Die Stunde der Lobbyisten
Im Windschatten der Coronakrise wird weltweit der Umweltschutz attackiert – auch in der Schweiz.
Veröffentlicht am 20. April 2020 - 09:55 Uhr
Es ist ein Lehrstück in Lobbyismus. In den USA wurden Anfang April überraschend die Arbeiten an der Mega-Pipeline Keystone XL aufgenommen. Sie soll Öl aus Kanada in die USA transportieren. Die indigene Bevölkerung und Umweltaktivisten bekämpften das hochumstrittene Projekt seit Jahren, US-Präsident Barack Obama stoppte es wegen Klimabedenken. Donald Trump genehmigte es unmittelbar nach Amtsantritt. Jetzt wurde – mitten in der Coronakrise – die Finanzierung gesichert, wurden blitzschnell neue Gesetze beschlossen, und gleich noch Demonstrationen gegen «kritische Infrastruktur» verboten.
Dabei blieb es nicht. Wegen der Pandemie setzte die US-Umweltbehörde Umweltgesetze teilweise ausser Kraft. Und Präsident Trump lockerte die Abgasgrenzwerte für Autos so stark, dass sogar die Autohersteller selber dagegen sind.
Auch in anderen Ländern nützen Lobbyisten den Moment. In Deutschland sorgt eine neue Düngemittelverordnung für Ärger. Bereits 2018 hatte die EU-Kommission Deutschland erfolgreich verklagt, weil es die Nitratgrenzwerte im Grundwasser überschreitet. Die deutsche Agrarlobby protestierte gegen die neuen Regeln und drohte Ende März gar unverhohlen damit, während der Coronakrise die Lebensmittelproduktion zu reduzieren und so einen Versorgungsengpass zu verursachen. Mit einem Teilsieg: Statt per sofort wird die Verordnung nun erst ab 2021 gelten.
In der Schweiz bringen sich Lobbyisten jetzt ebenfalls in Stellung. Einige sogar ganz öffentlich.
Swiss-Chef Thomas Klühr fordert schon seit Mitte März Staatshilfe für die Airline, Umweltschutzverbände wollen die Hilfe von Klimamassnahmen abhängig machen. Während der Bundesrat noch debattiert, will die Internationale Luftverkehrs-Vereinigung IATA die Regeln für das globale CO2-Kompensations-Projekt «Corsia» abschwächen.
Auch der Bauernverband ist aktiv geworden und fordert, dass die Agrarreform des Bundesrats gestoppt wird. Er droht bereits mit dem Referendum gegen die neue Agrarpolitik, mit der die Regierung Anpassungen bei Ausbildung, Vorsorge, Absicherung gegen Ernteausfälle, Innovationsförderung und Umweltschutz vornehmen will. Die Umweltbelastung soll auf ein für die Ökosysteme tragbares Niveau gesenkt werden. Der Bundesrat schlägt zudem in der Botschaft ein Massnahmenpaket als Alternative zur Trinkwasserinitiative vor.
Dass in einer nachhaltigeren Landwirtschaft mit weniger Pestiziden die Erträge kleiner werden und die Inlandproduktion sinkt, stösst dem Bauernverbands-Präsidenten Markus Ritter aber sauer auf. Eine tiefere Selbstversorgung sei unhaltbar und gerade in der Corona-Krise ein desaströses Signal, sagte er der «NZZ». Die Auslandabhängigkeit müsse reduziert, nicht noch erhöht werden. Ein Manöver, um die Chancen der hängigen Trinkwasserinitiative zu schmälern? Nein, es gehe nicht darum, Zeit zu schinden, sagte Ritter.
Für die Initiantin der Trinkwasserinitiative, Franziska Herren, ist dagegen klar, dass der Bauernverband einfach die Umweltziele nicht erfüllen will. «Es ist schamlos, die Krise und die Angst der Bevölkerung wegen der Versorgungssicherheit so auszunützen. Der Bauernverband müsste ehrlicherweise kommunizieren, dass die Landwirtschaft heute voll von Pestiziden, Antibiotika, Futtermitteln und Erdöl aus dem Ausland abhängig ist und bei geschlossenen Grenzen kollabieren würde.» Der Eigenversorgungsgrad könne schon heute viel höher sein, wenn man effizienter produzieren und die Lebensmittelverschwendung – immerhin ein Drittel aller Lebensmittel – stoppen würde.
Auch der Branchenverband der Automobil-Importeure Auto-Schweiz prescht vor. Der Bund solle bei der Durchsetzung des CO2-Grenzwerts für neue Autos kulant sein. Dabei ist er dieses Jahr gerade erst auf 95 Gramm pro Kilometer verschärft worden. Das war nötig, weil der seit 2015 geltende Grenzwert von 130 Gramm notorisch überschritten wurde. Die Autohändler verkauften zu viele grosse und verbrauchsstarke Fahrzeuge. Verfehlen sie das Ziel, drohen nächstes Jahr hohe Strafen. Wobei der Bundesrat – im Gegensatz zur EU – eine grosszügige Übergangsphase eingeführt hat.
