drei Töchtern in Ausbildung.
Der Guide soll sich um die Bewilligungen kümmern, um die Offerten, um den Bau eines kleinen Hauses. Zuerst wird eine Peruga erstellt, ein Bau mit Giebeldach, aber ohne Wände. Auf der Insel fällt die Temperatur nie unter 20 Grad, aber wenn es regnet, und das tut es in der Regenzeit drei- bis viermal pro Tag, wird aus dem zwei Meter breiten Bach, der das Grundstück vom Dorf trennt, ein 20 Meter breiter Fluss.
Die Leute aus dem Dorf heissen den Fremden mit dem vielen Geld willkommen. Sie drücken ihm ein Bündel Leben in die Hand. Damit er nicht so allein sei. Es ist ein getigerter Kater. Der Schweizer zieht das hagere Tier mit Milch auf, denn die Mutter ist tot. Er tauft ihn Indo. Bald ist das Duo unzertrennlich. Man nennt sie Papuq dan Kucing – Grossvater und Katze.
Indo folgt ihm durch den Garten, Indo schläft auf seiner Brust, Indo krallt sich auf seine Schulter, wenn der Schweizer an Hochzeiten der «Umbrella-Mann» sein darf. Der Mann also, der hinter der Braut geht und für Schatten sorgt. In der kleinen Moschee wird der Fremde gern aufgenommen, selbst am Freitag, dem heiligen Tag der Muslime. Und wenn der Schweizer im Sarong und Lotussitz auf seiner Plattform in den Sonnenuntergang blinzelt, schmiegt sich Kater Indo an ihn und schnurrt, und die Welt ist im Lot.
Lombok faszinierte mich, ich wollte zurück zu dem, was ich bin, ich bin im Emmental auf einem Bauernhof aufgewachsen, sagt er. In Lombok störte ihn nie etwas. Er wollte raus aus seinem Job. Dort hatte er den Bezug zur Realität verloren. Er nimmt sich eine Auszeit und fliegt erneut nach Indonesien.
Zusammen mit den Männern aus dem Dorf räumt der Schweizer das Grundstück auf. Sie finden überall vergrabene Plastiksäcke mit Müll. Feld um Feld wird gesäubert, vom Markt holen sie Bioabfälle, für frischen Humus. Der Schweizer ist von der Fruchtbarkeit des Bodens begeistert. Er muss keine Woche warten, bis die Zwiebel ausschiesst, die er in die Erde gedrückt hat. Peterli, Schnittlauch, Basilikum, alles keimt in die Höhe.
Einmal Geschrei. Eine Python! Die Männer binden die Schlange an Bambusstäbe und tragen sie den Hügel hinab. Der Fremde ist geschockt. Das Tier misst fast vier Meter. Kein gutes Zeichen. Irgendwo im Dschungel sucht die Pythonmutter nach ihrem Kind. Die Mutter ist zwei Meter länger.
Regelmässig reist der Schweizer in die Heimat. Er behält dort seine Wohnung, aber er löst die Pensionskasse auf. Einen hohen Betrag überweist er auf sein Konto in Lombok. Dort ist die Zukunft, und die Zukunft ist saftig, grün und bio. Er gibt dem Guide eine Vollmacht. Der Guide gerät in einen Geldrausch. Das durchschnittliche Einkommen in Indonesien ist unter 300 Franken im Monat.
Im Herbst 2016 ist der Schweizer beunruhigt. Der Guide aus Lombok gibt sich wortkarg. Eine Kontrolle vor Ort ergibt: Es hat sich seit der Abreise wenig getan im Garten. Die Löhne der Arbeiter sind nicht bezahlt. Der Guide hat das Konto geplündert. Er ist daran, zwei Häuser zu bauen, er hat einen riesigen Fernseher gekauft und ein Auto und beschäftigt einen Chauffeur. Und er hat das Konto des Schweizers um 10'000 Franken überzogen.
Es kommt zur Aussprache. Der Guide sagt: Das Land gehört mir! Und wenn es dir nicht passt, kannst du verreisen! – erzählt der Schweizer. Es kommt zum Rechtsstreit. Das Gericht verurteilt den Guide zu drei Jahren Haft und stellt fest, dass das Land dem Schweizer gehört. Aber verkaufen kann er es nicht, denn er ist dem Staat Steuern schuldig. Zahlen kann er sie nicht, das Geld ist ihm ausgegangen.
Seit seiner Rückkehr lebt er im Gästezimmer einer Freundin in der Nähe von Zürich, seit Anfang Jahr bezieht er Sozialhilfe. 880 Franken im Monat, sagt er. Aus eigenen Mitteln kann er das Geld für die Steuern in Lombok niemals aufbringen. Lombok … am meisten vermisse er Indo, den kleinen Kater.
Er will wieder arbeiten. Aber in dem Ort, wo er Unterschlupf gefunden hat, gibt es keine Arbeit. Der Kaffee ist ausgetrunken. Ich muss in die Stadt zurück, sagt er, mir rennt die Zeit davon, ich habe sehr oft null Energie.
Das kommt schon wieder, sagt sein Begleiter. Die Regenzeit mag etwas lange dauern. Dafür ist die Sonnenzeit schöner.
1 Kommentar
Gerne würde ich den Mann kennenlernen der das mitgemacht hat.Vieleicht gibt es eine Lösung,ich könnte vieleicht helfen.