«PCB ist toxisch – räumen wir auf!»
Forscherin Nancy Hopf fordert, die PCB-Belastung der Bevölkerung zu untersuchen – um künftige Schäden zu verhindern.
Veröffentlicht am 26. März 2018 - 17:04 Uhr,
aktualisiert am 28. März 2018 - 16:01 Uhr
Beobachter: Wie kam es dazu, dass 2013 die Weltgesundheitsorganisation PCB als krebserregend einstufte? Sie gehörten damals ja der Arbeitsgruppe an.
Nancy Hopf: Wir haben Studien über Arbeiter in PCB-Fabriken analysiert, die Transformatoren und Kondensatoren mit Isolierflüssigkeit füllten und dabei regelmässig in Kontakt mit dem PCB-haltigen Öl kamen. Sie waren einer rund 100-mal höheren PCB-Belastung ausgesetzt als die übrige Bevölkerung. Verschiedene Studien zeigten, dass bei einer zunehmenden Gesamtbelastung das Risiko steigt, an Krankheiten wie Brustkrebs, Prostatakrebs und einigen Blutkrebsen zu sterben.
Beobachter: Wie gross sind die Risiken bei deutlich geringeren Belastungen?
Hopf: Wir wissen darüber sehr wenig. Die meisten Daten stammen von Tierexperimenten. Es scheint, dass eine erhöhte PCB-Belastung während der Schwangerschaft die neurologische Entwicklung des Fötus beeinflussen kann. Wir sollten daher – auch weil wir nicht genügend wissen – schwangere Frauen vor PCB-Belastung schützen. Künftige Generationen sind am verletzlichsten. Eine der grösseren Studien 2003 fand bei Männern missgebildete Spermien mit zwei Köpfen. Wir haben viele Männer mit schlechter Spermienqualität. Aber all diese Effekte hängen davon ab, welchen PCB-Verbindungen jemand ausgesetzt ist.
Beobachter: Was heisst das?
Hopf: Das Ganze wird verkompliziert, weil sich diese Verbindungen mit der Zeit in der Umwelt verändern. Hinzu kommt, dass PCB in der Umwelt in Kombination mit weiteren möglichen hormonaktiven Chemikalien vorkommt. Das macht es schwierig, bestimmte gesundheitliche Auswirkungen ausschliesslich PCB zuzuordnen.
Beobachter: Was passiert im Körper?
Hopf: PCB ist giftig für die Leber. Wenn es eingeatmet wird oder mit der Haut in Kontakt kommt, landet es im Blut und wird über den ganzen Körper verteilt. Mit der Nahrung gelangt PCB über die Verdauung direkt in die Leber. Wir wissen nicht, ob das einen Unterschied ausmacht. Wir wissen, dass der Körper PCB umwandelt und diese Moleküle verschiedene Hormone imitieren, die dann hormonelle Auswirkungen haben. Das bedeutet, dass Sie dann ein Hormonlevel haben, das nicht mehr vom Körper kontrolliert wird, sondern von aussen beeinflusst ist.
PCB und Dioxine gelangen vor allem über Lebensmittel in den Körper. Obwohl die Belastung der Nahrung seit Jahren rückläufig ist, nehmen wir diese Stoffe immer noch in Mengen auf, die nach aktuellem Wissensstand nicht als sicher gelten.
Wie sich die chronische PCB-Belastung auf die Gesundheit auswirkt, wird derzeit erforscht.
Beobachter: Was beunruhigt Sie eigentlich am meisten?
Hopf: Wenn die Quellen unerkannt bleiben, ist es möglich, dass Sie ihnen ständig ausgesetzt sind. Wenn Sie etwa PCB-haltigen Fugendichtungsstaub im Haus haben, 24 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche, dann sind das sehr viele Stunden mit sich anhäufender Belastung, von der sich heute nicht sagen lässt, wie hoch die Gesamtdosis ist. Mich beunruhigt, dass die PCB-Belastung – wenn auch gering – schon im Mutterleib beginnt und danach während des ganzen Lebens anhält. Das ist ein völlig anderes Belastungsszenario als bei den untersuchten Arbeitern in den PCB-Fabriken.
Beobachter: Würde es sich lohnen, die Gesundheitsrisiken besser zu erforschen?
Hopf: Es scheint, dass PCB die Schilddrüsenfunktion beeinträchtigen kann, besonders bei Schwangeren. Schilddrüsenhormone kontrollieren viele andere hormonelle Aktivitäten im Körper. Bei jungen Erwachsenen wurde Diabetes 2
nachgewiesen. Macht es da Sinn, weiter zu erforschen, was genau die toxischen Auswirkungen sind?
Beobachter: Was müsste denn getan werden?
Hopf: Ein biologisches Monitoring der Bevölkerung könnte Personen mit erhöhter PCB-Belastung identifizieren. Dann könnten wir uns darauf konzentrieren, die PCB-Quellen ausfindig zu machen und herauszufinden, wie wir die Belastung verringern können. Wir wissen, dass PCB toxisch ist – lasst uns also aufräumen, um Schaden an der Bevölkerung zu vermeiden!
Beobachter: Das Bundesamt für Gesundheit hat im Jahr 2017 ein Pilotprojekt für ein solches Biomonitoring-Programm gestartet. Das Ziel ist es, 100'000 Personen zu überwachen. Was halten Sie davon?
Hopf: Das gäbe dem Staat ein Werkzeug in die Hand. Denn erst wenn die heutigen PCB-Werte der Bevölkerung bekannt sind, können höhere Belastungen überhaupt erkannt und beseitigt werden. Wir haben die Werkzeuge, wir können PCB messen. Doch ohne Überwachung bleibt unklar, wo eingegriffen werden muss.
Nancy Hopf ist Arbeitshygienikerin am Institut für Arbeit und Gesundheit in Lausanne. Sie erforscht die Auswirkungen von Chemikalien auf die arbeitstätige Bevölkerung. 2013 war sie Mitglied der Arbeitsgruppe der Internationalen Agentur für Krebsforschung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die PCB für krebserregend erklärte.
Infografik: Andrea Klaiber und Anne Seeger
Quellen: Bundesamt für Gesundheit, Umweltbundesamt Deutschland, WHO
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