Wer sich wehren will, muss zahlen
Staatsanwaltschaften können neu einen Vorschuss verlangen, wenn man gegen eine Ehrverletzung vorgehen will. Das sorgt für Kritik.
Veröffentlicht am 21. Februar 2024 - 17:05 Uhr
1500 Franken – so viel musste ein Mann aus Graubünden zahlen, damit die Staatsanwaltschaft sich mit einer Ehrverletzung befasst. Der 35-Jährige hatte eine Mail erhalten, in der er übelst beschimpft wurde. Dagegen wollte er sich wehren. «20 Minuten» berichtete über den Fall – der Betroffene spricht von Klassenjustiz, die sich viele Opfer von Beleidigungen nicht leisten können.
Die Bündner Staatsanwaltschaft wendet einen neuen Passus der Strafprozessordnung an, der seit Anfang 2024 in Kraft ist. Warum wurde er eingefügt, wann genau gilt er – und ist er fair? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Wie kam es zu dieser Neuerung?
Die Staatsanwaltschaften werden mit Anzeigen wegen Ehrverletzungen überflutet. Seit 2009 haben sich die Fälle mehr als verdoppelt, heisst es beim Bundesamt für Statistik. Dem will das Parlament entgegenwirken, indem man Antragsteller in Bagatellfällen etwas abschreckt. Denn bei Ehrverletzungsdelikten sei das Motiv für einen Strafantrag oft eher der Wunsch nach persönlicher Rache als die «Tatsache einer Rechtsgutverletzung», heisst es in der Botschaft des Bundesrats.
Muss man neu immer zuerst zahlen, bevor man gegen eine Ehrverletzung vorgehen kann?
Nein. Die Staatsanwaltschaften sind nicht verpflichtet, den Vorschuss einzufordern. Sie können nach Ermessen entscheiden, ob sie von der Möglichkeit Gebrauch machen – dabei müssen sie die Umstände des Einzelfalls und die finanziellen Verhältnisse der betroffenen Person berücksichtigen. Bei schwerwiegenden Vorwürfen werden die Staatsanwaltschaften eher auf einen Vorschuss verzichten als bei einer Bagatelle.
Bei welchen Straftaten kann ein Vorschuss verlangt werden?
Bei allen Ehrverletzungsdelikten. Dazu gehören die üble Nachrede, die Verleumdung und die Beschimpfung. In der Vernehmlassung forderten einige Stimmen, den Vorschuss auf weitere Delikte auszuweiten, zum Beispiel auf Tätlichkeiten. Darauf hat das Parlament jedoch verzichtet.
Seit wann gilt die Neuerung?
Seit Anfang Jahr. Da trat die revidierte Strafprozessordnung in Kraft. Ganz neu ist das Konzept aber nicht: In einigen Kantonen waren sogenannte Sicherheitsleistungen schon vorher möglich. Das kantonale Recht galt, bevor das Strafprozessrecht schweizweit im Jahr 2011 vereinheitlicht wurde.
Wie hoch darf der verlangte Vorschuss sein?
Eine Obergrenze gibt es nicht. Der Betrag muss gemäss Gesetz die voraussichtlichen Kosten abdecken. Die Höhe hängt vom konkreten Einzelfall ab. Die Staatsanwaltschaft kann den Betrag nach ihrem Ermessen festlegen.
Was passiert, wenn ich den Vorschuss nicht zahle?
Der Strafantrag gilt dann als zurückgezogen – und die vorgeworfene Ehrverletzung wird nicht verfolgt. Bezahlen müssen Sie nicht sofort. Die Staatsanwaltschaft setzt eine Frist, zum Beispiel 20 Tage.
Ist die neue Regelung fair?
Es kommt darauf an, wen man fragt. Die Staatsanwaltschaften begrüssen die Neuerung wohl, weil sie entlastet werden. Die SP hingegen lehnt sie ab. Sie argumentiert, zusätzliche Hürden setzten in Zeiten zunehmender Hasskriminalität ein falsches Signal.
Der Berner Strafrechtsanwalt Michael Steiner differenziert: «Vom Grundsatz her hat die Neuregelung eine gewisse Berechtigung, da die Justiz nicht mit Bagatellen belastet werden soll.» Zu wünschen wären aus seiner Sicht aber klare, einheitliche und überprüfbare Kriterien, wann die Staatsanwaltschaften den Vorschuss verlangen und wann nicht. «Sonst besteht die Gefahr, dass das System unfair wird.»
1 Kommentar
Es geht auch anders: Mich hat das Bezirksgericht Meilen, absolut unnoetig vorgeladen um zwei "Zeugenvernehmungen" anzuhoeren. Logisscherweise konnten sich die Angeklagten an nichts erinnern was zu Ihrem Nachteil haette gewertet werden koennen. Der Klaeger, der aus Australien anreisen musste, wurde nicht angehoert. Es wurde aber verlangt dass er anwesend sei. Die Zustellung eines Rapports per e-mail, waere wohl zu aufwendig oder Umwelt-schaedlich gewesen. Der Klaeger hatte aber, ohne diese Anhoerung der Angeklagten, genuegend Beweise und Zeugen gehabt um die Klage durchzufuehren. Also die genannten Anhoerungen waren absolut ueberfluessig und ineffizient. Nur ein "Vorteil": Dem Klaeger kam das sehr teuer und nach einigen solchen Theatern wird er schon aufgeben! Den die Angeklagten waren ja Beamte, der Klaeger nur ein gewoehnlicher "Buezer".