Verschmutzung der Umwelt, Verletzung der Menschenrechte: Beim Zementhersteller LafargeHolcim stellt Greenpeace 122 «ernstzunehmende Hinweise auf Skandale und unternehmerisches Fehlverhalten» fest. «Die schiere Anzahl bewiesener und wahrscheinlicher Fälle ist schon ein Skandal an sich», sagt Matthias Wüthrich von Greenpeace Schweiz. «Das allein zeigt, dass LafargeHolcim ein systematischer Verschmutzer ist. Und dass die mangelnde Regulierung ein Problem darstellt.» Es reiche nicht, auf freiwillige Massnahmen zu hoffen.

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LafargeHolcim gehört zu den grössten Zement- und Baustoffproduzenten und ist weltweit tätig. Greenpeace richtet in einer Studie happige Vorwürfe an den Konzern mit Sitz in Zug. Zum Beispiel in Bezug auf die Tochterfirma Ambuja Cement im Norden Indiens, die die Umgebung stark mit Feinstaub und Schadstoffen belaste, was zu Umwelt- und Gesundheitsschäden führe. Die dortige Bevölkerung ist mit Petitionen und Beschwerden gegen die Firma vorgegangen – bisher ohne Erfolg.

Gemäss Greenpeace müssten der Zementriese oder die fehlbaren Tochterfirmen Verantwortung übernehmen. Es brauche dringend verbindliche Haftungsregeln für global operierende Firmen, fordert die Umweltorganisation.

Klagen in der Schweiz

LafargeHolcim gehört wie Glencore oder Syngenta zu den Unternehmen, gegen die sich die Konzernverantwortungsinitiative richtet, über die am 29. November an der Urne entschieden wird. Im Kern geht es darum: Firmen sollen im Ausland nicht ungestraft gegen Menschenrechte verstossen und die Umwelt verschmutzen können. Deshalb wollen die Befürworter die Haftungsregeln für Konzerne verschärfen. Geschädigte sollen in der Schweiz direkt den Mutterkonzern verklagen können.

Der Abstimmungskampf ist heftig. Weil eine Initiative nicht fertiges Gesetz ist, verläuft die Diskussion oft etwas theoretisch. Wie aber liefe eine Klage ganz konkret ab, wenn die Initiative angenommen würde? Antworten liefert der St. Galler Anwalt Gregor Geisser. Er doktorierte zum Thema Haftung von Firmen bei Menschenrechtsverletzungen in internationalen Sachverhalten und beriet die Initianten juristisch.

«Zuallererst müssten Betroffene Beweise sammeln», sagt Geisser. Denn Schweizer Gerichte müssten nicht von Amtes wegen einen Sachverhalt abklären, wie das im Strafrecht der Fall ist. Bei der Konzernverantwortungsinitiative gehe es um Zivilrecht. Hier muss die Klägerin die Beweise liefern und das Gericht dann prüfen, ob sie stichhaltig sind und welcher Seite es eher glaubt.

Gutachten und Autopsien

Im Fall der Feinstaubbelastung in Nordindien müssten Kläger zum Beispiel mit Gutachten belegen können, dass internationale Grenzwerte überschritten werden. Oder ärztliche Untersuchungen oder Autopsieberichte vorlegen, die eine Schädigung nachweisen. Zudem müssten sie beweisen, dass die Fabrik LafargeHolcim gehört oder sie vom Schweizer Konzern kontrolliert wird.

Im nigerianischen Ewekoro steht eine LafargeHolcim-Zementfabrik in der Kritik, auch dort wegen der hohen Belastung mit Feinstaub. Der Zementstaub lagere sich überall ab – auf den Dächern, auf zum Trocknen aufgehängten Kleidern, im Trinkwasser, sagen die Bewohner. Sie leiden unter Atemwegsbeschwerden und bleibenden Schäden an Leber, Lunge und Milz. Für die Luft- und Wasserqualität in Ewekoro bestätigt ein wissenschaftliches Gutachten, dass Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation überschritten wurden.

Das sei ein Beispiel für einen Beweis, den potenziell Geschädigte vor Gericht anbringen könnten, wenn die Initiative schon in Kraft wäre, sagt Gregor Geisser – und schränkt gleich ein: «Für einen solchen Schaden würde ein Konzern aber nur haftbar, wenn dieser die Schwelle einer Menschenrechtsverletzung überschreitet. Es reicht nicht, dass etwa ein Angestellter der ausländischen Tochtergesellschaft aus Unachtsamkeit einen Mitarbeiter verletzt.»

Vorliegen müsse auch eine besondere Schwere und Dauer. Mit grossflächigen Verseuchungen und gesundheitlichen Leiden wäre eine solche Schwelle erreicht. Orientieren müsste sich ein Schweizer Gericht an internationalen Standards, etwa an den Mindeststandards der Weltbank für Zementfabriken oder an den Uno-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte.

Auch Geld spielt eine Rolle. In der Schweiz sind keine Sammelklagen möglich Jahrelange Verzögerung Wieso es in der Schweiz noch immer keine Sammelklagen gibt , also trägt jede klagende Person das Prozessrisiko und muss mitunter hohe Vorschüsse zahlen.

