Wer beim Einkaufen die Augen offen hält, stösst auf zahlreiche Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände, die sich als besonders schweizerisch ausgeben. Schweizer Kreuze zieren die Verpackung, «Swiss Innovation» oder «Schweizer Qualität» wird in roten Buchstaben vermerkt. Zufall ist das nicht. Eine Studie der Universität St. Gallen von 2008 zeigt auf, dass Konsumenten weltweit bereit sind, für Schweizer Produkte bis zu 20 Prozent mehr zu bezahlen. Hiesige Waren und Dienstleistungen gelten als zuverlässig, präzis, qualitativ hochstehend und sind deswegen tendenziell teurer.

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Kein Wunder also, stellen die Unternehmen ihre Swissness gerne und immer öfter zur Schau. Gemäss Recherchen des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum (IGE), bei dem Marken eingetragen und geschützt werden können, nutzten Ende 2000 etwa 1500 Marken den Zusatz «Swiss». Ende 2006 waren es bereits 3500, und weitere 1500 Marken verweisen in deutsch-, französisch- oder italienischsprachigen Zusätzen ebenfalls auf ihre Swissness.

Doch je stärker das Label, umso grösser ist die Versuchung, auch dort «Schweiz» draufzuschreiben, wo gar nicht Schweiz drinsteckt. Dies gilt nicht nur für Trittbrettfahrer, sondern auch für Schweizer Traditionsfirmen. Die Auslagerung von Teilen der Produktion ins Ausland hält sie nicht davon ab, dort hergestellte Ware als Schweizer Produkte zu verkaufen. Victorinox, die auch auf in China fabrizierte Taschen und Koffer das Schweizer Wappen klebt, ist nur ein Beispiel (siehe Artikel zum Thema). Auch Zyliss oder Kuhn Rikon stellen längst nicht alle ihre Produkte hierzulande her. Trotzdem geht die Ware mit dem Zusatz «Switzerland» oder als «Swiss Innovation» über den Ladentisch. Auch die Rohstoffe vieler mit Swissness angepriesener Lebensmittel stammen nicht zwingend aus der Schweiz.

«Uns sind die Hände gebunden»

Dabei wären die Vorschriften klar: Gemäss Wappenschutzgesetz dürfen Firmen weder das Schweizer Kreuz noch das Wappen gewerbsmässig verwenden – selbst dann nicht, wenn sie ihre Produkte vollständig in der Schweiz herstellen. Auch die Herkunftsangabe durch Zusätze wie «Schweizer», «Swiss», «Swiss made» oder Ähnliches ist geregelt: Laut Markenschutzgesetz darf ein Produkt nur dann so bezeichnet werden, wenn die Ware in der Schweiz produziert wird oder wenn die Ausgangsstoffe aus der Schweiz stammen. Gemäss gängiger Gerichtspraxis liegt die Grenze bei 50 Prozent: Mindestens die Hälfte der Herstellungskosten sowie die wichtigsten Fabrikationsschritte müssen hierzulande anfallen.

Doch obwohl das Schweizer Kreuz zu Unrecht auf unzähligen Produkten prangt und es sich beim Verstoss gegen das Wappenschutzgesetz um ein Offizialdelikt handelt, gehen die zuständigen kantonalen Behörden kaum je gegen den Missbrauch vor. Niemand möchte gute Arbeitgeber vergraulen. Das zeigt sich auch bei Victorinox: Obwohl deren Verwendung des Wappens bis heute nicht erlaubt ist – erst recht nicht auf Waren aus China –, unternehmen die Schwyzer Behörden nichts gegen das Unternehmen aus Ibach. Auch eine vom umtriebigen Trybol-Chef Thomas Minder eingereichte Strafanzeige konnte das zuständige Verhöramt nicht bewegen, einzuschreiten. Man könne keine Hinweise für eine täuschende Herkunftsangabe erkennen, hiess es in der Begründung lapidar.

«Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass Verstösse kaum geahndet werden», bestätigt Anja Herren, Leiterin des Rechtsdienstes Marken beim Institut für Geistiges Eigentum. «Uns sind die Hände gebunden.» Das IGE könne Firmen lediglich – wenn auch oft mit Erfolg – abmahnen. «Es fehlt aber die klare gesetzliche Kompetenz, Verfahren anzustrengen, wenn Fehlbare nicht mit dem Missbrauch aufhören.»