Trotzdem schlägt Auto-Schweiz Alarm: Im März wurden fast 40 Prozent weniger Fahrzeuge in Verkehr gesetzt als im März 2019. Die Krise werde Auswirkungen auf die Emissionen von Neuwagen haben und wegen der tieferen Nachfrage und Lieferschwierigkeiten werde der Absatz von Elektroautos und Plug-in-Hybriden (Hybride, deren Batterie auch am Stromnetz aufgeladen werden kann) besonders stark zurückgehen.
Die EU-Autolobby forderte bereits mit einem offenen Brief an die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Lockerung der CO2-Grenzwerte. Allerdings machen nicht alle mit: Der Verband der deutschen Automobilhersteller und -zulieferer sowie die drei grossen deutschen Hersteller Volkswagen, Daimler und BMW wollen nicht an den Emissionsgrenzen rütteln. Falls die EU Anpassungen vornimmt, will sich Auto-Schweiz aber dafür «stark machen», dies auch hierzulande zu tun. Um «exorbitante Sanktionen» zu verhindern, meint der Verband.
Aber sind schlechtere Verkaufszahlen automatisch ein Problem, um die Klimavorgaben zu erreichen? Andreas Burgener, Direktor von Auto-Schweiz, sagte im «Blick» dazu: «Die CO2-Zielwerte wären schon in einer normalen Marktsituation nicht erreichbar. So werden sie aber zur völligen Utopie!»
Das will Martin Winder vom Schweizer Verkehrs-Club VCS nicht gelten lassen. «Es gibt keinen Grund, wieso jetzt nur der Anteil Elektroautos sinken sollte.» Momentan gehe der Gesamtmarkt zurück und nicht spezifisch der Absatz von umweltfreundlichen Fahrzeugen. «Wir dürfen nicht wegen der Corona-Krise Zeit im Kampf gegen den Klimawandel verlieren. Wenn schon, müssen wir schauen, dass Konjunkturprogramme beim Klimaschutz mithelfen und ihn nicht torpedieren.»
Tatsächlich hat Auto-Schweiz das eigens gesetzte Branchenziel von 10 Prozent elektrifizierten Fahrzeugen mit 9,7 Prozent praktisch im ersten Quartal des laufenden Jahres erreicht. Im März lag mit 13,7 Prozent der Anteil von Elektroautos und Plug-In-Hybriden sogar auf Rekordhöhe.
Konsumentinnen und Konsumenten kauften in unsicheren Zeiten ohnehin günstigere und verbrauchsärmere Fahrzeuge, sagt Christoph Schreyer vom Bundesamt für Energie. Das habe man im Nachgang der Finanzkrise beobachten können: 2008 und 2009 gingen die CO2-Emissionen der Neuwagenflotte um jeweils 4 Prozent zurück. Das dürfte der Branche helfen, die verschärften CO2-Ziele zu erreichen.
Auf Unterstützung des Parlaments können die Lobbyisten derzeit nicht zählen. Selbst wirtschaftsnahe Parteien wie FDP und GLP erteilen den vorpreschenden Verbänden vorsorglich eine Abfuhr. So sagt FDP-Präsidentin Petra Gössi: «Die Dringlichkeit in der Umwelt- und Klimapolitik – wie auch anderen Themen, etwa der Altersvorsorge – hat aufgrund von Corona nicht abgenommen. Darum steht die FDP weiterhin für eine rasche Beratung und Verabschiedung des CO2-Gesetzes und wir wollen auch bei der Agrarreform vorwärts machen.» Selbstverständlich müsse man die Konsequenzen nach der Bewältigung der Corona-Krise aber dann in die Gesamtbeurteilung miteinbeziehen.
GLP-Präsident Jürg Grossen sagt unmissverständlich: «Diese Forderungen sind fehl am Platz, eine weitere Abschwächung der Massnahmen zur Erreichung der Klimaziele für die Autobranche sind für uns auch in der Krise nicht akzeptierbar.» Die CO2-Flottenziele seien ja vom Bundesrat bereits hinter die Zielwerte der EU abgeschwächt worden. Ähnlich sieht es Grossen bei der Landwirtschaft. Sie habe ihre Umwelt- und Klimaziele in den vergangen Jahren bei weitem verfehlt. «Eine Lockerung kommt für uns nicht in Frage. Die aktuelle Krise muss sowohl in der Autobranche wie auch in der Landwirtschaft als Chance gepackt werden, endlich auf echten und wirksamen Klima- und Umweltschutz umzuschwenken.»
2 Kommentare
Erschreckend, beschämend, die Haltung vieler "Lobbyisten" = ParlamentarierInnen (sehr gut entlöhnte "Volks-VertreterInnen"= "Volks-Zer-treterInnen") und polit. Parteien (intransparente Geldspenden-Entgegennehmer)!?
Das effektive Volks-Wohl, ist diesen "Volks-VertreterInnen", absolut egal! Priorität haben "Eigeninteressen-Verfolgung und Habgier"! Schweizer "Volks-Zer-TreterInnen"!
Auch die Telekombranche forderter nun mit Nachdruck, u.a. auch über die economiesuisse, höhere Strahlungsgrenzwerte für ihren 5G-Ausbau. Dagegen könnten mit einer konsequenten Trennung der Innen- und Aussenversorgung mit Breitbandinternet gar die Grenzwerte gesenkt werden (siehe dazu den Artikel "Rezept für einen strahlungsarmen Mobilfunk" im OEKOSKOP 2/19).