Auslandschweizer ohne Stimmrecht
Viele Auslandschweizerinnen können nicht abstimmen, weil die Unterlagen zu spät eintreffen. Wie problematisch das ist, zeigte sich zuletzt bei den Abstimmungen im September.
Veröffentlicht am 23. Oktober 2020 - 09:08 Uhr
Schweizerinnen und Schweizer konnten 27-mal über eidgenössische Vorlagen abstimmen in den letzten drei Jahren. Aber nicht die Schweizerin Mariann Breu. Sie hat ihre Unterlagen jedes Mal zu spät erhalten. Breu lebt in Santiago de Chile und teilt ihr Schicksal mit einem Grossteil der über 770'000 Auslandschweizer rund um den Erdball.
«Ein Standardproblem», weiss Ariane Rustichelli, Direktorin der Auslandschweizer-Organisation. «Für Auslandschweizer in Übersee ist es praktisch unmöglich, politisch mitzubestimmen. Aber auch in den EU- oder gar in den Nachbarländern kann es sein, dass man die Abstimmungsunterlagen zu spät erhält.»
Wie problematisch die Situation ist, zeigte sich zuletzt bei der Abstimmung von Ende September. Eine Kündigung der Personenfreizügigkeit hätte die rund 440'000 in der EU lebenden Auslandschweizer besonders betroffen. Ihr Aufenthaltsstatus wäre gefährdet gewesen. Doch die Stimmbeteiligung bei den Auslandschweizerinnen und -schweizern war mit geschätzten 30 Prozent ausserordentlich tief – halb so hoch wie in der Schweiz. Allerdings weisen nur zwölf Kantone die Stimmen von Auslandschweizern separat aus.
Die tiefe Stimmbeteiligung kann sogar Auswirkungen auf die Resultate einzelner Vorlagen haben. Etwa bei der Abstimmung über die Kampfjets. 56 Prozent der Auslandschweizerinnen und -schweizer stimmten dagegen. In der Schweiz waren es 49,9 Prozent – die Befürworter überwogen schliesslich mit gesamthaft 8670 Stimmen. Vielleicht hätten die verlorenen Stimmen aus dem Ausland das knappe Ergebnis gekippt.
Die rechtzeitige Zustellung scheitert in erster Linie daran, dass die Abstimmungsunterlagen auf dem normalen Postweg an den ausländischen Wohnsitz gesandt werden – teilweise per B-Post. Zudem arbeitet in vielen Ländern die Post unzuverlässig.
Grosse Hoffnung setzte man darum in die elektronische Stimmabgabe. Dazu fanden vor 16 Jahren die ersten Tests statt. Bis Anfang 2019 wurde E-Voting in zehn Kantonen angeboten. Den Kantonen standen zwei Systeme zur Auswahl: eines des Kantons Genf und eines der Post. Beide Systeme wurden wegen Sicherheits- und Finanzproblemen eingestellt .
Immerhin: Der Bundesrat hat der Bundeskanzlei den Auftrag erteilt, bis Ende Jahr zusammen mit den Kantonen einen neuen Versuchsbetrieb zu konzipieren.