«Ein Sofakissen als Wächter?»
In der Psychotherapie gibt es eine Methode mit einem inneren Wächter, der symbolisch von einem Kissen dargestellt wird - was hat es damit auf sich und ist das seriös?
Veröffentlicht am 23. Oktober 2012 - 09:20 Uhr
Frage: «In meiner Psychotherapie war die Rede von meinem inneren Wächter. Der werde symbolisch von einem Kissen dargestellt. Jahre später kann ich sagen, dass mir diese Methode geholfen hat. Gibt es eine theoretische Basis dafür, und ist sie allgemein anerkannt?»
Grundsätzlich würde ich jede Methode anerkennen, die hilft, aber die von Ihnen geschilderte lässt sich überdies tatsächlich anerkannten Theorien oder Schulen zuordnen.
Die Idee eines inneren Wächters geht davon aus, dass die Seele keine homogene Einheit darstellt, sondern verschiedene Tendenzen enthält. Berühmt ist die Klage von Goethes Faust: «Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen.» In Goethes Held kämpft eine geistige Seite mit seinen triebhaften Wünschen.
150 Jahre später erkannte der Küsnachter Psychiater Carl Gustav Jung ebenfalls, dass sich die Seele in verschiedene Teile aufspalten kann. Und zwar geschieht das in unseren Träumen. Der Verfolger in meinem Alptraum ist also nichts anderes als ein Teil meiner selbst, der Helfer ebenfalls und natürlich auch ich als Opfer. Die Aspekte meiner Persönlichkeit, die mir peinlich oder unangenehm sind, projiziere ich auf die Traumfiguren oder sogar auf die Gegenstände im Traum. Alles, was im Traum erscheint, sind Aspekte meiner selbst.
Weitere 20 Jahre später nahm der Psychotherapeut Frederick S. Perls diese Erkenntnis auf und baute sie als wichtiges Element in seine Gestalttherapie ein. Im inneren Zwiespalt wollen sich Fausts zwei Seelen voneinander trennen, dichtete Goethe. Das, erkannte Perls wie vor ihm schon Jung, ist genau das Verkehrte und ein ernsthaftes seelisches Problem. Wenn unsere psychischen Aspekte im Konflikt liegen und gegeneinander kämpfen, geht es uns schlecht. Es wird dabei ein Haufen Energie verbraucht, die uns zur konstruktiven Lebensbewältigung fehlt. Wir sind psychisch angeschlagen oder leiden an einer neurotischen Störung, wie es in der Fachsprache heisst.
Die Heilung kann nur dadurch geschehen, dass wir uns mit allen Facetten unserer Persönlichkeit versöhnen, auch mit denen, für die wir uns schämen oder die uns Angst machen – und mit jenen, die uns unerkannt blockieren und die wir in einer Therapie erst noch kennenlernen müssen.
Eine wirksame und anerkannte Technik besteht darin, die Aspekte der Seele zu personifizieren. So lässt etwa Perls eine Frau, die von einem rostigen Autoschild geträumt hat, das achtlos in einen See geworfen wird, dieses Schild spielen: «Ich bin alt, verbeult, werde weggeworfen, sinke auf den Seegrund und liege da im Schlamm, vergessen…», erzählt sie. Durch die Identifizierung mit diesem Teil ihres Selbst beginnt die Frau zu weinen. Nun kann sie das Gefühl der Einsamkeit und Verlassenheit integrieren und in Zukunft etwas dagegen tun.
Bekannt ist Perls' Zwei-Stuhl-Technik. Der Klient gibt zwei Aspekten seines Selbst je einen Namen und setzt sich abwechselnd auf zwei sich gegenüberstehende Stühle. Unter der Leitung des Therapeuten kommen die zwei Seiten, etwa eine faule und eine ehrgeizige, miteinander ins Gespräch, und so findet der Klient ein neues Gleichgewicht in seinem Konflikt zwischen Bequemlichkeit und Ehrgeiz. Die materiellen Symbole wie hier die Stühle oder in Ihrem Fall das Kissen machen es einfacher, die Seelenanteile zu identifizieren und damit zu arbeiten.
1998 griff der Psychologe Friedemann Schulz von Thun die Idee ebenfalls auf. Er spricht von mehreren Seelen in der Brust und nennt sie «inneres Team». Auch bei seinem Ansatz geht es darum, den inneren Zwiespalt aufzulösen, indem jedes «Teammitglied» gewürdigt wird. Innere Vielfalt ist seiner Ansicht nach menschlich und wertvoll. Es ist jedoch wichtig, dass auch eine kompetente innere Gesprächsleitung besteht, die für ein gutes inneres «Betriebsklima» sorgt.
Buchtipp
Frederick S. Perls: «Gestalt-Therapie in Aktion»; Verlag Klett-Cotta, 2008, 292 Seiten