«Grüezi, ich bin hier, um mich zu entsorgen»
Armin Marugg überschrieb seinen Körper der Medizin. Statt einer Abdankung wünscht sich der 57-jährige Wirt aus Zürich eine fröhliche Party.
Veröffentlicht am 12. November 2021 - 15:32 Uhr
«Manchmal denke ich, oje, hoffentlich läutet nicht eines Tages der Pöstler bei Mäge und sagt, würden Sie bitte hier unterschreiben? Dann drückt er ihm zwei Jahre nach meinem Tod die Urne mit meiner Asche in die Hand, und mein Partner Mäge denkt, ‹ich meinte, den bin ich endlich los!›
Ob wir wollen oder nicht: Die Uhr tickt vom Moment unserer Geburt an. Das macht auch mir keinen Spass, aber es ist, wie es ist. Angst vor dem Tod habe ich nicht, es kam noch keiner zurück und hat sich beklagt. Angst vor dem Sterben habe ich aber durchaus.
Der Entschluss, meinen Körper der Medizin zu spenden, fiel an meinem 50. Geburtstag. Ich dachte, wenn etwas passiert, dann hat Mäge anderes auf dem Buckel. Wir führen seit 22 Jahren ein Restaurant und kennen die meisten unserer Gäste seit Jahren. Wir sind mit ihnen alt geworden.
Formaldehyd statt Wodka
Ich sagte zu Mäge, ich will keine Abdankung, ich will eine Party mit Holdrio und Hopsassa. Und bloss kein schlechtes Gewissen, wenn die Leute besoffen sind, so war mein Leben. Manche Gäste sagten, hey, Armin, das ist eine gute Idee, das will ich auch tun!
Wer weiss, vielleicht verhilft mein Körper eines Tages der nächsten Generation zu einem besseren Leben. Alle meine Organe kann man sowieso nicht brauchen, ich war kein Engel. Und ich habe ein Glaukom, den grauen Star. In fünf, sechs Jahren bin ich links blind. Vielleicht lernen die Leute in der Anatomie etwas über diese Krankheit, wenn sie mich sezieren. Dann hätte ich nicht für nichts gelebt.
Ob ich in der Anatomie in Zürich lande oder in Genf oder im Tessin, weiss ich nicht. Wenn es irgendwo zu viele hat, bringt man mich an den Ort, wo Tote fehlen. Nach einem Bad in Formaldehyd, damit der Körper nicht verwest. Wodka wäre mir lieber. Aber, ja nu.
Tot ist tot
Das ist alles geregelt und hinterlegt beim Bestattungsamt. Der Beamte im Stadthaus verstand meinen Humor sofort, als ich sagte, grüezi, ich bin hier, um mich zu entsorgen. Wenn es so weit ist, bringt man mich ins Institut für Anatomie der Universität Zürich. Ein, zwei Jahre später werde ich kremiert und bestattet. Mäge mag den Gedanken nicht. Er sagt, er will höchstens Organe spenden, wenn er vor mir den Pfau macht.
Vielleicht werde ich ja 87 wie meine Mutter. Sie rauchte ihr Leben lang und starb an einem Herzinfarkt. Kindbettfieber war es jedenfalls nicht. Sie hatte nicht einmal einen Schatten auf der Lunge. Sie war schwarz katholisch, wurde aber trotzdem kremiert, das Altersheim bestimmte das so. Ich war an so vielen Abdankungen, weil Freunde an Aids starben. Da drückte einer dem Pfarrer einen Zettel in die Hand, und die Leute in der Kapelle dachten, von wem redet der überhaupt? Der hatte den Toten noch nie gesehen. Tot ist tot, man lebt nur in unseren Köpfen weiter.
Alle meine Organe kann man sowieso nicht brauchen, ich war kein Engel.
Armin Marugg, Wirt
Ich bin das jüngste von acht Kindern, und erst noch ein Nachzügler. Aufgewachsen bin ich in Tartar, das Dorf gehört zu Cazis in Graubünden. Meine Lehre habe ich in Bad Ragaz gemacht. Ich wollte unbedingt ein Lokal und ging Mäge damit ständig auf die Nerven. Wir sind seit 26 Jahren zusammen. Die Erbengemeinschaft, der das Haus mit dem Restaurant an der Zentralstrasse gehört, gab uns die Chance. Der Laden lief vom ersten Tag an. Ohne Flyer, ohne Inserat, ohne Tafel. Mäge und ich waren am Anfang völlig überfordert. Er kocht nur, was er kann. Panierte Schnitzel, Cordon bleu. Keinen Fertigspätzlitopf oder so Zeugs. So etwas würde ich nie auftischen. Die Verwaltung war auch während Covid sehr anständig, dafür bedanke ich mich herzlich.
Ferien machen wir oft in Wien, dann kaufe ich Bienenhonig vom Zentralfriedhof. Oder einen Sportsack mit dem Aufdruck: ‹Ich turne bis zur Urne.› Ich liebe solches Zeug. Vielleicht bringe ich damit jemanden dazu, über den Tod zu sprechen. Denn, ob man das mag oder nicht: Er gehört zum Leben. Wenn’s aufhört, gut zu sein, will ich gehen.»