Mit der Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Obligationen stärke die Schweiz ihren Finanzplatz, sagen die Befürworterinnen und Befürworter. Die Gegnerinnen und Gegner sehen in der Reform ein Steuergeschenk für Grosskonzerne – und ein Schlupfloch für Steuerhinterziehung. Hier finden Sie die wichtigsten Infos zur Abstimmung vom 25. September.

Zuerst: Kann ich überhaupt über eine Vorlage befinden, die von Obligationen und Fremdkapitalmarkt handelt – Sachen, von denen ich keine Ahnung habe?

Ja, das können Sie. Die Diskussion um die Reform der Verrechnungssteuer ist zwar durchtränkt von Wörtern wie «Obligationen», «Zinserträgen», «Steuersicherung» und «Fremdkapitalmarkt». Man soll sich davon aber nicht abschrecken lassen. Bei der Abstimmung am 25. September geht es um die einfache Frage, ob eine Steuer abgeschafft werden soll oder nicht. Und ob man denkt, dass sich daraus positive oder negative Folgen ergeben.

 

Was ist die Verrechnungssteuer und warum gibt es sie?

Wenn wir auf das Sparkonto einen Zins erhalten, werden 35 Prozent davon direkt als Steuer abgezogen. Das ist die Verrechnungssteuer. Sie entfällt auch auf Dividenden aus Aktien und andere Erträge aus Geldanlagen. Wenn man dieses Einkommen in der Steuererklärung angibt, erhält man die Verrechnungssteuer zurück. Das Geld wird einem bei der Steuerrechnung gutgeschrieben. Der Zweck der Verrechnungssteuer ist darum in erster Linie, Steuerhinterziehung entgegenzuwirken.

 

Was soll sich jetzt ändern?

Auf die Zinserträge aus inländischen Obligationen soll die Verrechnungssteuer ab dem Jahr 2023 entfallen. So wollen es der Bundesrat und die bürgerliche Mehrheit des Parlaments. Ebenfalls gestrichen werden soll die sogenannte Umsatzabgabe auf inländische Obligationen. Für ausländische Anlegerinnen und Anleger soll auch die Verrechnungssteuer auf Bankkonto-Zinsen abgeschafft werden. Dazu kommen noch einige weitere Änderungen, die aber keine grosse Bedeutung haben.

 

Warum wollen das die Befürworterinnen und Befürworter?

Obligationen sind Wertpapiere, die von Unternehmen und Banken ausgegeben werden, aber auch vom Staat, in der Schweiz also von Bund, Kantonen und Gemeinden. Die Herausgeber beschaffen sich so Fremdkapital, mit dem sie wirtschaften können. Als Gegenleistung zahlen sie einen Zins auf das geliehene Geld. Die meisten Obligationen haben dabei eine festgeschriebene Laufzeit. Das heisst, man bekommt das Geld zum Beispiel nach zehn Jahren zurück.

Bei Obligationen fällt die Verrechnungssteuer auf den Zins jedoch nur an, wenn sie in der Schweiz ausgegeben werden. Das schade der Schweizer Wirtschaft, finden der Bundesrat und die Mehrheit des Parlaments. Denn es führe dazu, dass viele Schweizer Unternehmen ihre Obligationen in Ländern ausgeben, die keine Verrechnungssteuer erheben. Schweizer Obligationen seien für alle Beteiligten mit Aufwand verbunden. So müssen Anlegerinnen und Anleger aus dem Ausland ein Rückerstattungsgesuch stellen, damit sie die Verrechnungssteuer zurückerhalten. Der Obligationenmarkt in der Schweiz sei deshalb wenig entwickelt. Damit gingen auch Arbeitsplätze und Abgaben ans Ausland verloren.

 

Was kritisieren die Gegnerinnen und Gegner an der Vorlage?

Für die Gegnerinnen ist die Vorlage ein weiterer Versuch, Grosskonzernen steuerliche Sonderrechte zu gewähren. Wie schon bei der abgelehnten Vorlage zur Abschaffung der Stempelsteuer Abstimmung vom 13. Februar Darum geht es bei der Änderung der Stempelsteuer , sagen sie. So würden von den neuen Regeln nur rund 200 grosse Firmen profitieren. KMU hingegen hätten nichts davon, da sie sich nicht über Obligationen finanzieren.

Zu den Profiteuren gehörten weiter ausländische Anleger, darunter Oligarchen, deren Vermögen häufig aus zweifelhaften Quellen stamme. Im Gegenzug dazu würden Steuereinnahmen entfallen, die der Allgemeinheit zugutekämen. Ebenso würde ein Schutz gegen Steuerhinterziehung wegfallen.

 

Wie gross wären die Steuerausfälle?