Ein neues Gesetz soll Klarheit schaffen

Um die Marke Schweiz besser zu schützen, ist der Bundesrat jetzt daran, die Gesetzgebung zu überarbeiten. Die Gesetzesvorlage, die noch vor Ende Jahr behandelt werden soll, regelt die Swissness-Kriterien klarer als bisher. Im Gegenzug dürfen Unternehmen künftig das Schweizer Kreuz (nicht jedoch das Wappen) zum Anpreisen ihrer Ware verwenden. Voraussetzung dafür und für sämtliche Swissness-Umschreibungen eines Produkts ist aber, dass mindestens 60 Prozent der Herstellungskosten sowie die wesentlichen Fabrikationsschritte in der Schweiz anfallen. Dazu zählen auch die Kosten für Forschung und Entwicklung, nicht aber jene für Marketing, Verpackung und Transport. Bei Lebensmitteln ist das Gewicht der verwendeten Rohstoffe ausschlaggebend: Es gilt, dass mindestens 80 Prozent aus der Schweiz stammen müssen. Für Rohstoffe, die hier gar nicht wachsen oder temporär nicht in den nötigen Mengen erhältlich sind, soll es Ausnahmen geben. Gleichzeitig erhält das IGE mit dem neuen Gesetz das Recht, Strafanzeige gegen Sünder zu erstatten und als Partei am Verfahren teilzunehmen.

Die grossen politischen Parteien stehen der Neuregelung grundsätzlich positiv gegenüber. Für die künftige Anwendung des neuen Gesetzes in der Praxis sind allerdings noch viele Detailfragen zu klären, wie auch die folgenden Beispiele von heutigem Swissness-Schwindel zeigen.

Trutenbrust-Aufschnitt bei Spar

«Fürstenländer Spezialitäten. Feines aus der Ostschweiz», steht gross auf der Verpackung mit Trutenbrust-Aufschnitt, gekauft bei Spar, produziert von der Firma Möfag in Zuzwil SG. Verziert ist das Ganze zusätzlich mit einem Edelweiss und einem Schweizer Kreuz. Keine Frage, das ist Ostschweizer Fleisch, würde man beim schnellen Griff ins Kühlregal denken. Doch wer genauer hinschaut, merkt: Die Trutenbrust stammt aus Brasilien. Schweizer Trutenfleisch sei praktisch unmöglich zu erhalten, ohnehin nicht in den erforderlichen Mengen, sagt dazu Spar-Mediensprecherin Silvia Manser. Die Trutenfleisch-Spezialitäten würden zu 100 Prozent in Zuzwil produziert, so Manser. Und die Bezeichnung der Ware sei zulässig, zumal die Herkunft des Fleisches auf der Vorder- und Rückseite deklariert sei. Ob die Möfag mit der künftigen Swissness-Regelung auf das Schweizer Kreuz verzichten muss, werde sich zeigen.

Haushaltgeräte von Zyliss

Die Haushaltprodukte der Firma Zyliss aus Lyss BE sind allen ein Begriff: Das von Karl Zysset in den fünfziger Jahren gegründete Unternehmen gehört zu den Schweizer Urgesteinen. «Swiss Innovation» steht denn auch stolz auf allen Verpackungen. Wer allerdings etwa beim Kauf einer Zyliss-Knoblauchpresse glaubt, diese stamme aus der Schweiz, der irrt. Seit einigen Jahren hat die inzwischen zur DKB Household Switzerland AG gehörende Firma die Produktion nach China verlagert, auf die Anpreisung als Schweizer Produkt verzichtet sie dennoch nicht. «Man muss die Begriffe Innovation und Produktion unterscheiden», sagt DKB-Kommunikationschef Laurent Voirol, «und alle Zyliss-Produkte sind Schweizer Innovationen.» Das Gesetz freilich macht diese Differenzierung nicht: Swiss ist Swiss. «Wir haben bisher noch keine Klagen von Kunden, die sich in die Irre geleitet fühlten», sagt Voirol. Sämtliche Zyliss-Produkte würden auch in China nach schweizerischen Qualitätsansprüchen fabriziert, kontrolliert durch ein Büro mit Schweizer Angestellten vor Ort.

