Morgens, acht Uhr. Draussen ist es noch dunkel, regnerisch. Die Cafeteria des Spitals Bülach ist hell erleuchtet. Ein warmer, wohliger Kokon. Es ist noch ruhig. Die Tische sind blank poliert. Vor einem Glas Orangensaft sitzt Manuel Portmann und spricht mit der Beobachter-Redaktorin.

Der 52-Jährige weiss, was dieses Spital so besonders macht: Hier sind 90 Prozent der Pflegenden mit ihrem Job zufrieden, hat die letzte Mitarbeiterumfrage gezeigt. Ein für die Branche erstaunlich hoher Wert. Was ist Portmanns Geheimnis?

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«Bitte kein Wettrüsten»

2022 wird Manuel Portmann Leiter Human Resources bei der Spital Bülach AG – quasi auf dem Zenit des Pflegenotstands. Andere Spitäler werben mit mehr Ferien, weniger Wochenstunden oder höheren Löhnen um die raren Fachkräfte.

Manuel Portmann; Pflegenotstand Ein Spital organisiert sich wie eine Beiz – mit Erfolg Aus der Not schafft das Spital Bülach ZH ein neues, gerechteres Arbeitszeitmodell. Die Mitarbeitenden sind zufriedener – und die Kosten im Lot.

«Wichtig ist mir Gerechtigkeit. Das treibt mich an»: Manuel Portmann, Personalverantwortlicher

Quelle: Spital Bülach

In Bülach schlägt man einen anderen Weg ein. «Bei diesem Wettrüsten wollten wir nicht mitmachen», erzählt Portmann. «Viel eher wollten wir herausfinden, was für Bedürfnisse unsere Pflegenden tatsächlich haben.»

Ein Arbeitszeitmodell mit vier Stufen

Und das haben er und sein Team getan. Indem sie ihre Mitarbeitenden immer und immer wieder neu befragten. Seit dem 1. April 2023 können die Pflegenden bei der Arbeitszeit nun zwischen vier Stufen wählen. Die Stufen unterscheiden sich im Grad der Flexibilität.

Wer in der Stufe «Fix» arbeitet, muss keine Nachtschichten übernehmen und hat feste Arbeitszeiten. In den Stufen «Day Flex» (ohne Nachtschichten) und «Flex» (mit Nachtschichten) muss man mindestens 12-mal pro Jahr einspringen. Dafür gibt es einen Lohnzuschlag von 100 respektive 200 Franken pro Monat.

Anders als bei anderen Spitälern musste man nie Betten sperren wegen zu wenig Personal.

Und Pflegende in der Stufe «Super Flex» verpflichten sich, mindestens 18-mal pro Jahr kurzfristig einen Dienst zu übernehmen – für zusätzliche 350 Franken pro Monat. «Die Pflegenden wollten mehr Einfluss auf die Dienstpläne und eine Belohnung, wenn sie Extra-Einsätze leisteten. Das haben wir mit dem neuen Modell erreicht», sagt Portmann. 

Beim Ausarbeiten der neuen Regeln kam Portmann übrigens eine Erfahrung von vor 25 Jahren zugute. Damals leitete er den Gastrobetrieb einer Autobahnraststätte – ebenfalls ein Arbeitsumfeld, das für Personalplanung wie auch Arbeitnehmende herausfordernd ist. Natürlich habe es auch Bedenken gegeben, erinnert sich Portmann. Es hiess schon mal: «Wir sind ein Betrieb von spezialisierten Fachkräften und keine Beiz.» 

Weniger Fluktuation und Absenzen 

Funktioniert hat es trotzdem. Das zeigen auch die Zahlen. Die Fluktuation sank von 17 auf 12 Prozent, die Absenzenquote von 5 auf 4 Prozent. Zwar sind auch im Spital Bülach noch Stellen offen. Anders als bei anderen Spitälern musste man aber nie Betten sperren wegen zu wenig Personal.

Und die zusätzlichen Ausgaben von rund 900’000 Franken hat man schon längst wieder eingespart – weil man kaum mehr teure Temporärkräfte einstellen muss. 2022 leisteten solche noch 856 Einsätze, im Jahr 2024 bisher nur 14.

Zufriedener sind die Mitarbeitenden, weil sie ihre Arbeit nun den konkreten Lebensumständen anpassen können. Freiheiten geniessen, die in Schichtbetrieben sonst rar sind. «An anderen Orten arbeiten die Pflegenden grundsätzlich immer so wie in unserem Super-Flex-Modell. Nur haben sie keine Wahl», sagt Portmann.

Bald schon im Gefängnis oder Luxusresort?

Alle drei Monate kann man das gewählte Modell grundsätzlich wechseln – sofern es die Personalplanung zulässt. «Anfangs waren wir unsicher, ob es aufgeht», sagt Portmann. Laut den Berechnungen hätte sich jeweils ein Viertel der Mitarbeitenden je für das Fix- respektive Super-Flex-Modell entscheiden müssen. Es ging auf – und tut es bis heute.

Es hätten sich schon andere Arbeitgeber bei ihm gemeldet – ein Luxusresort, ein Gefängnis und ein Guetsli-Produzent zum Beispiel. Warum sollte sich das «Bülacher Modell» nicht auch in anderen Betrieben umsetzen lassen?

Portmann lehnt sich im Stuhl zurück. «Wichtig ist mir Gerechtigkeit. Das treibt mich an.» Es müsse für beide Seiten stimmen. «Unsere Leistung als Spital, die Sicherheit der Patientinnen und Patienten, deren Zufriedenheit: Das alles hängt zum grössten Teil von der Leistung unserer Mitarbeitenden ab.»