«Ich habe keine Lust auf Sex»
Was tun, wenn das Verlangen nach Sex weg ist und die Unlust anfängt zu belasten?
aktualisiert am 14. Juli 2020 - 11:10 Uhr
Frage: «Ich habe kein Verlangen mehr nach Sexualität, weder mit meinem Partner noch sonst irgendwie. Nun belastet die Unlust auch unsere Ehe.»
Es ist durchaus sinnvoll, vorerst eine Frauenärztin aufzusuchen. Manchmal hat die Lustlosigkeit hormonelle Ursachen. Wahrscheinlich aber haben Ihre Lebensumstände und psychische Prozesse Ihr Begehren zum Erlöschen gebracht. Oberflächlich betrachtet sollten Sie eigentlich überhaupt kein Problem haben. Wenn jemand keine Erdbeeren bekommt, der auch gar keine Lust auf Erdbeeren hat, so leidet er ja nicht. Also sollte Ihnen nichts fehlen, wenn Sie kein Bedürfnis haben.
Natürlich ist es aber nicht so einfach. Sex ist ja nicht wie die Nahrungsaufnahme nur zur Beseitigung eines Mangels da, sondern auch ein Mittel zur zwischenmenschlichen Begegnung . Vielleicht fehlt Ihnen die Nähe zu Ihrem Mann, wenn keine Sexualität mehr stattfindet. Sicher hat aber er ein Problem, wie Sie es ja andeuten, wenn sein Begehren noch vorhanden ist.
Es gibt natürlich die Lösung, dass Sie seine Wünsche erfüllen, ohne selber sexuell gestimmt zu sein. Eine Sexualtherapie könnte Ihnen beiden helfen, offen über Wünsche, Ängste und Abneigungen zu reden und Wege zu finden, die für beide gangbar sind. Wenn Sie selber jedoch den Zugang zu Ihrer Sexualität wieder suchen möchten, könnten Sie eine Einzeltherapie in Anspruch nehmen und zusätzlich oder vorerst mal ein Ratgeberbuch über weibliche Sexualität lesen – oder zur Anregung eine Sammlung erotischer Phantasien.
Werbung und Medien suggerieren, ein lebenslanges leidenschaftliches Sexualleben sei das Normale. Daten von Pro Familia Deutschland zeigen aber: 35 Prozent der Frauen haben zumindest eine gewisse Zeit ihres Lebens überhaupt kein Verlangen nach Sex, 5 Prozent hatten noch nie einen Orgasmus, und 20 Prozent kommen nur selten zum Höhepunkt.
Ganz allgemein sind die sexuellen Bedürfnisse sehr verschieden. Einige brauchen mehrmals am Tag Sex, andern genügt einmal im Monat, manche verspüren längere Zeit überhaupt kein Bedürfnis danach. Die Stärke des Verlangens hängt ausserdem von vielen Umständen ab und kann heftig schwanken. Stress, familiäre Probleme, Partnerschwierigkeiten , Niederlagen und Entmutigung wirken sich negativ auf das Sexualleben aus.
Viele Therapeuten finden gar, dass eine Störung in der sexuellen Begegnung stets ein Hinweis darauf ist, dass auf der seelischen Ebene etwas nicht stimmt. Dass ungelöste Konflikte, blockierte Gefühle, unausgesprochene Dinge eine entspannte sexuelle Begegnung verhindern. Eine Paartherapie würde deshalb zuerst auf die Paardynamik fokussieren und sich nicht auf die sexuelle Störung fixieren.
Aber auch im unproblematischen Verlauf einer Beziehung besteht die Gefahr, dass der Sex an Faszination verliert. Vor allem wenn er sich immer im gleichen Rahmen abspielt. Es ist wie Rudern gegen den Strom: Wenn man damit aufhört, wird man zurückgetrieben. Man muss und kann also etwas dafür tun, dass die Beziehung so lebendig und vielfältig bleibt, dass sexuelle Begegnungen immer wieder mal einen Höhepunkt darstellen.
- Ist-Zustand analysieren: Die Situation nicht dramatisieren und Ruhe bewahren. Es gibt in langen Beziehungen immer wieder Phasen, wo im Bett nicht so viel läuft. Das muss aber noch lange nicht der Anfang vom Ende der Beziehung sein. Bevor man etwas unternimmt, müssen die Partner klären, ob sie die Situation gleich beurteilen. Vielleicht führen vorübergehende belastende Umstände im Alltag zur Flaute.
