Menschen mit Behinderung fordern gleiche Rechte
Die Inklusionsinitiative verlangt, dass Menschen mit Behinderung selber entscheiden dürfen, wo und wie sie wohnen. Am Donnerstag haben mehrere Organisationen mit der Unterschriftensammlung begonnen.
Veröffentlicht am 27. April 2023 - 18:34 Uhr
Sympathisantinnen und Sympathisanten der Inklusionsinitiative auf dem Bundesplatz in Bern.
Über 100 Menschen haben sich am Donnerstagmittag auf dem Bundesplatz in Bern versammelt, um mit einem Aktionstag die Unterschriftensammlung für die Inklusionsinitiative zu starten. Die Initiative verlangt, dass Menschen mit einer Behinderung die gleichen Rechte erhalten wie alle anderen.
Heute sei das noch nicht der Fall, betonten Vertreterinnnen des Initiativkomitees an einer Pressekonferenz im Bundeshaus – obwohl die Schweiz die Uno-Behindertenrechtskonvention bereits vor Jahren ratifiziert hat und es ein Gleichstellungsgebot in Verfassung und Gesetz gibt.
Vorwurf der Trödelei
«Die Dinge, die man in Verfassung und Gesetz geschrieben hat, werden höchst gemächlich umgesetzt – oder gar nicht», sagte der Staatsrechtler Markus Schefer vor kurzem in einem Interview mit dem Beobachter . Das Mitglied der Uno-Behindertenrechtskommission hat den Initiativtext für einen neuen Verfassungsartikel mitverfasst. «Nach 20 Jahren Trödelei ist jetzt ein ausdrückliches Statement von Volk und Ständen nötig: Wir wollen das wirklich, macht jetzt endlich vorwärts!»
Zum überparteilichen Initiativkomitee gehören viele Personen, die selbst von einer Behinderung betroffen sind. Unter ihnen der Zürcher SP-Politiker und frühere Prix-Courage-Kandidat Islam Alijaj, die sehbehinderte Primarlehrerin Karin Huber Hurni und weitere Menschen, die trotz geistiger Beeinträchtigung aktiv am Polit- und Gesellschaftsgeschehen teilnehmen. Dazu unterstützen zahlreiche Organisationen die Forderungen. Insgesamt haben gemäss dem Bundesamt für Statistik 1,7 Millionen Menschen in irgendeiner Form eine Behinderung, 29 Prozent davon gelten als stark beeinträchtigt.
Wie viel wird das kosten?
Ein zentraler Punkt der Initiative ist das Recht, selbständig zu entscheiden, wo und wie man wohnt. Heute leben in der Schweiz rund 150’000 Menschen mit Behinderung in Heimen. Viele davon nicht freiwillig, oft weil es an Alternativen fehlt. Weitere Forderungen sind weniger Diskriminierungen im Alltag und mehr bezahlte Assistenz. Wie viel das alles kosten würde, ist schwer abschätzbar. Im Initiativtext steht jedoch ausdrücklich, dass Änderungen nur «im Rahmen des Verhältnismässigen» durchgeführt werden sollen.
Im Interview mit dem Beobachter sagt Initiant Markus Schefer: «Natürlich werden uns einige Dinge mehr kosten. Aber jetzt entwickeln wir diese Sachen doch einmal und schauen, was man finanzieren kann und was nicht. [...] Wir alle wollen unser Leben optimieren und als Individuen selbst bestimmen – aber wehe, Menschen mit Behinderungen wollen das auch.»
Das Initiativkomitee hat nun 18 Monate Zeit, 100'000 gültige Unterschriften zu sammeln.
1 Kommentar
Ein Zitat aus dem Artikel:
"Die Initiative verlangt, dass Menschen mit einer Behinderung die gleichen Rechte erhalten wie alle anderen."
Ich möchte dazu einen kleinen Denkanstoss geben:
Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Das ist eine Tatsache und kein Ziel. Alle Menschen haben also folglich auch die selben Rechte.
Dass es Bereiche gibt, in denen dieses Recht auf Gleichstellung nicht umgesetzt wird, ist ebenfalls eine Tatsache und für viele Menschen eine bittere Realität.
Eine Ungleichbehandlung von Menschen, welche die selben Rechte haben, ist eine Schande - insbesondere für ein Land wie die Schweiz, in dem die finanziellen Mittel vorhanden sind.
Ist es nicht beschämend, wenn ein (bereits vulnerabler!) Mensch, über den Weg einer Initiative, ein Recht einfordern muss, das einem bereits zusteht?