Schlammschlacht um ein gescheitertes Strassenprojekt
Solothurner Gemeinden gaben mehr als doppelt so viel Geld für eine Abstimmungskampagne aus als budgetiert. Wer soll nun für das Minus aufkommen?
Veröffentlicht am 14. Dezember 2022 - 15:24 Uhr
Manchmal zeigt sich das Grosse im Kleinen. Im beschaulichen Solothurner Dorf Balsthal, genauer im Ortsteil Klus, diesem verkehrsgeplagten Nadelöhr durch die südlichste aller Juraketten, werden gerade staatspolitische Fragen verhandelt. Und wie es sich für eine Lokalposse gehört, werfen beide Seiten einander mangelndes Demokratieverständnis vor.
Doch der Reihe nach. Im Herbst 2021 sagten knapp 59 Prozent der Stimmberechtigten im Kanton Solothurn Ja zur Verkehrsanbindung Thal, einem 74 Millionen Franken teuren Bauvorhaben, das mit seiner Umfahrungsstrasse auch die Stauprobleme in Klus hätte lösen sollen. Das Problem: Zum Zeitpunkt des Urnengangs stand das Urteil des Verwaltungsgerichts noch aus, ob ein Infrastrukturprojekt mitten im regionalen Naturpark Thal überhaupt rechtens sei.
Ist es nicht, hiess es dann im Juli dieses Jahres. Stolperstein war Artikel 78 der Bundesverfassung: «Der Bund nimmt bei der Erfüllung seiner Aufgaben Rücksicht auf die Anliegen des Natur- und Heimatschutzes. Er schont Landschaften, Ortsbilder, geschichtliche Stätten sowie Natur- und Kulturdenkmäler.» Die Gegner der Umfahrung jubelten. Der Regierungsrat des Kantons Solothurn zog das Verdikt weiter ans Bundesgericht. Doch dass innerhalb der nächsten zehn Jahre Bagger auffahren werden, hält unterdessen niemand mehr für ein realistisches Szenario.
Gestritten wird trotzdem weiter. Das hat mit einer Zahl zu tun, die Anfang Dezember publik gemacht wurde: 53’500 Franken. Um diesen Betrag hat die Pro-Kampagne, angeführt von den Thaler Gemeindepräsidenten, ihr Budget überzogen. Statt 41’000 Franken investierte man 94’500 Franken, also mehr als doppelt so viel wie ursprünglich vorgesehen.
Brisant ist das darum, weil die Gegner der Umfahrung mit einer Abstimmungsbeschwerde schon im Frühling 2021 bis ans Bundesgericht gelangt sind. Sie störten sich damals daran, dass die Gemeinden überhaupt Geld für die Pro-Kampagne sprachen. Die Richter in Lausanne sahen das anders: Als Direktbetroffene hätten die Gemeinden ein besonderes Interesse am Ausgang der Abstimmung.
Frage nach der Verhältnismässigkeit
Doch ganz so einfach ist es nicht. Im Urteil heisst es nämlich auch: «Zahlungen an private Komitees sind freilich grundsätzlich unzulässig, da die Behörde keine zureichende Kontrolle über die zweckkonforme Verwendung der öffentlichen Geldmittel und über die Wahrung der gebotenen Objektivität und Zurückhaltung hat.» Eine Ausnahme gelte jedoch, wenn das private Komitee zu einem grossen oder zumindest überwiegenden Teil aus Behördenmitgliedern bestehe, da dies dem Gemeinwesen durch seine Vertretung eine genügende Kontrolle der Aktivitäten des Komitees ermögliche.
Die Frage der Gegner lautet nun: Hätte das Bundesgericht auch so entschieden, wenn schon damals bekannt gewesen wäre, dass die Pro-Kampagne massiv teurer wird als budgetiert? Fabian Müller, SP-Politiker und Präsident der Bürgerinitiative «Läbigi Klus», der an vorderster Front gegen die Verkehrsanbindung Thal gekämpft hatte, mag in dieser Frage nicht spekulieren. Er macht aber ein Rechenbeispiel: Würde der Bund für eine seiner Kampagnen ähnlich viel Geld pro Einwohner aufwenden wie die Thaler Gemeindepräsidenten, kostete eine solche um die 60 Millionen Franken. «Da stellt sich die Frage der Verhältnismässigkeit durchaus.»