Pfannen aus der Migros

Zur Herkunft der Rohstoffe diverser mit Schweizer Kreuz beworbener Lebensmittel will die Migros keine Stellung nehmen. Der Grossverteiler ist der Meinung, dass die heutige Regelung zum Schutz der Marke Schweiz genüge. «Genauere Auskünfte und Informationen zu einzelnen Produkten geben wir erst, wenn eine neue Regelung in Kraft tritt», heisst es. Allerdings finden sich bei der Migros auch im Non-Food-Bereich Waren mit irreführender Herkunftsbezeichnung. Unter dem Namen «Cucina & Tavola» werden Pfannen mit der Aufschrift «Swiss Quality made by Ilag» samt Schweizer Kreuz verkauft. Bei genauerem Hinsehen wird klar: Die Pfannen sind «made in Italy». Erklärung: Der Schweiz-Verweis bezieht sich lediglich auf die Beschichtung der Pfanne. «Diese stellt die Ilag AG in Lachen her», sagt Migros-Mediensprecher Urs Peter Naef. Die Pfannen selber werden aber in Italien fabriziert, wo auch die Schweizer Beschichtung aufgetragen wird. «Bisher hat sich niemand über irreführende Angaben beschwert», sagt Naef, gesteht aber ein, dass die Präsentation «nicht glücklich» sei.

Bschüssig-Teigwaren

Bschüssig gehört zu den Schweizer Traditionsmarken schlechthin. Bis heute werden die Teigwaren in Frauenfeld TG hergestellt. Ob Hörnli, Krawättli oder Müscheli: Auf der Verpackung finden sich weisse Berggipfel und Schweizer Kreuze. Die Rohstoffe freilich stammen aus dem Ausland – der Hartweizen kommt aus Kanada oder den USA, die Eier werden zu 90 Prozent aus EU-Ländern importiert. Nur das Wasser kommt aus der Schweiz. «Hartweizen ist hierzulande gar nicht erhältlich, und Freilandeier gibt es nicht in den von uns benötigten Mengen», erklärt Dominik Thomas, Marketingleiter der Pasta Premium AG, die die Bschüssig-Teigwaren herstellt. Im neuen Gesetz sind für solche schwer oder nicht erhältlichen Rohstoffe Ausnahmeregelungen vorgesehen. Doch bei ihren «Bauernspätzle» muss die Firma über die Bücher. Deren Vermarktung als Schweizer Produkt ist weder heute noch künftig zulässig, denn die Spätzle werden nicht hierzulande hergestellt. «Wir sind dafür nicht ausgerüstet», so Thomas. «Das Problem erkennen wir aber und werden eine Lösung finden.»

Küchengeräte von Kuhn Rikon

Die bekannte Herstellerin von Pfannen und Kochgeschirr produziert bis heute in Rikon ZH. Wenn auf einem Kochtopf also «Kuhn Rikon Switzerland» steht, ist das korrekt. Das gilt allerdings nicht für diverses Küchenzubehör, das die Firma ebenfalls verkauft: Schwingbesen, Dämpfeinsätze, Schaumlöffel und anderes stellt Kuhn Rikon nicht selber her. Die Ware ist auf der Verpackung ebenfalls mit «Kuhn Rikon Switzerland» inklusive Schweizer Kreuz angeschrieben, kommt aber aus China. «Wir können diese Waren in unserer Fabrik in Rikon gar nicht selber herstellen», begründet Geschäftsführer Christof Gassner. Um im Markt bestehen und die Arbeitsplätze in der Schweiz erhalten zu können, müsse man aber das Sortiment erweitern. Fragt sich, weshalb trotzdem mit dem Label Schweiz geworben wird. «Wir deklarieren das Herkunftsland auf allen Produkten», sagt Gassner. Die Marke Schweiz sei im Ausland ein wichtiges Verkaufsargument, die Absatzmenge in der Schweiz hingegen gering: «Wir verkaufen unsere Küchenhelfer vor allem in den USA, wo andere Gesetze gelten.»