In der Deutschschweiz sorgte es für wenig Beachtung, doch für Gewaltopfer in Genf ist es ein wichtiger Schritt: Das dortige Universitätsspital (HUG) hat eine neue Abteilung für medizinisch-rechtliche Abklärungen eröffnet. Kostenpunkt für den Kanton: 859’000 Franken pro Jahr.

Für Gewaltbetroffene schliessen Krisenzentren wie dasjenige in Genf eklatante Lücken in der Erstversorgung, wie ein Beispiel aus Zürich zeigt.

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Drei Stunden lang im Spitalhemd polizeilich befragt

Eine junge Frau geht nach einer Vergewaltigung zur Polizei. Sie will Anzeige erstatten und wird, weil die forensische Spurensicherung möglichst bald nach der Tat stattfinden muss, ins Spital gefahren. Sie muss warten. Dann wird sie untersucht. Die Kleider muss sie abgeben, es könnten Beweismittel sein.

Nur mit einem Spitalhemd und der Jacke bekleidet, muss die Frau zurück zur Polizei, wo sie drei Stunden lang zur Tat befragt wird. Die «Neue Zürcher Zeitung» hat diesen Fall in einem Artikel dokumentiert. 

Betroffene sprechen nach solchen Erlebnissen von einer Retraumatisierung durch die Behörden. Fachpersonen und Politikerinnen fordern darum schon länger die Einführung von spezialisierten Krisenzentren für Opfer sexualisierter Gewalt. 

Opfer sexualisierter Gewalt: Sensible Bedingungen in Genf

Das neue Zentrum in Genf habe spezifische Vorteile, schreibt das HUG. Erstens: Die Untersuchung ist kostenlos. Betroffene finden zweitens eine ruhigere Umgebung als in der Notaufnahme, um über die Gewalterfahrung zu sprechen. Sie machen vorab einen Termin, dadurch entfallen Wartezeiten. 

Die forensische Untersuchung setzt drittens nicht voraus, dass die Betroffenen Anzeige gegen die Tatperson erstatten. In vielen Kantonen ist eine Anzeige heute noch nötig.

Das soll sich ändern. Der Bundesrat plant eine Teilrevision des Opferhilfegesetzes (OHG), die die Kantone dazu verpflichtet, die Versorgung von Gewaltopfern zu verbessern. Mit klaren Abläufen, geschultem Personal und einem niederschwelligen Zugang. Rechtsmedizinische Abklärungen sollen ohne Beizug der Polizei möglich sein. Bis zum 24. Januar 2025 lief die Vernehmlassung. Sie wird nun ausgewertet, bevor das Parlament darüber entscheidet.

«Eine nationale Strategie ist weiterhin nicht vorhanden»

Geht es in Sachen Opferschutz also voran? SP-Nationalrätin Tamara Funiciello, die mit anderen Parlamentarierinnen eine Motion für Krisenzentren eingereicht hat, findet: «Es passiert etwas, aber es sind winzige Schritte. Eine nationale Strategie ist weiterhin nicht vorhanden.»

Laut einer Studie von 2019 von GFS Bern haben zwölf Prozent der Frauen Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen erlebt. «Dass wir weiterhin darum kämpfen müssen, dass Frauen nach einer Vergewaltigung von Spezialistinnen versorgt werden, ist ein Skandal», sagt Funiciello.

Immerhin: Zentren wie dasjenige in Genf brächten mutmasslich Fortschritte – auch für die Strafverfolgung, wie Beispiele aus der Waadt und aus Bern nahelegten, wo es bereits Krisenzentren gebe. Laut Funiciello habe die Praxis gezeigt, dass in diesen Kantonen die Verurteilungen wegen sexualisierter Gewalt zugenommen hätten. Der Kanton Zürich führt mit den Forensic Nurses derzeit ein Pilotprojekt durch. Beim HUG in Genf heisst es, man plane zirka 600 Beratungen im Jahr.