Einen Grossteil dessen, was der Bund an Verrechnungssteuer einnimmt, erstattet er zurück. Aber nicht alles. Personen im Ausland bekommen nur einen Teil retour. Manche scheuen auch den Aufwand, das Geld zurückzufordern. Wird die Verrechnungssteuer auf Obligationen gestrichen, entgehen dem Bund deshalb durchaus Einnahmen.

Am Anfang lägen die Ausfälle im zweistelligen Millionenbereich, später fielen sie höher aus. Der Grund ist, dass die Verrechnungssteuer nur bei neuen Obligationen wegfällt, nicht aber bei bestehenden. Langfristig rechnet der Bundesrat mit 215 bis 275 Millionen Franken weniger Einnahmen pro Jahr. Voraussetzung ist allerdings, dass die Bedingungen gleich bleiben, die Zinsen sich also weiterhin auf dem heutigen Niveau bewegen.

Die Gegner sprechen darum von Schönfärberei: Steigen die Zinsen an, könnten die Ausfälle bis auf jährlich 800 Millionen Franken steigen, zeigen Berechnungen des Bundes. Mindestens 480 Millionen davon würden an Anleger im Ausland abfliessen. Zur Einordnung: Insgesamt betragen die Steuereinnahmen des Bundes fast 200 Milliarden Franken (im Jahr 2019 zum Beispiel 198 Milliarden).

 

Kommt das Geld wieder rein?

Die Befürworter sagen, die Reform bringe dem Bund langfristig höhere Einnahmen. So würden die grossen Konzerne häufiger Geld in der Schweiz aufnehmen, also mehr Wertschöpfung im Inland erzeugen und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen – was zu höheren Steuereinnahmen bei Bund, Kantonen und Gemeinden führe. Die Bankiervereinigung sagt, dass durch die Reform innerhalb von fünf Jahren zusätzlich 900 Milliarden Franken Vermögen in die Schweiz flössen. Ob das tatsächlich zutrifft und wie sich das auf Arbeitsplätze und Steuereinnahmen auswirkt, kann aber nur gemutmasst werden.

Die Befürworterinnen nennen noch einen weiteren Vorteil: Wenn Unternehmen mehr Fremdkapital im Inland aufnähmen, werde das den Kapitalmarkt beleben und die Zinsen für Obligationen tendenziell senken. Auch die öffentliche Hand könnte sich so günstiger Fremdkapital beschaffen – zum Beispiel zum Bau von Schulhäusern oder Spitälern.

 

Und was ist mit Steuerhinterziehung?

Wenn der Sinn der Verrechnungssteuer ist, Steuerhinterziehung zu unterbinden – was passiert dann, wenn man die Verrechnungssteuer teilweise abschafft? Für die Gegner ist der Fall klar: Steuerhinterziehung wird begünstigt. Tatsächlich wollte der Bundesrat in einer ursprünglichen Version der Reform einen Mechanismus einrichten, der Steuerhinterziehung entgegengewirkt hätte. Auf Betreiben bürgerlicher Parlamentarierinnen und Parlamentarier strich er ihn aber wieder aus der Vorlage. Sie sagen, ein solcher Mechanismus sei technisch zu komplex und für die Banken mit Risiken verbunden.

Ob und wie stark die Steuerhinterziehung zunimmt, wenn die Verrechnungssteuer wegfällt, kann man nicht vorhersagen. Die Befürworter sagen, das Risiko sei klein. Obligationen würden selten von Privatanlegerinnen gehalten, sondern hauptsächlich von Pensionskassen oder Versicherungen. Diese unterstehen der Buchführungspflicht. Bei privaten ausländischen Anlegern gilt der automatische Informationsaustausch, was Steuerhinterziehung erschwere, so die Befürworter.

 

Betrifft mich die Vorlage auch als privater Kleinanleger oder private Kleinanlegerin?

Ja. Wird die Reform angenommen, bezahlt man auf den Zins von Obligationen keine Verrechnungssteuer mehr. Zumindest nicht auf solche, die ab 2023 gelöst wurden. Bei anderen Einkünften aus Kapitalanlagen bleibt die Verrechnungssteuer bestehen. Etwa auf Dividenden auf Aktien oder den Zins auf dem Sparkonto.

 

Wer ist für, wer ist gegen die Reform?

Die Fronten verlaufen gleich wie bei der Vorlage zur Abschaffung der Stempelsteuer, die das Stimmvolk im Februar abgelehnt hat: Der Bundesrat sowie SVP, FDP, Mitte und GLP wollen die Verrechnungssteuer auf Obligationen abschaffen. Ebenso für die Reform sind die Wirtschaftsverbände. Dagegen sind SP, Grüne und die Gewerkschaften. Gemeinsam haben sie das Referendum ergriffen. Auch die EVP empfiehlt ein Nein.

 

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