- Unterschiede in der Sexualität akzeptieren: Machen Sie sich die Eigenheiten Ihrer Sexualität bewusst. Vorlieben, Abneigungen, Phantasien, Ängste, Wünsche, Träume.
- Alltag lustvoll gestalten: Lust beginnt nicht erst, wenn man die Bettkante übertreten hat. Wer mehr Lust auf Sex haben will, muss sein ganzes Leben lustvoll gestalten, mit allen Sinnen erleben . Lust ist sehr individuell, für den einen ist Kochen etwas sinnlich-lustvolles, für den anderen, den Körper in Bewegung zu halten, wieder andere empfinden geistige Herausforderungen als lustvoll. Wichtig ist, dass man bewusst hört, sieht, schmeckt, riecht und fühlt.
- Über Sex reden : Tauschen Sie sich in der Partnerschaft aus, verschaffen Sie dem andern einen Einblick in Ihre sexuelle Welt – ohne aber alles zu verraten.
- In die Beziehung investieren: Auch wenn das nette Kompliment oder der von sich aus erledigte Abwasch vordergründig nichts mit Sex zu tun haben, so können kleine Aufmerksamkeiten doch ein Zeichen der Wertschätzung an den Partner signalisieren und die Paarzufriedenheit erhöhen. Und gemäss Studien haben zufriedene Paare eine höhere sexuelle Zufriedenheit.
- Sex nach Plan: So unromantisch das klingt: Wenn ein Paar kaum noch Sex hat, können fix eingeplante Paarinseln (inklusive Termineintrag in der Agenda) im Alltag helfen, die Lust wieder zu entfachen. Denn mit jedem Sexualkontakt erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass man bald wieder Sex hat. Und je länger man keinen Sex mehr hat, desto grösser sind die Hürden, um wieder damit anzufangen. Wichtig beim geplanten Sex ist aber, dass beide Partner mit einer positiven Haltung an das Vorhaben herangehen. Denn wenn einer oder beide es als Pflichtübung sehen, um danach für eine gewisse Zeit wieder Ruhe von diesem Thema zu haben, bringt es längerfristig nicht das gewünschte Ergebnis.
- Abwechslung und Unterschiede machen das Leben spannend: Akzeptieren und begrüssen Sie Unterschiede Ihrer beider Persönlichkeiten – nicht nur im Bereich der Sexualität: Polaritäten erzeugen Spannungen. Und erfüllende Sexualität lebt davon, dass sich Spannungen in der Begegnung lustvoll lösen. Es kommt sehr selten vor, dass zwei Partner genau die gleichen Sexualpraktiken und Fantasien spannend und erotisch finden. Wenn man also nur jene Dinge macht, die beiden Lust bereiten, ist das Repertoire relativ begrenzt und die Paare schränken sich unnötigerweise ein. Man ist es sich als Paar schuldig, für Variantenreichtum in der Sexualität zu sorgen.
- Mehr Weiblichkeit, mehr Männlichkeit: Pflegen Sie gleichgeschlechtliche Freundschaften, um Ihre Weiblichkeit respektive Männlichkeit zu stärken.
- Auch mittelmässiger Sex ist gut: Paare sollten sich von der Idee lösen, dass jeder Sex grossartig sein muss. Denn damit das der Fall ist, müssen unter Umständen so viele Dinge zusammenpassen (Beine rasiert, Küche aufgeräumt, ein idealer Ort und Zeitpunkt gefunden werden, etc.), dass es kaum noch zum Sex kommt. Ab und an durchschnittlichen Sex zu haben ist immer noch besser als kein Sex.
- Mehr Sex haben: Viele Paare, die mit Lustlostigkeit kämpfen, halten diesen Ratschlag für zynisch. Dabei ist er einer der besten überhaupt. Denn wenn man seltener Sex hat, kommt der Körper «aus der Übung». Die Erregungsabläufe im Körper laufen leichter ab, je öfter sie ablaufen. Um das zu testen, kann man sich als Paar auf ein Experiment einlassen: Eine Woche lang jeden Tag Sex haben (auch Oralverkehr oder eine Intimmassage zählen).
Quellenagabe: «Guter Sex. Ein Ratgeber, der Lust macht», Caroline Fux, Ines Schweizer, Beobachter Edition