Es war ein dreijähriger Kampf. Doch am Ende siegte die Zürcher Mieterin Susan Wiget vor Bundesgericht gegen ihre Vermieterin. Sie muss weder ihre Wohnung verlassen, noch muss sie 955 Franken mehr Miete pro Monat zahlen. «Dieses Haus ist seit bald 25 Jahren meine Homebase. Deshalb habe ich mich gewehrt», sagt sie dem Beobachter. 

Susan Wiget hat erlebt, was viele Mieter erleben: Eine Erbengemeinschaft verkauft ihr Mehrfamilienhaus an jemanden, der viel dafür zahlt. Das Problem: Je höher der Verkaufspreis ist, desto stärker müssen die bisherigen Hausbewohnerinnen dafür bluten. Das erlaubt das Schweizer Mietrecht. Wiget wehrte sich jedoch erfolgreich. Weil ihre Vermieterin einen entscheidenden Fehler machte. 

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9,16 Millionen Franken für ein altes Haus

Eine Privatinvestorin von der Goldküste zahlte 9,16 Millionen Franken für das ältere Haus in der Stadt Zürich. Ein Preis, der laut Mietgericht allenfalls übersetzt war. 7,16 Millionen Franken legte die Investorin aus Eigenmitteln auf den Tisch, für 2 Millionen Franken nahm sie eine Hypothek auf. Acht Dreizimmerwohnungen und zwei Mansardenwohnungen im Zürcher Kreis 6 wechselten so die Hand. 

Eineinhalb Jahre nach dem Hausverkauf erhielten die Mietparteien des Hauses die Kündigung. Als Begründung gab die Vermieterin an: «Nichterreichung der gesetzlich zulässigen Nettorendite». Mit anderen Worten: Weil die Investorin so viel für das Haus bezahlt hatte, wollte sie die Mieterschaft loswerden. Das war 2021. 

Susan Wiget und andere Hausbewohner wollten das nicht hinnehmen. «Wir dachten, es kann doch nicht sein, dass man Mieterinnen und Mieter mit solch einer Begründung loswerden kann.»

Recht schützt übersetzte Verkaufspreise

«Dieser Fall ist leider typisch», sagt aber Larissa Steiner vom Zürcher Mieterverband. «Leider ist es so, dass sich hohe Kaufpreise bei Liegenschaften auf den zulässigen Mietzins auswirken.» In Ballungszentren passiere das häufig. Die Mieterschaft könnte sich zwar vor Gericht gegen einen «offensichtlich übersetzten» Verkaufspreis wehren. Doch das zu beweisen, ist fast unmöglich. Das Recht ist in solchen Fällen faktisch auf der Seite des Geldes. 

Das gilt, sofern die Vermieterin keine Verfahrensfehler begeht. Und das tat sie laut den Gerichten. Der erfolgte Rauswurf sei unzulässig, urteilte das Zürcher Obergericht letztinstanzlich. Die «Ertragsoptimierungskündigung» sei ungültig. 

Zum Verhängnis wurde der Privatinvestorin ein juristischer Fehler: Sie hatte 18 Monate nach dem Hauskauf zuerst eine Mietzinserhöhung um 45 Franken gemacht. Und dabei hatte sie keinen sogenannten Vorbehalt angebracht. Dieser ist zwingend, wenn die Miete aus Ertragsgründen weiter steigen soll. Das Obergericht schrieb: Die vorbehaltlose Mietzinserhöhung um 45 Franken habe bei der Mieterschaft den Eindruck erweckt, dass die Privatinvestorin nun einen genügend hohen Ertrag erziele. Dann könne sie nicht rund einen Monat später eine Ertragsoptimierungskündigung verschicken. Das verstosse gegen Treu und Glauben. 

Die Privatinvestorin kümmerte Wigets Widerstand gegen die Kündigung nicht. Statt den Ausgang des Verfahrens abzuwarten, sandte sie Wiget eine Mietzinsanpassung. Die Wohnung solle neu 2794 Franken kosten statt wie bisher 1839 Franken. Grund: «Anpassung an eine kostendeckende Nettorendite aufgrund Handänderung». Das Bundesgericht wies diese Mietzinserhöhung jedoch letztinstanzlich und vollumfänglich ab.

Rechtsanwalt: «Miete ist ein Hohn»

Der Zürcher Anwalt Peter Nideröst hat den Fall vor Bundesgericht gewonnen. Er sagt: «Was die neue Hausbesitzerin durchgezogen hat, ist mietrechtlich Kamikaze. Sie hat zuerst die Miete ohne Vorbehalt erhöht, dann der Mieterin gekündigt aufgrund zu kleiner Rendite und schliesslich während des Kündigungsschutzverfahrens versucht, eine zweite Mietzinserhöhung wegen der Nettorendite durchzudrücken.» 