«Korruptes Rechtssystem»

Um vor einem nigerianischen Gericht zu klagen, engagierte die Bevölkerung von Ewekoro den Anwalt Idris Faro. Er arbeite aber mehr oder weniger gratis, die Betroffenen könnten ihm nicht wirklich ein Honorar bezahlen. Weil Proteste und Gespräche nichts brachten, klagte Faro 2017 Lafarge Africa ein. «Die Klage wurde aus verfahrenstechnischen Gründen abgewiesen, ohne dass überhaupt ein Prozess hat stattfinden können», sagt der Anwalt. «Arme Klagende verlieren in Nigeria oft Fälle. Nicht weil sie nicht recht hätten, sondern weil wir in Nigeria auch gegen ein korruptes Rechtssystem kämpfen.»

«Als verantwortungsbewusstes Unternehmen nimmt LafargeHolcim die Vorwürfe sehr ernst», sagt Sprecherin Eva Mairinger. In Ewekoro habe man erheblich in modernste Systeme investiert und die Staubemissionen halbieren können. Weitere Massnahmen seien initiiert, so eine neue Filteranlage in einem Werk, das bis dahin stillgelegt wurde. Man arbeite eng mit der Bevölkerung und den lokalen Behörden zusammen.

Wenn die Initiative in Kraft wäre, würde die schwierigste Hürde aber erst noch folgen, sagt Anwalt Geisser: Die Betroffenen müssen einen Kausalzusammenhang zwischen einem Schaden und der mutmasslich schädigenden Handlung eines Unternehmens beweisen können. Und das innerhalb der Verjährungsfrist.

Was passiert dann in der Schweiz? Die Klage muss bei jenem Gericht eingereicht werden, wo die Firma ihren Hauptsitz hat. Bei LafargeHolcim etwa im Kanton Zug. Sind kleine Schweizer Gerichte damit nicht überfordert? «Nein. In unserer globalisierten Welt ist das an der Tagesordnung, zum Beispiel bei Scheidungsfällen, bei denen ein Partner im Ausland lebt», sagt Gregor Geisser. «Am Handelsgericht Zürich haben rund ein Drittel der Fälle einen Bezug zum Ausland.»

Aber selbst wenn die klagende Person alle Punkte erfüllt – Verjährungsfrist eingehalten, Dokumente vorgelegt, den Kausalzusammenhang zwischen Schaden und Konzern belegt, das Geld zusammengekratzt und die Schwere des Vergehens nach internationalen Standards aufgezeigt –, könnte sich der beschuldigte Konzern gemäss Initiative immer noch aus der Haftung befreien. «Dafür ist die Sorgfaltsprüfungspflicht vorgesehen», sagt Geisser. Wenn eine Firma glaubhaft machen kann, dass sie alles Zumutbare zur Risikominderung getan hat, hafte sie nicht – selbst wenn ein Schaden vorliegt. Juristisch ausgedrückt: «Es gibt eine Handlungspflicht, aber keine Erfolgspflicht.» Die Initiative wirke daher eben auch präventiv.

Bei einer Verurteilung müsste der Mutterkonzern Schadenersatz zahlen. Da es in der Schweiz ein Bereicherungsverbot gibt, würde sich die Höhe des Betrags laut Gregor Geisser am effektiv erlittenen Schaden bemessen, nach lokalen Verhältnissen (Mehr dazu im Interview mit Jurist Nicolas Bueno Konzerne und Ethik «Die Wirtschaft reguliert sich nicht selbst» ). 

«Für Firmen ein Anreiz»

Bringt die Initiative angesichts so vieler Hürden überhaupt etwas? Sie könne trotzdem Verbesserungen bewirken, meint Dina Pomeranz, Entwicklungsökonomin und Professorin an der Universität Zürich. «Für betroffene Firmen ist das ein Anreiz, die nötigen Massnahmen zu treffen. Denn wenn sie ihre Sorgfaltspflicht einhalten, sind sie bei der Initiative ja vor Klagen geschützt.»

Das funktioniere. «In Ghana hat sich aus diesem Grund zum Beispiel eine internationale Firma – Burger King – für die Einhaltung internationaler Standards eingesetzt. Dadurch wurde die lokale Produktion umweltfreundlicher.» Wichtig sei auch: Schon mit kleinen, kostengünstigen Massnahmen könne man in Entwicklungsländern erhebliche Verbesserungen erzielen.

Die Gegner befürchten aber, dass die Initiative Bemühungen in der Entwicklungszusammenarbeit torpedieren könnte. Die Entwicklungsökonomin sieht das anders: «Die Grossmehrheit von Privatwirtschaft und ausländischen Investoren sind ein entscheidender Motor für die Entwicklung, aber eine kleine Minderheit richtet grossen Schaden an.»

Die Initiative trage zur Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Schweizer Entwicklungshilfe bei, ist Dina Pomeranz überzeugt. «Schweizer Steuergelder, die für Projekte zur Armutsbekämpfung und für Umweltschutz in Entwicklungsländern eingesetzt werden, erzielen weniger Wirkung, wenn Projekterfolge durch die unverantwortliche Tätigkeit einzelner Schweizer Firmen wieder zunichtegemacht werden.»

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Tina Berg, Redaktorin
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