Fabian Müller kritisiert, dass die Steuerzahlerinnen und -zahler nun für den Fehlbetrag zur Kasse gebeten werden sollen. «Hätten wir als Gegner uns bei der Kampagnenfinanzierung dermassen verrannt, könnten wir jetzt nicht beim Staat anklopfen.» Demokratiepolitisch sei dieses Vorgehen höchst problematisch. Die Mitglieder des Pro-Komitees, so Müller, sollten das Loch in der Kasse mit eigenen Mitteln stopfen.
Präzedenzfall wäre interessant
Eine Rechtsprechung, was im Fall einer Kostenüberschreitung zu tun ist, existiert nicht. Andreas Glaser, Professor für Staatsrecht an der Universität Zürich, sagt: «Klar dürfte sein, dass die Gemeindepräsidenten ihrer Kontrollfunktion nicht nachgekommen sind, die sie eigentlich hätten erfüllen müssen.» Ob man daraus einen Haftungsanspruch der Gemeinden ableiten wolle, sei nicht ganz einfach zu beantworten. In Betracht kommt laut Glaser eine Haftung gegenüber den Gemeinden gemäss Paragraf 13, Absatz 1 des Verantwortlichkeitsgesetzes des Kantons Solothurn. Dort heisst es: «Die Beamten sind für den Schaden verantwortlich, den sie dem Staat durch vorsätzliche oder grobfahrlässige Verletzung der Dienstpflicht zufügen.»
Ob die Gemeindevertreter im Komitee grobfahrlässig gehandelt haben, ist schwierig zu beurteilen. «Ein Präzedenzfall wäre hier sicher interessant», sagt Andreas Glaser. Zumal es sich bei der Beteiligung der öffentlichen Hand an privaten Abstimmungskomitees um eine staatspolitisch sehr heikle Angelegenheit handle. «Letztlich machen hier Privatpersonen Abstimmungskampf auf Kosten des Gemeinwesens. Sie können dies ja tun, müssten es dann aber selbst bezahlen.»
Ein gefährlicher Antrag
Überhaupt kein Verständnis für solche Forderungen hat Stefan Müller-Altermatt. Der Mitte-Nationalrat und Herbetswiler Gemeindepräsident sagt: «Finden Sie in Zukunft noch jemanden, der den Job eines Gemeindepräsidenten macht, wenn man diese Ausgaben aus dem eigenen Sack berappen muss!» Staatspolitisch sei das ein gefährlicher Antrag.
Müller-Altermatt gibt zwar zu, dass die Kampagne ungenügend gesteuert wurde, und bedauert dies. Er ist aber der Meinung, dass sie auch deswegen so teuer wurde, weil die Befürworter ständig Unwahrheiten hätten richtigstellen müssen. So hätten die Gegner etwa mit kürzeren Stauzeiten argumentiert oder Alternativen für die Umfahrung beworben, die in der Praxis nicht funktioniert hätten. «Den Stimmbürgern wurde konstant Sand in die Augen gestreut.»
Ebenfalls zu Mehrausgaben hätten die Anwaltskosten geführt. Die Verfahrenskosten des Bundesgerichts etwa wurden den Gemeinden in Rechnung gestellt – obwohl die Abstimmungsbeschwerde von den Richtern abgewiesen wurde. Das Rechenbeispiel von SP-Müller tauge in dieser Sache nicht, sagt Mitte-Müller-Altermatt: «Hätte der Bund so wie wir bloss eine relevante Strasse, hätte er ohne Zweifel die 60 Millionen in die Hand genommen.
Ein klares Verdikt
Abschliessend sei zu sagen, dass er so eine Schlammschlacht in all den Jahren als Politiker noch nie erlebt habe. Die Gegner der Umfahrung, Ideologen, die nicht an die Menschen denken würden, hätten der Region einen herben Schlag verpasst. «Wir sind und bleiben nicht erreichbar, stehen jeden Abend im Stau. Ein Büezer kann kein Homeoffice machen!»
Mitte Dezember fand in Balsthal eine Gemeindeversammlung statt. Der Antrag, die Mehrkosten für die aus dem Ruder gelaufene Kampagne aus dem Budget zu streichen, wurde abgelehnt. Mit 60:9 Stimmen ein staatspolitisch mehr als klares Verdikt.