Mieterinnen und Mieter sind laut dem Rechtsanwalt nur unzureichend geschützt. «Wenn ihr Haus spekulativ verkauft wird, kann die neue Besitzerin in Städten wie Zürich selbst für heruntergekommene Wohnungen sehr hohe Mieten verlangen. Im konkreten Fall ist die Höhe der verlangten Miete zwar ein Hohn, doch im überhitzten Markt findet die neue Besitzerin genug Leute, die das bezahlen.» 

Investorinnen wüssten, dass man in Zürich sehr gutes Geld verdienen könne, selbst wenn man übersetzte Preise für Wohnliegenschaften bezahle, sagt Nideröst. «Investitionen in Wohneigentum sind in Zürich ein Goldesel zulasten der Mietenden.» 

«Das ist ein ganz schlimmes Gefühl»

Die dreijährige juristische Auseinandersetzung sei nicht einfach auszuhalten gewesen, sagt Wiget. «Man kommt nach Hause und fühlt sich nicht mehr zu Hause. Das ist ein ganz schlimmes Gefühl.» 

Anfänglich gingen sieben Parteien des Mehrfamilienhauses wegen der Kündigung vor die Schlichtungsstelle. Doch als es keine Einigung gab, war Susan Wiget die Einzige, die auch Klage vor Mietgericht einreichte.

Wiget sagt, sie sei zwar etwas enttäuscht gewesen, dass niemand aus dem Haus den Fall ebenfalls weiterzog. Doch das sei nur menschlich. «Das Risiko für mich war, dass ich vom einen auf den anderen Moment rausmüsste, wenn ich verliere. Und ich hätte im schlimmsten Fall etwa 25’000 Franken Miete nachzahlen müssen auf einen Schlag.»

Ausgezogen, obwohl im Recht

Heute ist Susan Wiget die einzige ursprüngliche Mieterin, die noch da ist. Alle anderen sind ausgezogen. Die Neuen zahlen rund 1000 Franken mehr pro Dreizimmerwohnung.

«Wir Mieterinnen sind am kürzeren Hebel, auch wenn das Recht auf unserer Seite ist. Ich konnte das durchstehen, weil ich keine Familie habe und mein Partner in der Nähe wohnt. So habe ich ein zweifaches Zuhause», sagt Wiget.

Privatinvestorin weist Kritik zurück

Der Anwalt der Investorin, Reto Ziegler, weist alle Vorwürfe zurück. Die Liegenschaft im Jugendstil sei gut unterhalten und gepflegt. Ein Mietzins von 2800 Franken sei absolut gerechtfertigt und marktüblich, «aus unserer Sicht sogar eher etwas tief». Der Kaufpreis sei nicht übersetzt gewesen, sondern habe in der Höhe der Verkehrswertschätzung gelegen.

Das Urteil des Bundesgerichts sei falsch. Die Investorin habe sich zudem sozial gezeigt. Statt die Miete zu erhöhen, hätte sie auch die Wohnung kündigen können, sagt der Anwalt.

Immerhin: Susan Wiget ist nun drei Jahre lang vor einer Kündigung geschützt. Eine Mieterhöhung aus Ertragsgründen sei nach dem Bundesgerichtsurteil so gut wie chancenlos, sagt ihr Anwalt. 

«Endlose Aufwärtsspirale» bei Mieten

Laut Larissa Steiner vom Mieterverband zeigt der Fall, wie der Verdrängungsprozess in Zürich funktioniert. Gutverdienerinnen verdrängen den Mittelstand. «Die Vermieterin konnte im vorliegenden Fall überall die Miete erhöhen, obwohl es unzulässig gewesen wäre.» Die höheren Mieten, die nun im Haus von Susan Wiget gezahlt würden, wirkten sich auf die Mietzinsstatistik aus und ermöglichten so, andere Mieten im Quartier zu erhöhen. Das führe zu einer endlosen Aufwärtsspirale. 

Mieterinnen und Mieter seien oft eingeschüchtert und nähmen ihre Rechte deshalb nicht wahr, auch wenn die Rechtslage klar zu ihren Gunsten sei. «Das ist auch verständlich, wenn man weiss, wie schwierig es ist, eine andere Wohnung zu finden.» 

Susan Wiget freut sich über ihren Sieg vor Bundesgericht. Sie sagt aber: «Das Tragische ist, dass ich die Einzige bin, die davon profitiert. Die anderen Parteien im Haus haben nichts davon.» 

Beobachter rät, Schlichtung einzuleiten

Was sollen Mieterinnen und Mieter tun, wenn die Miete viel höher ist als bei den Vorgängern? «Sie sollen sich überwinden und rechtzeitig ein Schlichtungsgesuch einreichen – obwohl das nicht angenehm ist, wenn man gerade erst eingezogen ist», sagt Rechtsanwältin Nicole Müller vom Beobachter-Beratungszentrum. Wenn es keine Einigung gibt, kann man sich immer noch juristisch beraten lassen, etwa beim Beratungszentrum. Mehr zum Anfangsmietzins erfahren Sie hier und zum Schlichtungsverfahren hier.