Jeden Monat ziehen Corona-Massnahmen-Gegner an meinem Fenster vorbei und demonstrieren für die Einhaltung der Grundrechte. Sie sind nicht allein. Auch gegen Rassismus, für Gleichberechtigung oder fürs Klima wird demonstriert. In Luzern hat sich die Zahl der Kundgebungen seit 2015 versiebenfacht.

Auch in Bern, Zürich und Basel gehen immer häufiger Leute auf die Strasse. Parallel steigt dort die Zahl der Eskalationen. Woher kommt diese Wut? Und was lässt sich dagegen unternehmen?

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Die SVP fordert, dass die Organisatoren von Demos für die Polizeieinsätze zahlen müssen, wenn es zu Ausschreitungen kommt. In Luzern ist das seit 2017 möglich. Theoretisch. In der Praxis wurde das Gesetz nie angewandt. Weil es seit Jahren keine Gewalt mehr an Demonstrationen gibt. Anders als etwa in Basel verlaufen sie friedlich.

Ein massiv kritisierter Polizeieinsatz 2007 hat ein Umdenken der Luzerner Behörden ausgelöst. Die Hürden für eine Demobewilligung sind heute tief. Wenn es sein muss, wird sie innert weniger Stunden ausgestellt. Die Meinungsfreiheit wird hoch gewichtet. 

Zu demonstrieren, ist ein Grundrecht – kein «Nice to have»

Das ist ein Erfolgsrezept: Der Anteil unbewilligter Demonstrationen stieg während der Corona-Pandemie zwar kurzzeitig, ist heute aber wieder verschwindend klein. Polizei und Bewilligungsbehörden wissen, mit wem sie es zu tun haben. Und können im Bedarfsfall klärende Gespräche führen. Das ist der eine Grund, weshalb Ausschreitungen selten sind.

Der zweite: Wer in Luzern an einer Kundgebung mitläuft, zeigt sich solidarisch mit denjenigen, die sie organisiert haben. Ihnen würde im Eskalationsfall die Aufbürdung der Kosten drohen. Bis zu 30’000 Franken könnte die Luzerner Polizei in Rechnung stellen. Um dies zu verhindern, wirken die Teilnehmenden aufeinander ein, wenn eine aggressive Stimmung aufkommt. Insofern könnten die Vorstösse der SVP durchaus eine positive Wirkung haben. 

Der dritte Grund: Friedliche Demonstrationen werden in Luzern nicht mit Wasserwerfern aufgelöst. Auch wenn sie nicht bewilligt sind. Das wird zwar als Vergehen verstanden, aber nicht wie ein Verbrechen behandelt. Die demokratischen Grundrechte einzuschränken, ist aus Sicht der Luzerner Polizei nicht verhältnismässig, solange es nicht zu Gewalt kommt.

Ist die Luzerner Lösung also das Patentrezept gegen Ausschreitungen an Demonstrationen? Städte wie Bern, Basel oder Zürich sollten prüfen, was davon sie übernehmen könnten, um die Blockade zu lösen. Eins zu eins übertragen lassen sich die Erkenntnisse aber wohl nicht. Luzern ist im Gegensatz zu anderen Städten wenig attraktiv für «auswärtige» Demonstrantinnen und Demonstranten. Man kennt sich seit Jahren. Man hört aufeinander. 

Mit ihrer liberalen Haltung tragen die Stadtverwaltung und die Polizei sicher dazu bei, Eskalationen zu verhindern. Auch die Massnahmengegner vor meinem Fenster, die den Staat teils ablehnen, holen inzwischen Bewilligungen ein. Und so können Demonstrationen sein, wofür sie gedacht sind: Teil der politischen Kultur.